GAL Bamberg: Interview mit Claudia Roth
Interview mit Claudia Roth, Bundestagsvizepräsidentin und MdB von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, das die GAL Bamberg anlässlich ihres Besuchs zum Wahlkampfauftakt am vergangenen Samstag geführt hat. Das Interview wurde unmittelbar vor der Wahlkampfveranstaltung geführt, die Fragen stellte Juliane Fuchs.
Lisa Badum, Direktkandidatin der Grünen für Bamberg Stadt und Land sowie Forchheim, hat sich als Energiebündel, wie sie sich nennt, den erneuerbaren Energien verschrieben. Aber sind diese sogenannten alternativen Energien überhaupt noch ein speziell grünes Thema? Die CDU/CSU hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, Sonnenkollektoren prangen auf vielen Hausdächern und übrigens auch bayerischen Feldern – sind erneuerbaren Energien überhaupt noch ein speziell grünes Thema? Ist nicht das Engagement für erneuerbare Energien Schnee von gestern statt Sonne von morgen?
Die Regierungsparteien betreiben greenwashing. Von den auf dem Klimagipfel in Paris beschlossenen Zielen sind sie meilenweit entfernt. Und die CDU/CSU knicken vor der Automobilindustrie ein. Die SPD macht einen riesigen Hupf zurück in die Kohlegrube, die FDP hat mit diesem Thema eh nichts am Hut, die AfD verleugnet dieses Thema. Bayern hat sich wie kein anderes Bundesland durch Atomenergie versorgt und macht sich jetzt bei der Endlagersuche vom Acker. Das ganze Thema Energieeinsparung, Energiewende, erneuerbare Energie, Energieeffizienz, das ist ein zentrales Thema der Grünen, da müssen wir dranbleiben.
Die Grünen werden vor allem als Öko-Partei wahrgenommen. So wichtig Ökologie ist – wie können Grüne von diesem Image wegkommen, ausschließlich Öko-Partei zu sein?
Wir sind nie als reine Umweltpartei gegründet worden. Wir sind von Anfang an aus verschiedenen Bewegungen zusammengewachsen: Das war die Umweltbewegung, aber auch die Frauenbewegung, die Eine-Welt-Bewegung, die Radikaldemokratie-Bewegung. Verantwortung in der internationalen Politik, was die Menschenrechte und die Bürgerrechte angeht. Soziale Gerechtigkeit und Ökologie sind untrennbar miteinander verbunden. Die weltoffene Gesellschaft, die demokratische Gesellschaft die vielfältige Gesellschaft. Wir sind unverzichtbar, wenn es um Klimaschutz geht. Wenn wir dem Klimawandel nichts entgegensetzen, werden wir in einigen Jahren 400-500 Mio. Klimaflüchtlinge haben. Das sagen nicht nur wir Grünen, das sagt auch Prof. Schellnhuber, der Berater der Bundesregierung in Klimafragen.
Wir sind unverzichtbar für einen Staat, der am Gemeinwohl orientiert ist, der auf Partizipation, auf Teilhabe, auf Integration, auf Inklusion setzt, wo die stärkeren Schultern mehr beitragen müssen. Eine Gesellschaft, die Gerechtigkeit versteht als den Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält – da sind wir unverzichtbar, weil wir nicht die Klientel-Interessen einer alten Dame SPD vertreten. Wir haben schon immer einen Gesamtansatz gehabt für die Fragen: In welchem Land wollen wir leben? In welchem Europa wollen wir leben? Und spätestens seit dem AfD-Parteitag der vergangenen Woche ist klar: Wir sind das glatte Gegenmodell zur AfD. Wir wollen Vielfalt demokratisch gestalten, wir wollen Verantwortung übernehmen für die Generationen, die kommen.
