Nach 70 Jahren: Der „Herrenwald“ schließt am 31. Dezember 2023 seine Pforten
Der „Herrenwald“ – eine Institution macht zu. An Silvester, in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar werden Wirtin Elfriede Engelbrecht und Tochter Sandra das letzte Bier zapfen und ein letztes Mal mit ihren treuesten Stammgästen anstoßen.
Nach 70 Jahren – schließt damit eine weitere familienbetriebene Gaststätte mit Biergarten und Kegelbahn in dem Speichersdorfer Weiler zwischen Windischenlaibach und Unterschwarzach ihre Pforten. „Mit einem weinendem und einem lachenden Auge, mit viel Wehmut, aber auch Erleichterung“, so Wirtin Elfriede (Elfi) Engelbrecht mit einer Träne in den Augen.
Ein weiteres markantes Beispiel für das grassierende Wirtshaussterben. Es ist für die Speichersdorfer, für die oberfränkisch-oberpfälzische Wirtshauslandschaft und darüber hinaus ein weiterer Einschnitt. Der Entscheidung sei ein langer, quälender Abwägungsprozess vorausgegangen, verhehlt Tochter Sandra nicht. Viele Tränen seien in den letzten Monaten geflossen, beteuert sie. „Die Entscheidung dazu fiel uns allen sehr schwer. Doch wir schaffen dieses große Arbeitspensum nicht mehr.“ Um der Gerüchteküche vorzubeugen, stellt sie aber gleichzeitig fest, dass der Herrenwald nicht verpachtet, geschweige denn verkauft wird. Auch die Dauercamper bleiben. „Wer weiß denn schon, was alles noch kommt, und welche Türen sich noch auftun. Im Moment aber lassen wir das Gasthaus Herrenwald ruh´n.“
Hintergrund: Elfie Engelbrecht kann am 2. Januar 2024 ihren 75. Geburtstag feiern. Im Oktober waren es 56 Jahre, dass die Gaststätte ihr Leben, ihr Zuhause war. Wen wundert´s, dass der Wirtshausbetrieb da gesundheitlich seine Spuren hinterlassen hat. Ganz abgesehen davon, so Sandra, ist es alles andere als gewöhnlich, erst mit 75 in den Ruhestand zu gehen. Auch die Kinder haben von klein auf ihre gesamte Freizeit in das Gasthaus gesteckt, um ihre Mama zu unterstützen und den Betrieb am Laufen zu halten. Das ist auf Dauer nicht durchzuhalten, stecken sie doch allesamt voll im Berufsleben, so Tochter Sandra.
Neben der Vollzeitbeschäftigung stand sie vor allem seit dem Tod ihres Vaters Edi im Sommer 2020 treu an Mamas Seite. „Ich bin durch die Doppelbelastung zu nichts anderem mehr gekommen, nirgends mehr hingekommen. Das gleiche gilt für ihren Lebensgefährten Gerd, für Schwester Iris und Schwiegersohn Jürgen, der vor allem die letzte Zeit nur noch mit Schnitzel klopfen beschäftigt war, für die Enkelkinder Patrick, Magdalena, Uma und Pia oder die Freunde des Hauses Sandra Buchbinder und Manuela Schätzge. Sie allesamt waren das Jahr über nicht nur 14. Nothelfer oder Feuerwehr, wenn am Wochenende das Gasthaus aus allen Nähten zu platzen drohte. Elfriede Engelbrecht konnte sich auf sie alle verlassen. Entsprechend groß ist ihr Dank, allen voran an Tochter Sandra, der eine Träne des Glücks in den Augen weit mehr zum Ausdruck bringt, als Worte es vermögen
Zudem wirft der Gasthausbetrieb nicht mehr so viel ab, um die Ausgaben, die inzwischen vielen Auflagen zu decken und das Ganze wirtschaftlich und rentabel zu betreiben. Dafür wäre „full house“ nicht nur am Sonntag nötig. Wer die letzten Jahre genau hingesehen habe, müsse unweigerlich feststellen, dass es unter der Woche immer öfter sehr still geworden sei, bitten Elfi und Sandra vor allem ihre treue Kundschaft um Verständnis. Für manche sei die Gaststätte auch „zu weit ab vom Schuss“, für andere „zu gering“ gewesen, verhehlen die Engelbrechts nicht im Blick auf das in den letzten Jahren sich gravierend