Aus der Bamberger Leserpost: „Leben in (k)einer post-nationalsozialistischen Gesellschaft: Eine jüdische Perspektive“
Als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft möchte ich meine Gedanken und Sorgen über die aktuellen Entwicklungen in Deutschland teilen, die in den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sowie in unserer Gesellschaft insgesamt zum Ausdruck kommen.
Die jüngsten Wahlen haben bundesweit für Diskussionen gesorgt. Einige sehen in den Ergebnissen einen „Rechtsruck,“ aber aus meiner jüdischen Perspektive erfordert die Lage eine genauere Betrachtung. Diese Wahlen sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen, unzureichenden Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, die bisher mehr das Ziel verfolgt hat die eigene deutsche Geschichte zu idealisieren und einer wachsenden Verbreitung rechter Propaganda.
Die Politik und staatlichen Institutionen haben sich bisher nur oberflächlich mit dem Problem des Rechtsextremismus beschäftigt. Selbst der Sammelband „Extreme Sicherheit 2019“ der TAZ, der auf Rechtsradikale in Polizei, Bundeswehr und anderen Staatsinstitutionen hinwies, blieb weitgehend unbeachtet.
Als jüdischer Bürger mache ich mir besonders Sorgen über die Ignoranz gegenüber rechtsextremen Aktivitäten und Antisemitisms.
Ein beunruhigendes Zitat des Landtagsabgeordneten und Polizeihauptkommissars Holger Dremel (CSU) im Rahmen des PoliTalks im Stadtjugendring Bamberg verdeutlicht diese Problematik. Dremel behauptete, dass die rund 600 untergetauchten Rechtsextremen und gewalttätigen Neonazis nicht gefunden werden könnten, da sie, Zitat: „noch nichts getan haben.“ In einer Zeit, in der rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaft an Bedeutung gewinnt und sogar im Parlament vertreten ist, stellt sich für mich die Frage nach der Zukunft unserer Demokratie und der Sicherheit in Deutschland mit großer Dringlichkeit. Ein Blick auf die Statistiken zeigt die wachsende Bedrohung. Seit 1980 gab es keinen linken oder grünen Terroranschlag in Deutschland, aber allein in Bayern wurden 21 rechtsextreme Terroranschläge registriert. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 5,5-mal mehr rechtsextreme Straftaten als linksmotivierte Straftaten verzeichnet.
Die Idealisierung der deutschen Vergangenheit und die Verzerrung historischer Fakten haben rechtsextremen Parteien sowohl gesellschaftliche als auch politische Legitimität verschafft.
Diese Entwicklungen gefährden unsere Demokratie und den Fortschritt hin zu einer wertebasierten Zukunft. Diese Idealisierung der Vergangenheit hat zur Konsequenz, dass rechtsextreme Ideologien in unserer Gesellschaft immer mehr Akzeptanz finden und eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie darstellen.
Besorgniserregend ist auch die Entwicklung in Bamberg, wo die Israelitische Kulturgemeinde eine problematische Nähe zu nationalistischen und antisemitischen Partei AfD zeigt. Diese Nähe legitimierte rassistische und völkische Ideen und gefährdet die Sicherheit von Juden und Jüdinnen in Deutschland. Die Kritik an der Gemeinde wird oft mit dem Vorwurf des Antisemitismus unterdrückt, was zu einer gefährlichen Instrumentalisierung des Holocaust und des Antisemitismus führt.
Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft in einer Zeit, in der Antisemitismus aggressiv anwächst und die AfD als rechtsextreme Partei im bayerischen Landtag nicht nur Einzug hält, sondern eine der Stärksten Parteien ist. Es ist an der Zeit, die Legitimität extremistischer Ideologien zu überdenken und entschieden gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus vorzugehen.
Die Sicherheit und das Wohlergehen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sollten weiterhin als Gradmesser für die Stabilität unserer Demokratie dienen, wie der ehemalige deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte. Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland werfen jedoch ernsthafte Fragen über die Stabilität unserer Demokratie und die Sicherheit von Minderheiten auf. Es bricht mir das Herz zu sehen, wie jüdische Menschen gezwungen sind, Reisepässe zu beantragen und Koffer zu packen, um sich vor möglichen Gefahren zu schützen. Noch bedrückender ist die Tatsache, dass Eltern zunehmend zögern, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und der örtliche jüdische Sportverein gezwungen ist, den Trainingsbetrieb einzustellen. Diese beunruhigenden Entwicklungen werfen dringliche Fragen auf: Wie sicher ist unsere Demokratie, und welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen, um ein Klima der Toleranz und Sicherheit für alle Bürger zu gewährleisten? Der Blick auf die jüngsten politischen Ereignisse und die gesellschaftliche Stimmung lässt mich mit wachsender Sorge auf die kommenden Wochen und Monate blicken. In einer Zeit, in der die Stimme des Antisemitismus immer lauter wird und rechte Parteien an Einfluss gewinnen, müssen wir uns zusammenschließen, um diesen bedrohlichen Kräften gemeinsam entgegenzutreten. Lasst uns gemeinsam für eine Gesellschaft kämpfen, die von Respekt, Toleranz und Vielfalt geprägt ist, damit alle Bürger unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion in Sicherheit und Würde leben können.
Dustin Opitz,
Bamberg
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