Universität Bayreuth: Naturverbundenheit von Kindern und Jugendlichen – Kann Umweltunterricht etwas bewirken?
Wie man dem Raubbau an natürlichen Ressourcen, der Verschmutzung der Umwelt und anderen ökologischen Herausforderungen wirksam begegnen sollte, wird in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Unstrittig ist jedoch, dass ein positives Verhältnis von Menschen zur Natur erheblich dazu beitragen kann, dass Programme für den Umwelt- und Naturschutz öffentliche Akzeptanz und Unterstützung finden. Wie lässt sich schon bei Kindern und Jugendlichen die Naturverbundenheit stärken, und welche Rolle können dabei speziell entwickelte Unterrichtseinheiten spielen? Mit diesen Fragen befassen sich zwei empirische Studien, die Dr. Anne K. Liefländer am Lehrstuhl für Didaktik der Biologie an der Universität Bayreuth durchgeführt hat. In der Fachzeitschrift „Environmental Education Research“ hat die Forschungsgruppe ihre Ergebnisse publiziert.
Naturverbundenheit von Kindern und Jugendlichen – auch abhängig von der Schulart
An der ersten Studie nahmen insgesamt 304 Schülerinnen und Schüler teil. Sie wurden in zwei ungefähr gleich große Testgruppen unterteilt: Eine Grundschulgruppe im Alter zwischen 9 und 10 Jahren und eine Altersgruppe zwischen 11 und 13 Jahren, die ungefähr je zur Hälfte aus bayerischen Gymnasien bzw. Hauptschulen stammte. Alle Schülerinnen und Schüler nahmen viereinhalb Tage am Unterrichtsprogramm „Wasserschule Oberfranken“ teil. Die wissenschaftliche Begleitstudie war so angelegt, dass dabei insbesondere das individuelle Verhältnis der Schülerinnen und Schüler zur Natur, genauer: der Grad ihrer Verbundenheit mit der Natur erfasst wurde. Hierbei handelt es sich um eine empirische Variable, die eine Forschungsgruppe um den U.S-amerikanischen Umweltpsychologen Prof. Wesley Schultz an der California State University in San Marcos entwickelt hat. Mit der so genannten INS-Skala (Inclusion of Self into Nature) kann die individuelle Naturverbundenheit zuverlässig ermittelt werden.
Wie sich herausstellte, zeigten Grundschüler bereits von Haus aus eine erheblich stärkere Naturverbundenheit als Schülerinnen und Schüler der älteren Gruppe. Hier wiederum machte sich die unterschiedliche Schulart deutlich bemerkbar: Wer ein Gymnasium besuchte, hatte im Vergleich mit den Jugendlichen in Hauptschulen ein ausgeprägteres Bewusstsein von der Tatsache, selbst ein Teil der Natur zu sein. „Dieser Unterschied kann sehr verschiedene Ursachen haben“, meint Dr. Anne K. Liefländer. „Möglicherweise bewirken ausgeprägtere kognitive Fähigkeiten eine höhere Sensibilität für Natur und Umwelt. Vermutlich spielt auch das Freizeitverhalten eine Rolle. Jugendliche mit einem geringeren Bildungsgrad verbringen wohl relativ viel Zeit vor dem Fernseher und mit Computerspielen, während Schülerinnen und Schüler an Gymnasien möglicherweise öfter in der freien Natur unterwegs sind und mehr Zeit für sportliche Aktivitäten im Freien investieren. Damit ein genaueres Bild von den Ursachen entsteht, müssten künftige Studien die dafür relevanten Faktoren möglichst lückenlos erfassen. Dazu bedarf es allerdings einer besonderen Genehmigung der jeweils zuständigen staatlichen Schulbehörde.“
Ein viertägiges Unterrichtsprogramm in freier Natur
In der zweiten Studie ging es um die Frage, inwiefern ein mehrtägiger Umweltunterricht Einstellungen gegenüber der Natur beeinflussen kann. 190 Schülerinnen und Schüler wurden erneut in Altersgruppen zwischen 9 und 10 Jahren bzw. 11 und 13 Jahren unterteilt. Der letzteren Gruppe gehörten diesmal nur Schülerinnen und Schüler aus Hauptschulen an. Beide Gruppen nahmen im Frühsommer an einem viertägigen Unterrichtsprogramm in einem bayerischen Schullandheim teil. Die Unterrichtseinheit „Wasser im Leben, Leben im Wasser“ diente nicht nur dem Wissenserwerb über biologische und ökologische Zusammenhänge, sondern umfasste auch spezielle Entdeckungs- und Wahrnehmungsspiele. Indem die Schülerinnen und Schüler beispielsweise barfuß und mit verbundenen Augen durch flaches Wasser gingen, wurden eher seltener genutzte sensorische Fähigkeiten aktiviert. Intensive Erfahrungen von Bewegungslosigkeit und Stille in der Natur gehörten ebenso zum Tagesablauf wie die bewusste Wahrnehmung von Tieren am Seeufer und im Wasser. Dabei wurden den Jugendlichen grundlegende Kenntnisse über lokale Wasserprobleme vermittelt.
Umwelterziehung wirkt, im frühen Kindesalter ist sie nachhaltiger
Unmittelbar vor sowie im direkten Anschluss an dieses Erlebnisprogramm gaben die Schülerinnen und Schüler Auskunft über ihre Beziehung zur Natur. In beiden Altersgruppen war die Naturverbundenheit während des viertägigen Programms signifikant angestiegen; in der jüngeren Gruppe noch stärker als in der älteren Gruppe. Aber wie nachhaltig ist das gewachsene Bewusstsein für die Tatsache, ein Teil der Natur zu sein? Vier Wochen später zeigte eine dritte Befragung, dass sich die jüngeren Kinder zwischen 9 und 10 Jahren ihre gestärkte Verbundenheit mit der Natur bewahrt hatten. Doch bei den Älteren zwischen 11 und 13 Jahren war sie bereits deutlich abgeschwächt und nicht mehr weit entfernt von dem Stand, den die Befragung vor der Teilnahme an dem Programm ergeben hatte.
„Diese zweite Studie ist zunächst einmal ein klares Indiz dafür, dass Umwelterziehung bei Kindern und Jugendlichen tatsächlich Wirkung zeigen kann“ meint Dr. Anne K. Liefländer. „Mit klug durchdachten Maßnahmen lässt sich tatsächlich etwas erreichen, und insofern ist unsere Untersuchung eine Ermutigung für alle, die sich auf diesem Gebiet engagieren.“ Aber was ist der Grund dafür, dass der erzielte Lernerfolg bei älteren Schülerinnen und Schülern so rasch wieder verfliegt? Die Bayreuther Didaktikerin sieht eine mögliche Ursache in der Pubertät, die dazu führt, dass Kinder ein stärkeres Bewusstsein für die eigene Autonomie entwickeln. Sie wollen von Erwachsenen nicht dauerhaft dahingehend beeinflusst werden, dass sie das eigene Ich in einen größeren Natur- und Umweltzusammenhang einordnen sollen. „Programme der Umwelterziehung sollten deshalb am besten schon im frühen Kindesalter ansetzen. Dann ist die Chance am größten, dass sie auf Dauer ein Natur- und Umweltbewusstsein entwickeln, wie es für die Lösung künftiger ökologischer Herausforderungen erforderlich ist“, so Dr. Liefländer.
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