verändernde Anspruchsdenken der Kundschaft. Zudem zwang Corona dazu, dass selbst die Schafkopferer nicht mehr kommen konnten. Darüber hinaus reifte die schmerzliche Erkenntnis, dass es immer mehr nur die wirklich treuen Gäste interessierte, dass immer sehr viel Liebe und Herzblut in die Arbeit gesteckt, ja 70 Jahre lang viel an Lebenszeit in den Familienbetrieb investiert wurde und das Wirtshaus 24/7 das Leben dominierte. Auch war in Sachen Aufwand und Nutzen ohnehin über all die Jahrzehnte ein zweites Standbein erforderlich, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
Im „Herrenholz“, wie das Gebiet früher hieß, hatten die in Kodlitz 3 wohnenden Großeltern Wilhelm und Magdalena Engelbrecht nach der Jahrhundertwende ein Grundstück gerodet, um dort zunächst Flachs anzubauen. In der Kriegszeit des ersten Weltkriegs käuflich erworben entstand hier ein Bauernhof. Der Grundstein für den Speichersdorfer Weiler zwischen Windischenlaibach und Unterschwarzach, der in den folgenden Jahrzehnten zu einer kleinen Oase und zum Refugium ausgebaut wurde, war gelegt. Zu den Schicksalen rund um den Herrenwald gehört aber auch, dass 1951 ein eingemieteter Mauerer den Bauernhof in seinem Rausch durch die Unachtsamkeit abfackelte. Anfang der 90er Jahre hätte sich das Schicksal um Haaresbreite wiederholt. Doch konnte ein Zimmerbrand gerade noch gelöscht werden, bevor erneut größeres Unglück geschah.
Wilhelm Engelbrecht baute erneut, dieses Mal ein Gasthaus mit Pension. Der „Herrenwald“ öffnete 1954 seine Pforten. Zu den vielen Anekdoten rund um den Herrenwald gehört, dass der am 4. Oktober 1936 geborene Sohn Edwin (+ 2020) im Alter von vier Monaten schon Eigentümer des drei Hektar großen Waldgrundstücks Herrenwald wurde. Der Vater hatte es ihm kurz nach der Geburt 1936 überschrieben, da ihm der Bürgermeister zu verstehen gegeben hatte, dass er als erklärter Nazi-Gegner keinen Grundbesitz haben dürfe.
Seit 1967 ist der Herrenwald schließlich endgültig mit den Namen Elfriede & Edi Engelbrecht verknüpft. Bei einem der Montageaufenthalte von Edi Engelbrecht 1964 an der Uni Heidelberg mit Übernachtung in Waldhilsbach bei Heidelberg hatten sich der damals 29-Jährige und die knapp 16-jährige Wirtstochter Elfriede kennengelernt. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt sie, und für beide die Liebe des Lebens. An Edi´s 31. Geburtstag, am 4. Oktober 1967, gaben sich das Kodlitzer Urgestein und die badische ruhige Gemütsseele in der evangelischen Pfarrkirche in Birk vor Pfarrer Hacker das Ja-Wort. 2017 konnten sie Goldene Hochzeit feiern. 2020 musste Elfie ihren geliebten Edi zu Grabe tragen.
Während sich 1971 Edi Engelbrecht als Innenausbauer selbständig machte und das Geschäft bis zum Ruhestand 1991 betrieb widmete sich Elfie Engelbrecht dem Wirtshausbetrieb und der Bestellung zunächst großer Erdbeerfelder. Als der Erdbeerverkauf durch die Supermarktkonkurrenz nichts mehr einbrachte, wurden die Felder zur Campingwiese umstrukturiert. Erst 1972 erfolgte etwa die Anbindung ans Stromnetz (vorher mit Aggregat), 1973 an die Wasserleitung über die Kellerhut (vorher Brunnenversorgung), erinnert sich Elfi Engelbrecht an die Beschwernisse der ersten Jahre. Vor allem Gaststätte, Campingplatz, Biergarten, Kegelbahn und der Saal für 80 Gäste in idyllischer Lage wurden im Laufe der Jahre immer mehr zum Anziehungspunkt von Gästen aus aller Herren Länder. Übernachtungsgäste, Urlauber, Camper, Fahrradfahrer und Motorradfahrer kamen selbst aus Holland, Frankreich, England und Griechenland, Slowenien und Nordfriesland.