Und das sind Themen, die absolut brandaktuell sind. Der Himalaya, das Dach der Welt, der Sitz des Dalai Lama, der auch in Bamberg ein Stück Heimat hat und viele Freunde, schmilzt uns weg. Wer Klima auf morgen verschieben will, handelt absolut unverantwortlich. Wie sieht eine demokratische, weltoffene Gesellschaft aus, die Vielfalt akzeptiert und demokratisch gestaltet? Wie sieht deutsche Politik in einem Europa aus, das in Zeiten von testosteron-gesteuerten Männern wie eines Herrn Trump, eines Herrn Erdogan, eines Herrn Putin mehr denn je gebraucht wird? Wir wollen ein gerechteres, ein sozialeres, freizügigeres Europa.
Und selbst wenn es nur die Klimafrage wäre: Die Klimafrage ist die Existenzfrage unseres Planeten.
Neben den erneuerbaren Energien ist das andere große Thema von Lisa Badum die Genderfrage, die Frage nach einer Gleichstellung von Männern und Frauen. Auch hier die Frage: Ist diese Frage noch aktuell? Frauen sitzen in den Chefetagen, werden Professorinnen und die Hälfte der Studierenden ist weiblich. Was bleibt in dieser Richtung zu tun?
Wir haben immer noch viele patriarchale Strukturen. Deutschland ist unter den ersten Drei in der Europäischen Union, was die Lohnungerechtigkeit angeht. Die gesellschaftlich mit am bedeutsamsten Berufe – wenn Kinder unsere Zukunft sind, so sind es diese Berufe, die mit Kindern zusammenhängen: am Anfang des Lebens, in den Kitas; diejenigen, die Kinder in der Schule auf das Leben vorbereiten – und die Berufe mit Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen. Leider sind diese Berufe drastisch unterbezahlt, unterbewertet und gesellschaftlich wenig anerkannt. Und in diesen Berufen arbeiten überwiegend Frauen. Theoretisch können Frauen in die Führungsetagen aufsteigen. Aber das Gleichheitsgesetz, das die Bundesregierung beschlossen hat, betrifft 60% der Frauen überhaupt nicht, sie profitieren überhaupt nicht davon. Und schauen wir unseren Bundestag an, so sind 37% Frauen, wenn sie in unserer Gesellschaft aber 52% ausmachen, haben wir da noch Luft nach oben.
Die Quotenfrage ist nicht nur eine numerische Frage, es geht nicht nur um Zahlen, sondern in der Politik ändert sich ja auch etwas, wenn die Perspektive der Frauen miteinfließt in die Wirtschaftspolitik, in die Finanzpolitik, in die Verteidigungspolitik und wenn die Männerperspektive miteinfließt in die Kinder- und Familienpolitik.
Menschenrechte sind auch Frauenrechte. Und in Zeiten von Kriegen und Gewalt sind es besonders Frauen und Kinder Opfer ziviler Angriffe und diejenigen, die auf der Flucht sind.
Frauen sind – auch das ein Genderthema – viel stärker als Männer von der Armutsfalle bedroht, nicht erst im Alter. Wenn Kinder kommen, stecken sie häufiger als ihre männlichen Partner beruflich zurück, bei Trennung und Scheidung ziehen sie öfter den Kürzeren, wenn Familienangehörige gepflegt werden, übernehmen eher Frauen als Männer diese Aufgabe – zu Lasten der Berufstätigkeit. Welche Ideen haben die Grünen, diese gesellschaftliche Ungleichheit zu ändern?
Da haben wir immer noch nicht den Schlüssel gefunden, dass Frauen besonders oft Berufe wählen, die am schlechtesten bezahlt werden. Frauen sollten zu anderen Berufen ermutigt werden, in denen sie mehr Erfolg haben. Denn wenn ich in meinem Beruf so wenig verdiene oder so prekär arbeite, bedeutet das vorprogrammierte Armut im Alter. Da geht es auch um die gesellschaftliche Anerkennung von Berufen, in denen vorwiegend Frauen tätig sind. Und warum arbeiten Frauen da? Weil Männer sagen: ‚Da arbeite ich nicht.‘ Und weil Männer sich möglicherweise in dieser unendlich verantwortungsvollen Arbeit, z.B. im Pflegebereich, eher schwertun. Deswegen müssen diese Berufe ganz, ganz anders eingestuft werden in ihrer gesellschaftlichen Anerkennung, das geht nur mit einer finanziellen Anerkennung. Es ist ein Skandal, dass in diesem Land alleinerziehende Mütter potentiell armutsgefährdet sind, es ist ein Skandal, dass nach wie vor die Infrastruktur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Kind und Karriere nicht so ausgebaut ist, dass Frauen beides tun können, sicher sein können, dass ihre Kinder in sehr, sehr guter Obhut sind und sie ohne Probleme guter Arbeit nachkommen können.
