„Die Boom-Stadt Bamberg ist für den Naturschutz eine Herausforderung“

Dr. Jürgen Gerdes war 30 Jahre lang Naturschutzbeauftragter der Stadt Bamberg. Ende August geht der Biologe in den Ruhestand. (Foto: Stadt Bamberg, Sonja Seufferth)
Dr. Jürgen Gerdes war 30 Jahre lang Naturschutzbeauftragter der Stadt Bamberg. Ende August geht der Biologe in den Ruhestand. (Foto: Stadt Bamberg, Sonja Seufferth)

Naturschutzbeauftragter Dr. Jürgen Gerdes blickt zum Abschied auf 30 Jahre Tätigkeit in Bamberg zurück.

Er ist ein echter Vorreiter: Anfang der 1990er Jahre wurde Jürgen Gerdes erster hauptamtlicher Naturschützer der Stadt Bamberg. Ende August geht der promovierte Biologe nun in den Ruhestand. Nach Jahrzehnten im Dienst der Unteren Naturschutzbehörde kennt er jeden Flecken im Stadtgebiet. Und dennoch gibt es in der Bamberger Natur immer wieder Erstaunliches zu entdecken, wie er im Interview schildert.

Frage: Sie haben in Ihrer Zeit als Naturschutzbeauftragter viele sensationelle Entdeckungen miterlebt. Was war die spannendste Entdeckung?
Dr. Jürgen Gerdes: Das war die Entdeckung des Wachtelkönigs, ein in Deutschland vom Aussterben bedrohter Brutvogel.

Wie kam es dazu?
Das war in den neunziger Jahren, als ich mit Thomas Stahl vom Landesbund für Vogelschutz drei rufende Männchen in der Südflur am Sendelbach entdeckt habe. Thomas Stahl war kurz zuvor in Polen und hat dort Wachtelkönige kartiert. Damals hat er mich in meinem Garten besucht. Auf einmal hörte er einen Wachtelkönig rufen – was sehr unwahrscheinlich war, weil es den Wachtelkönig schon lange nicht mehr bei uns gab. Mit Tonbandaufnahmen hat der Experte den Vogel angelockt. Man sah im Dunkeln nur die Wiesenhalme wackeln. Und tatsächlich kam das Tier im Taschenlampenlicht bis zu unseren Füßen.

Gibt es die Tiere immer noch in Bamberg?
Es waren drei rufende Männchen, aber es war kein Weibchen da. Deshalb sind sie wieder abgewandert. Der Wachtelkönig ist ein sehr unsteter Vogel. Ähnlich verhält es sich mit dem Storch, der nach 120 Jahren Abwesenheit wieder bei uns aufgetaucht ist.

Wann war das?
Vor vier Jahren. Jetzt brütet er wieder auf dem früheren Barockhotel. Dass der Storch in die Stadt zurückkommt, war eine Belohnung. Aber es gibt auch neue Arten, wie die Italienische Schönschrecke, die aus dem mediterranen Raum zuwandert. Oder auch Holzbienen, das sind große schwarze Bienen.

Ist es ein schlechtes Zeichen, wenn Arten aus dem Süden bei uns heimisch werden?
Ein schlechtes Zeichen nicht, weil es in wärmeren Klimata mehr Arten gibt. Insofern wird die Artenvielfalt auch bei uns zunehmen, wenn es wärmer wird. Aber es werden andere Arten sein, die sich nach Norden verschieben. Tragisch ist es für Gebirgsarten. Die können nicht ausweichen, irgendwann ist auch der Gipfel zu warm. Dann ist Schluss für sie.

