Orchidee des Jahres 2024: Die Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea)
Die Mücken-Händelwurz ist von den Arbeitskreisen Heimische Orchideen (AHO) in Deutschland zur Orchidee des Jahres 2024 proklamiert worden. Sie wollen mit der Darstellung von Aussehen und Lebensweise heimischer Orchideenarten einen Beitrag zu den Problemen des Florenschutzes leisten. Es soll aber nicht nur darauf hingewiesen werden, dass unsere einheimischen Orchideenarten bedroht bis stark gefährdet sind, sondern dass sie auch Indikatoren für eine noch einigermaßen intakte Natur darstellen können. Wachsen in bestimmten Biotopen Erdorchideen, kann man sicher sein, dass es dort auch noch andere selten gewordene Pflanzen und Tiere gibt, die es wert sind, erhalten zu werden.
Der Gattungsname Gymnadenia setzt sich aus den griechischen Wörtern „gymnos“ (nackt) und „aden“ (Drüse) zusammen. Der Begriff Nacktdrüse stellt daher eine reine Übersetzung dar. Er bezieht sich auf die Klebescheiben der Pollinien, die von keinem Beutelchen bedeckt sind. Die Bezeichnung Nacktdrüse galt lange als vorherrschender deutscher Gattungsname. Neuerdings hat sich der Name Händelwurz durchgesetzt. Er bezieht sich auf die handförmig geteilten Wurzelknollen. Auf den gleichen Sachverhalt weisen althergebrachte Namen wie Händleinblume, Händleinwurz, Jesushand sowie Marienhändchen hin. Der griechische Artname conopsea bedeutet „mückenartig“ und nimmt Bezug auf das Aussehen der Blüten. Daraus resultieren auch die weiteren deutschen Namen wie Fliegen-Nacktdrüse oder Stechfliegenorchis.
Die Mücken-Händelwurz spielte einst auch in der moralischen Erziehung eine Rolle. Die vorjährige Speicherwurzel ist deutlich schwarz, in starkem Kontrast zur fast weißen diesjährigen. Den Kindern konnte nun mittels einer Schüssel Wasser sehr leicht die Überlegenheit des Guten über das Böse illustriert werden. Das weiße, gute „Christus-“ oder „Herrgottshändchen“ schwamm an der Oberfläche, während die schwärzliche „Satans-“ oder „Totenhand“ versank. Betrachten wir die Verbreitung der Händelwurz in der botanisch greifbaren Vergangenheit, so sehen wir deutlich, dass die moralische Kindererziehung wohl kaum der Grund für ihren starken Rückgang sein kann.
Die Mücken-Händelwurz siedelt in der Fränkischen Schweiz auf Halbtrockenrasen, Wacholdertriften, in Gebüschzonen und an Waldrändern. Darüber hinaus kommt sie besonders gern in aufgelassenen Steinbrüchen vor, in welchen sie oft individuenreiche Bestände bildet, so zum Beispiel bei Rettern und bei Urspring. Sie verfügt über eine ökologische Streubreite, die zum Nutzen der Art eine weit gefächerte Standortverteilung möglich macht. Somit ist die Mücken-Händelwurz gegenüber anderen Orchideenarten bestens gerüstet, an ihren Wuchsorten kräftige Pflanzen mit auffallend großer Blütenähre hervorzubringen. Die meist in kleinen Trupps stehenden Gewächse lassen sich dann aufgrund ihrer Größe leicht entdecken. Überhaupt ist sie – auch von der Individuenzahl her – wohl eine der häufigeren Orchideen der Fränkischen Schweiz, da an ihren Fundorten ziemlich umfangreiche Populationen auftreten.
Die Mücken-Händelwurz ist eine ausgesprochene Schmetterlingsblume. Ihre zahlreichen, aber relativ kleinen Blüten, tragen einen langen und dünnen Sporn, der reichlich Nektar produziert. An den Blütensaft kommen jedoch nur Schmetterlinge mit einem entsprechend langen Rüssel heran. Beim Herumstochern im Nektargefäß berühren sie die Klebescheiben der Pollinien, die nah am Sporneingang positioniert sind. Auf den Blütenständen halten sich besonders oft Widderchen auf, aber auch Bläulinge, Weißlinge, Edelfalter, Ritterfalter, Schwärmer und Dickkopffalter besuchen die Blüten. Andere nektarsuchende Insekten werden vom Duft zwar angelockt, müssen jedoch unverrichteter Dinge wieder abfliegen. Es gibt allerdings auch hier Nektarräuber. Findige Hummeln benagen das Ende des Sporns, statt ihrem „Befruchtungsauftrag“ nachzukommen und genießen so, nicht ganz ohne Anstrengung, den „süßen“ Lohn.
Auf der Ehrenbürg lassen sich in guten Orchideenjahren mehrere hundert Pflanzen der Mücken-Händelwurz finden. Man trifft auf diese Art in beinahe allen Lichtungen rund um den Gipfel des Walberla. Den Verbreitungsschwerpunkt findet man aber eindeutig im Bereich des Rodenstein. Der Blühbeginn liegt hier in der zweiten Junidekade.
Für die Mücken-Händelwurz besteht zurzeit keine Gefährdung, solange ihre Biotope beweidet oder gemäht werden. Bei kleinflächigen Standorten dringt der Wald infolge natürlicher Sukzession immer weiter vor, sodass die Schneisen in wenigen Jahren zugewachsen sein werden. Da diese Standorte flächenmäßig nur eine geringe Ausdehnung haben, könnte durch Auslichten der Gehölze eine deutliche Bestandsverbesserung erreicht werden. Dies sollte beachtet werden, wenn die Mücken-Händelwurz in der Fränkischen Schweiz weiterhin eine häufige Art bleiben soll.
Adolf Riechelmann
Literatur:
Riechelmann, A. (2019): Orchideen im Naturpark Fränkische Schweiz – Frankenjura .- Verlag PH.C.W. Schmidt, 320 S., Neustadt an der Aisch
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