Und es ist ein Riesenskandal, dass wir in unserem Land, einem der reichsten Länder dieser Welt, die größten Vermögensunterschiede von Mann und Frau haben im Euro-Raum. Das ist wirklich ein Skandal! D.h. es muss eine Umverteilung geben, um diesen Skandal von Ungleichheit zu überwinden.
Aber es liegt auch an uns Frauen, wir brauchen viel mehr Vernetzung, viel mehr Lobbyismus im eigenen Interesse. Es fängt schon an bei Einstellungsgesprächen, dass Frauen sich mit ihren Gehaltsvorstellungen deutlich, deutlich unter dem einschätzen, wie es Männer tun, und dass dies für sie zum Nachteil wird. Da braucht es Druck auf die Rahmenbedingungen, aber da braucht es auch eine noch viel stärkere Vernetzung und einen noch viel stärkeren Lobbyismus für unsere Interessen.
Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten, die in Deutschland Schutz vor Krieg, Terror und Gewalt suchen, werden in unserem Land nicht selten als gefühlte Bedrohung wahrgenommen. Das Thema „Sicherheit“ könnte im Wahlkampf eine große Rolle spielen. Ist das auch ein „grünes“ Thema?
Das Thema Menschenrechtspolitik, Flüchtlingspolitik beschäftigt die Grünen, so lange es sie gibt. Ich habe noch nie in Deutschland so viel Solidarität, so viel Herzenswärme erlebt, so viel Aufnahmebereitschaft erlebt – übrigens auch in Bayern, obwohl die Landesregierung von Anfang, seit die Bundesregierung gesagt hat: „Wir schaffen das“, entmutigt hat und nicht ermutigt. Dennoch gibt es immer noch unglaublich viele Menschen, die humanitäre Schutzverantwortung gezeigt haben und immer noch zeigen. Sie zu mobilisieren, sie zu unterstützen, auf sie zu vertrauen – darum geht es. Es gibt Menschen, die verunsichert sind. Diese Verunsicherung müssen wir ernst nehmen. Aber Ängste ernst nehmen und Ängste schüren, ist ein großer Unterschied. Das fängt damit an, dass wir mit Zahlen argumentieren: Von den 67 Mio. Flüchtlingen (Zahlen des UNHCR) kommen gerade 8% in die Länder, in denen es keine Kriege gibt, also nach Kanada, ins reiche Europa, 92% bleiben in den ärmsten Ländern der Erde, vor allem in den Nachbarländern und –regionen der Kriegsländer. Die Türkei, wo es viel zu kritisieren gibt, hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als ganz Europa zusammen; der Libanon mit 4,2 Mio. Einwohnern hat weit über eineinhalb Mio. Flüchtlinge. Wir haben viele Flüchtlinge aufgenommen, aber im Vergleich zu anderen deutlich wenig, und was andere Mitgliedsländer der Europäischen Union sich geleistet haben, ist ein Wettlauf der Schäbigkeit. D.h. uns Grünen geht es nicht darum, alle Geflüchteten der Welt aufzunehmen. Aber uns geht es darum zu verhindern, dass Menschen ihre Heimat überhaupt verlassen müssen. Also was sind die Fluchtursachen? Was tragen wir dazu bei? Warum liefern wir – Seehofer vorneweg – Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien, das gerade Jemen zurück ins Mittelalter bombt. Wie trägt unsere Handelspolitik, unsere agrarindustrielle Logik dazu bei? Wenn in Ghana aus Deutschland importierte Geflügelreste die Regionalmärkte kaputtmacht? Wie gehen wir um mit der Hoffnung in Europa?