Wo steht Bamberg beim Naturschutz?
Bamberg steht sehr gut da, hat sehr gute Voraussetzungen aufgrund seiner geografischen Lage. Und ich denke, wir haben es in den letzten 30 Jahren gut geschafft, die Werte zu erhalten, die wir haben. Hier ziehe ich auch meinen Hut vor dem Stadtplanungsamt. Dieses hat hauptsächlich alte Industriebrachen rekultiviert und in Wohnviertel verwandelt. Das kam nicht bei jedem gut an. Manche hätten lieber Gewerbe daraus gemacht. Die Planungen für das Schaeffler-, Glaskontor- und Erba-Gelände, wo auch ein neuer Park entstanden ist, fand ich sehr gut. Es wurde viel Rücksicht auf natürliche Ressourcen genommen. Wir haben uns nicht wie andere Städte in der Landschaft ausgebreitet. Es ist also sehr flächenbewusst geplant worden. Wir sind flächenmäßig eine der kleinsten Städte in Bayern und gleichzeitig Boom-Stadt, was eine Herausforderung für den Naturschutz bedeutet.

Boom-Stadt auch bei der Artenvielfalt, wie Sie gesagt haben. Haben wir also keinen Artenschwund?
Was zu wenig thematisiert wird, ist der Flächenverlust. Die Klimaerwärmung sorgt dafür, dass bei uns mehr Arten leben. Diese können bei uns aber nur leben, wenn sie einen Lebensraum haben. Heißt also, dass die Flächenversiegelung durch die Infrastruktur so nicht weitergehen darf. Global gesehen wird dagegen die Artenvielfalt abnehmen. Die meisten Arten leben im tropischen Regenwald. Wenn dieser abgeholzt wird, ist das für mich das Schlimmste.

Wie hat sich der Naturschutz verändert in der Zeit, in der Sie bei der Stadt Bamberg tätig waren?
Der Naturschutz musste sich erstmal eine gesellschaftliche Anerkennung erarbeiten. Er ist sehr professionell geworden. Er ist wie alles digitalisiert, sehr strukturiert und rechtlich weiterentwickelt worden. Diese zusätzlichen Aufgaben brauchen auch mehr Personal. Insofern ist es jetzt gut, dass meine Stelle um eine weitere ergänzt wird. Denn wir waren in Bayern tatsächlich eine der wenigen kreisfreien Städte, die nur eine Fachkraft hatten. Wir müssen uns mit EU-Richtlinien auseinandersetzen, Verträge mit Landwirten abschließen oder Fördergelder vom Freistaat und vom Bund verteilen. Die Aufgaben haben enorm zugenommen. Es gibt inzwischen ein europäisches Schutzgebietssystem, die sogenannten Flora-Fauna-Habitat-Gebiete. Natura 2000 ist hier der Gesamtbegriff. Immerhin elf Prozent der Bamberger Stadtfläche sind FFHGebiet: Bruderwald, Hain, ein Teil der Mainauen und die Regnitz im Süden Richtung Pettstadt. Das muss natürlich verwaltet werden.

Wie wird Bamberg in den nächsten 30 Jahren aussehen? Grüner?
Ja, auf jeden Fall. Der Klimawandel und die Klimaanpassung erfordern eine stärkere Durchgrünung. Und da gibt es noch viele Flächen, die zur Verfügung stehen: Wenn man Wände, Zäune, Mauern oder Dächer nicht als Tabu sieht, dann gibt es noch ganz schön viel Potenzial. Zumal mit der Bebauung auch die Oberfläche zunimmt. Meine jungen Kollegen haben hier ein Förderprogramm entwickelt, das ab diesem Jahr läuft.

Haben Sie einen Geheimtipp, wo man die Natur in Bamberg besonders genießen kann?
Ja, es gibt unseren stadtökologischen Lehrpfad. Wenn man am Michelsberg startet, hat man einen tollen Blick und sieht das Ziel, die Altenburg. Und man erlebt entlang des Pfads ganz verschiedene Biotoptypen. Das ist ein Weg, den auch viele Bamberger nicht kennen. Er ist sehr schön zu begehen, sehr zu empfehlen. Leider kommen wir jetzt auf der Altenburg an, ohne dort essen zu können…

Haben Sie einen Lieblingsplatz?
Ich bin gerne am alten Rothof, wo das Naturdenkmal, die Linde, steht. Von dort hat man einen tollen Ausblick auf die Altenburg und ins Land. Und es ist nicht überlaufen. Wir haben da vor 20 Jahren eine schöne Kirschbaumreihe gepflanzt. Zur Kirschbaumblüte ist das besonders schön.

