38. Soziologie-Kongress an der Universität Bamberg
Bamberger Soziologe Olaf Struck zu Leiharbeit: „Der Arbeitsmarkt verstärkt die soziale Ungleichheit“
Gleiche Bezahlung für Leiharbeiter nach neun Monaten und höchstens 18 Monate in einem Betrieb: Anfang Juni hat das Bundeskabinett neue Regeln für Leiharbeit beschlossen. Für den Bamberger Professor für Arbeitswissenschaft Dr. Olaf Struck gehen diese Regelungen nicht weit genug. Er sieht das Problem an anderer Stelle: „Eine konstante Qualifikation ist langfristig noch wichtiger als gleiche Bezahlung.“ Denn vielen Leiharbeitern fehlt die Qualifikation, um in ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis zurückzukehren.
Die Ursache dafür liegt laut Struck in der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Traditionell vorherrschend war auf dem deutschen Arbeitsmarkt das, was der Professor als „geschlossene Betriebssysteme“ bezeichnet. Der Forscher versteht darunter Betriebe, die ihre Angestellten über viele Jahre halten, durch Weiterbildungen fördern und befördern. „Diese Form der Beschäftigung bietet den Angestellten sehr viel Schutz und eine langfristige Perspektive“, erklärt Struck.
Infolge der Agenda 2010 wurde der Einsatz wiederholt befristeter Beschäftigung erleichtert. Leiharbeit wurde liberalisiert und die Hartz-Gesetze führten dazu, dass Arbeitslose häufig eine Beschäftigung aufnehmen mussten, die nicht ihrer ursprünglichen Ausbildung entsprach.
Dadurch hat sich der Anteil dessen erhöht, was Struck „offene Betriebssysteme“ nennt: Betriebe, deren Belegschaft häufig wechselt und in denen Arbeitnehmer zumeist nur geringe oder fachfremde Qualifikationen aufweisen. Hier sind Leiharbeit und Niedriglohn deutlich häufiger anzutreffen. „Der institutionelle Schutz für Arbeitnehmer fällt sehr gering aus. Außerdem können Beschäftigte ursprüngliche Qualifikationen verlieren, wenn sie sie nicht pflegen,“ erklärt Struck. Besonders problematisch für weitere Bewerbungen seien dann die Brüche im Lebenslauf, die so entstehen.
Ein weiteres Problem: In offenen Beschäftigungssystemen sind häufig weibliche, gering gebildete, aber auch ostdeutsche Erwerbstätige anzutreffen. „Dass traditionelle Risikogruppen nur auf wenig institutionellen Schutz bauen können, führt dazu, dass einmal bestehende soziale Ungleichheiten weiter verstärkt werden“, sagt Struck. Seine Forschung hat gezeigt: Wer erst einmal in einem offenen System tätig ist, hat es zunehmend schwerer, in ein geschlossenes Betriebssystem auf den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren. „Diese Arbeitnehmer sind von Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und Armut im Rentenalter bedroht.“
„Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung wie gleiche Bezahlung nach neun Monaten sind wie schon der Mindestlohn ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings besteht die Gefahr weiterhin, dass bestehende Ungleichheiten zementiert bleiben“, sagt Struck. Er empfiehlt, Leiharbeit mit Qualifikation zu verbinden. In Zeiten, in denen die Arbeitnehmer nicht verliehen seien, sollten ihre Zeitarbeitsfirmen Weiterbildungen ermöglichen, anstatt die Beschäftigten zu entlassen. „Wichtig sind alle Schritte, die eine Rückkehr in eine lebenslang gefestigte Beschäftigung erleichtern.“
Die Krise der Arbeitsgesellschaft ist auch eines der Themen, mit denen sich der 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie beschäftigt, der in diesem Jahr von Olaf Struck und seinem Team organisiert wird. Vom 26. bis 30. September findet er an der Universität Bamberg unter dem Titel „Geschlossene Gesellschaften“ statt. Die Tagung betrachtet aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Prozesse und diskutiert Offenheit und Geschlossenheit in allen Bereichen der Gesellschaft.
Informationen zum 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie finden Sie unter http://kongress2016.soziologie.de
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