Fluchtursachen bekämpfen statt Flüchtlinge bekämpfen. Wie unterscheiden wir endlich zwischen Flucht und Asyl auf der einen und Einwanderung auf der anderen Seite? Unter Rot- Grün ist ein Einwanderungsgesetz erarbeitet worden, was an der Zustimmung im Bundesrat scheiterte mit zwei Stimmen Mehrheit. Und seither haben wir kein Einwanderungsgesetz.
Aber was es nie geben kann, ist, dass wir mit einer Obergrenze argumentieren. Dann ist unser Asylgesetz im Kern zerstört. Der Art. 16 ist derjenige Grundrechtsartikel, der am allermeisten verbunden ist mit Art. 1, der Menschenwürde, mit unserer historischen Verantwortung. Wir wollen nicht, dass wir dieses Grundrecht zugrunde richten. Und da gibt es die Kirchen als unsere Bündnispartner, die Menschenrechtsorganisationen und viele Ehrenamtliche, die sagen: Uns geht es so gut, wir wollen denen, die unsere Hilfe brauchen, diese Hilfe zukommen lassen, wir wollen sie integrieren, wir wollen, dass sie mit ihren Familien zusammenleben können. Und da stelle ich mich überall hin und wenn uns der Wind noch so kalt ins Gesicht weht, das muss unser Grundprinzip sein. Wir sind nicht allein. Wir sind viel mehr in unserem Land, als manche von uns glauben.
„Zukunft wird aus Mut gemacht“, ist das Motto der heutigen Veranstaltung – was macht Mut in diesen finsteren Zeiten? In Nordkorea wie in den USA herrschen zwei unberechenbare Staatsmänner, die Polkappen schmelzen ab, täglich sterben Tier- und Pflanzenarten aus, auch in diesen Momenten während unseres Interviews werden Menschen in Syrien erschossen – was macht Mut?
Mut kommt aus der Zuversicht, dass wir Grüne unverzichtbar sind, dass wir mehr gebraucht werden als je zuvor und dass wir überhaupt nicht allein sind. Wenn wir uns anschauen, was vor ein paar Wochen in der Türkei passiert ist – Erdogan ist nicht die Türkei, die Türkei ist nicht Erdogan; mindestens fünfzig Prozent, die anders abgestimmt haben, die die Demokratie wollen, den Rechtsstaat. Und Mut kommt aus der Überzeugung, dass wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben. Und dass wir verantwortlich sind für den Zustand unserer Gesellschaft, für die Zukunft von Europa – als ein starker Akteur in Zeiten von Trump, Putin, Erdogan und anderen Mut heißt sich nicht verstecken, nicht zu verzagen, sondern Gesicht zu zeigen. Und wenn die AfD uns als den Hauptfeind erklärt, dann sage ich: Ehre, wem Ehre gebührt. Gesicht zeigen gegen diejenigen, die das Land zurückentwickeln wollen, wobei dieser Zustand des „Zurück“ in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt nie da war. Worum geht es uns jetzt? Jetzt geht es um den Bestand unserer Demokratie, um die Zukunft. Und da braucht es Mut, da braucht es klare Haltung und Prinzipien und da braucht es Treue gegenüber unseren Prinzipien und nicht Verzagtheit. Und dass wir natürlich massive Gegner haben, ist doch logisch. Wenn Bayer für 68 Mrd. (!) Euro Monsanto kaufen will und Monsanto als Hauptprodukt Glyphosat hat, dann ist das ein kleiner Ausdruck dessen, was wir an Gegnerschaft haben als Grüne, als Ökologen, als Demokraten, als Rechtsstaatler. Ich sage immer: David hat am Schluss auch gegen Goliath gewonnen.
Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen herzlichen Dank.
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