Worauf achten Sie, wenn Sie in der Natur sind?
Ich schau die Pflanzen, die Vögel an. Alles, was mir begegnet. Oft bin ich ja unterwegs, weil ich einen Auftrag habe oder eine Stellungnahme schreiben muss und mir vor Ort ein Bild mache. Das ist eine Grundregel, die ich mir gegeben habe: Dass ich nicht vom Schreibtisch aus urteile. Da gibt es ja ständig was zu tun. Es geht um Bauanträge, Straßenbau, Gewerbe oder Wohnen. Ich bin wegen der Konversionsflächen mit den Landes- und Bundesbehörden in Kontakt. Die müssen sich auf der Muna oder auf dem Schießplatz natürlich ebenso an den Naturschutz halten.

Welchen Wert haben die Konversionsflächen für den Naturschutz?
Die Flächen sind extrem hochwertig. Truppenübungsgelände sind ja oft Naturschutzgebiete. Und durch den Abzug der Amis haben wir acht Prozent Stadtfläche dazugewonnen. Das war natürlich historisch, ein echtes Erlebnis auch für mich. Der Bund hat ja großartiger Weise im Landkreis das Nationale Naturerbe eingerichtet. Direkt an der Stadtgrenze wurden über 300 Hektar mit einem Schlag unter Naturschutz gestellt. Das war ein Geschenk zu meinem 25. Dienstjubiläum (lacht). Dass nur noch Teile der Muna bebaut werden, ist auch ein großer Erfolg des Naturschutzes und der Bürger. Auch wenn es natürlich für die Stadt schwierig ist, da Flächen für Gewerbe fehlen. Was mich auch freut: Der Flugplatz wird Naturschutzgebiet. Dazu läuft das Verfahren seitens der Regierung bald an. Ich kann jedenfalls zum Ende meiner Dienstzeit sehr zufrieden sein, da der Großteil des ehemaligen Militärgeländes Natur bleibt.

Info

Der Naturschutz entwickelte sich erst langsam, um dann enorm an Fahrt aufzunehmen: Nach der Einführung des Bundesnaturschutzgesetztes 1976 dauerte es noch 15 Jahre, bis der Naturschutz in den Kommunen hauptamtlich wahrgenommen wurde. Auch in Bamberg. Bis 1990 hatte sich Erich Reuthner neben seiner Hauptaufgabe als damaliger Leiter des Gartenamtes um den Naturschutz gekümmert, extern wurde er dabei von Dr. Winfried Potrykus, Biologielehrer am E.T.A.-HoffmannGymnasium, beraten. Mit der Einstellung von Dr. Jürgen Gerdes unter Max Reichelt, dem ersten Umweltreferenten der Stadt Bamberg, wurde der Naturschutz professionalisiert. Da immer mehr Aufgaben hinzukommen, folgen auf Gerdes nun zwei Fachkräfte: Thomas Fischer und Katja Lüdicke.

Anders als bei den bayerischen Landkreisen ist bei den kreisfreien Städten die Untere Naturschutzbehörde in die Kommunalverwaltung integriert. Als Aufsichtsbehörde vollzieht sie aber staatliche Aufgaben und muss auch das Handeln der Stadt naturschutzfachlich und -rechtlich beurteilen. „Das ist nicht immer amüsant“, sagt Gerdes. Sofern möglich hat der Biologe auch städtische Projekte vorangetrieben: Gemeinsam mit dem Gartenamt wurde bereits 1999 damit begonnen, entlang des Berliner Rings nicht mehr so oft zu mähen. Die Vielfalt an Kräutern und Stauden von der A70 bis zur Südausfahrt des Berliner Rings hat dadurch von 320 auf 470 Arten zugenommen.

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