Tintenfisch im Forchheimer Kellerwald?
Was haben die Don Bosco – Kinder denn da neulich auf ihrer Herbstwanderung aus dem Unterholz des Kellerwaldes Forchheim gefischt? Signalrot, mehrere tentakelförmige Arme, glänzend–schleimige Oberfläche. Ein Tintenfisch im Kellerwald?
Was wie eine Zeitungsente oder ein verirrter Aprilscherz anmutet, war natürlich nicht ein intelligentes Weichtier aus der See, aber auch nicht minder exotisch: ein ungewöhnlicher Bodenbewohner aus dem Reich der Pilze wurde hier entdeckt: Chlathrus archeri, zu deutsch Tintenfisch- oder Krakenarmpilz.
Wenn man von diesem Waldbewohner noch nichts gehört hat, zeugt das nicht von fehlendem Wissen um die heimische Lebenswelt. Vielmehr ist der ungewöhnliche Pilz ein Neobiont und nicht bei uns heimisch. Er stammt ursprünglich aus dem fernen Australien oder Neuseeland und wurde um die vorletzte Jahrhundertwende nach Europa eingeschleppt. Seitdem breitet er sich hier weiter aus und kommt mittlerweile weiträumig, aber nur stellenweise vor.
Neben der exotischen Farbe und Herkunft kann der Tintenfischpilz mit weiteren „überzeugenden“ Eigenschaften aufwarten. Der zur Verwandtschaft der Stinkmorcheln zählende Pilz setzt wie sein einheimischer Vetter auf Verbreiter zweifelhaften Rufes: er lässt seine Sporen von Fliegen und Käfern transportieren, die sonst von Aas oder Kot angelockt werden. Hierzu hüllt sich der Fruchtkörper in ein süßlich- widerliches Bouquet, welches beide Gerüche vereint. Manch Biologe*in äußert gar die Hypothese, dass mit der rötlichen Farbe auch das Aussehen verendeter Tiere imitiert werden soll. Ob dies zutrifft, sei dahingestellt. Das Gesamtpaket scheint jedenfalls zu überzeugen, denn auf den Fruchtkörpern kann man diverse Fliegen und bestimmte Käfer beobachten, an deren Körpern die dunkle Sporenmasse kleben bleibt und so im Wald verbreitet wird.
Angst vor einem einheimischen Wald der Zukunft, der übersät mit den auffälligen Fruchtkörpern ist, braucht man dennoch nicht zu haben: die Art gehört nicht zu den invasiven Neobiota, die sich in ihrem neuen Lebensraum stark ausbreiten und einheimische Arten verdrängen. Wer also gerne Hexeneier (die sehr jungen, eiförmigen Fruchtkörper) der einheimischen Stinkmorcheln isst, muss keine Angst haben, dass diese seltener werden könnten. Die Hexeneier des Tintenfischpilzes gelten im übrigen als ungenießbar, da ihnen schon ein Teil des später typischen Geruchs anhaftet. Es bleibt also, mit offenen Augen durch den Herbstwald zu wandeln und, vielleicht mit zugekniffener Nase, sich an den exotisch anmutenden Fruchtkörpern zu erfreuen.
Carsten Schlegel
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