Zettels Reflexionen: Absolutes und Relatives
Dass es die absolute Zeit und auch einen absoluten Raum nicht gibt, ist eine der wichtigen physikalischen Erkenntnisse. Wenn zwei Ereignisse, die in einem System gleichzeitig sind, für ein anderes System jedoch zu verschiedenen Zeiten stattfinden, bedeutet das nicht, dass alles beliebig wäre, sondern „nur“, dass es relativ ist, weil es keine absolute Zeit und keinen absoluten Raum gibt, nur die und den wir erleben.
Gebe ich das Empfinden von Raum und Zeit auf, ohne dabei konfus zu werden, sondern weiter ganz sauber Motorrad zu fahren, zu klettern oder logisch zu argumentieren, dann nimmt das ein anderer vielleicht in Raum und Zeit wahr, doch ich erlebe es ohne konkrete Zeit und ohne konkreten Raum, eben in einem Feld von Beziehungen, Zusammenhängen und Potentialität, aber keinen fixen Vorgaben.
Und das öffnet mir das mystische Tor, das die ganze Zeit sperrangelweit offen steht, ich brauche es nur wahrzunehmen. Schaue ich zur einen Seite durch das Tor, sehe ich etwas Relatives, schaue ich hingegen zur anderen Seite hinaus, sehe ich etwas Absolutes. Nur eine Frage meiner Perspektive.
Wenn ich mich beispielsweise über etwas freue oder ärgere, dann ist meine Empfindung absolut und nicht zu diskutieren. Die Annahmen jedoch, die diesen Gefühlen von Ärger oder Freude zugrunde liegen, können durch meine Wahrnehmung verstellt sein, also unzutreffend wahrgenommen sein. Meine Annahmen sind also relativ, die Fakten, auf denen wiederum meine Annahmen beruhen, sind absolut.
Mit anderen Worten: Das mystische Tor ist eine Drehtür mit „absolut“ als dem einen und „relativ“ als dem anderen Ein- beziehungsweise Ausgang. Idealerweise bleibe ich gleichwohl immer in der Drehtür der Wirklichkeit stehen und schaue zu beiden Seiten hinaus. Denn diese Sichtweisen widersprechen sich nicht, nur scheinbar.
Deshalb ist dieses Tor, das wir ja auch aus dem Ch’an kennen, torlos. Vielleicht hat das ja Seng Tsan mit diesem Satz gemeint: „Wenn alles mit Gleichmut betrachtet wird, kehren wir zu unserer Selbst-Natur zurück.“
Peter Zettel
ist pensionierter Anwalt. Seit ein paar Jahren ist er begeisterter Motorradfahrer – sein persönlicher Weg der Selbsterkenntnis. Er interessiert sich für das, was die Welt bewegt und schreibt darüber in seinem Blog zettel.biz
Alle bisher im Wiesentboten erschienen „Zettels Reflexionen„
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