Sonntagsgedanken: Der versteckte Gott
Elie Wiesel erzählt uns etwa folgende Geschichte: Rabbi Baruchs Enkel Jechiel lief weinend in das Arbeitszimmer des alten Mannes. „Was hast Du denn?“ fragte der Rabbi besorgt. „Mein Freund hat mich so geärgert! Wir haben Verstecken gespielt und er war mit dem Suchen dran. Ich habe mich so gut versteckt, daß er mich nicht gefunden hat, und dann ist er einfach weggegangen und hat mich allein gelassen!“ klagte der Junge verzweifelt. Da flüsterte der Rabbi leise: „So steht es auch mit Gott: Stell Dir seinen Schmerz vor: Gott versteckt sich und der Mensch sucht ihn nicht einmal!“
Hat Wiesel Recht?Manchmal scheint es ja so, als hätte Gott sich versteckt. Wo ist Gott, wenn wir ihn so nötig brauchen, in den Krankenhäusern, wo Menschen leiden und sterben, auf den Straßen, wo manch junges Leben zugrunde geht, in den Familien, wo Alkohl, Gewalt und Stumpfsinn die Seelen der Kinder verderben, wo ist Gott in den Krisengebieten unserer zeit? Ein uraltes Thema: Wie kann Gott das Böse zulassen? Aber Gott ist nicht unser Kindermädchen. Wir sind so stolz auf unsere Freiheit, also auch für uns und für unsere Mitmenschen verantwortlich. Ein Recht auf Glück hat zudem niemand.
Gott hat sich nicht versteckt, wie Wiesel irrtümlich meint. Gott kommt zu uns in Jesus Christus, spricht zu uns im Evangelium, wirkt unter uns durch seinen Heiligen Geist, dem wir nur nachspüren müssen: Wir fühlen ihm im Lachen und Spielen der Kinder, in der hoffentlich selbstverständlichen Nachbarschaftshilfe, in einem romantischen Sonnenuntergang, im vertrauten Gespräch mit Freunden.
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Pfarrer Dr. Christian Fuchs, www.neustadt-aisch-evangelisch.de
Infos zu Christian Karl Fuchs:
- geb. 04.01.66 in Neustadt/Aisch
- Studium der evang. Theologie 1985 – 1990 in Neuendettelsau
- Vikariat in Schornweissach-Vestenbergsgreuth 1993 – 1996
- Promotion zum Dr. theol. 1995
- Ordination zum ev. Pfarrer 1996
- Dienst in Nürnberg/St. Johannis 1996 – 1999
- seither in Neustadt/Aisch
- blind
- nicht verheiratet
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