Als Anlaufstelle für bürgerliche Küche wurde der Herrenwald vor allem von Gästen aus der Stadt Bayreuth geschätzt. Zum harten und treuen Kern aber zählten vor allem die Windischenlaibacher Rentner, die Schafkopfer und Mucker und die Kameraden der Soldatenkameradschaft, die hier ihr Vereinslokal hat. „Wir haben unvergessliche schöne Stunden und schöne Zeiten verlebt“, so Elfriede Engelbrecht. „Vor allem sie werde ich unendlich vermissen“, beteuert sie. „Ach, es gäbe weiß Gott unendlich viel zu erzählen“, so Elfriede und Sandra unisono. Unvergessen sind die im Herrenwald gefeierten fünftägigen Herrenwaldkirchweihen am ersten Augustwochenende Ende der 60er und 70 Jahre im Bierzelt, bevor sie ab 1979 direkt im Gasthaus Herrenwald stattfanden. Im Jahr 2011 wurde dann die letzte Kirchweih im Herrenwald gefeiert und gebührend „begraben“. Unvergessen die Fußballstammtischmannschaft Herrenwald, die vor 40 Jahren um den vom „Busenfreund“ Adam Gmeiner gestifteten Wanderpokal mitspielte.
Worauf freut sich Elfriede Engelbrecht am meisten? Wir haben immer alles selbst hergerichtet, so Elfi Engelbrecht. Dienstag wurde eingekauft. Mittwoch sei der Tag gewesen, an dem Salate gewaschen, Kartoffel, Karotten und Gurken geschält wurden. Ab dem neuen Jahr kann sie Tochter Sandra in die Arbeit und Enkeltochter Magdalena verabschieden in die Schule, ohne an Einkaufen, Tischdecken und Handtücher waschen, Salate herrichten, an die Brauerei denken zu müssen. Und dann will sie einfach mal immer wieder wegfahren. Zur Schwester Waldhilsbach bei Neckargemünd und zu den beiden Brüdern in der Heidelberger Ecke. Alles andere wie Reisen: „Schau´ma´ mal!“
Aber bis dahin stehen Elfriede und Sandra Engelbrecht noch harte Tage und Wochen ins Haus. Geburtstagsfeiern, Kegelabend, Weihnachtsfeiern, der Vdk-November-Treff und die Veteranen-Jahreshauptversammlung stehen an. Brauereivertreter, Bürgermeister und viele Vereinsabordnungen werden der Wirtin zudem zum Abschied ihre Aufwartung machen, ist sie wie auch ihr verstorbener Gemahl Edi nicht nur sprichwörtlich „bekannt wie ein bunter Hund“. Edi Engelbrecht war auch Mäzen und Vereins- und Vorstandsmitglied bei der Windischenlaibacher Soldatenkameradschaft, der Feuerwehr, dem TSV Kirchenlaibach und Fichtelgebirgsvereins, der Speichersdorfer Reservisten, des Schmidtie-Stammtisches und des Ritterbundes Waldeck zue Kemenatha. Ganz zu schweigen von den vielen Anmeldungen, die noch einmal die gute bürgerliche Küche genießen möchten. Selbst am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag ist geöffnet. Nur am Mittwoch, 27. Dezember, hat der Herrenwald geschlossen, bevor von Donnerstag, 28. Dezember, bis Sonntag, 31. Dezember, der Endspurt stattfindet und Elfi und Sandra Engelbrecht in der Silvesternacht mit ihren getreuesten Stammtischlern die Zeit des „Herrenwald“ in den 1. Januar hinein ausklingen lassen.
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