„Konkrete Kunst“ in Bamberg
„Konkrete Kunst nennen wir jene Kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen Mittel und Gesetzmäßigkeiten – ohne äußerliche Anlehnung an Naturerscheinungen oder deren Transformierung, also nicht durch Abstraktion – entstanden sind.“ (Max Bill 1908-1994)
Mit Max Bills klassischer Definition vor Augen können kunstinteressierte Besucher im Juli und August in Bamberg eine besondere Entdeckungsreise durch die Ausstellung EUROPA KONKRET – INTELLIGIBEL des Bamberger Kunstvereins in der Stadtgalerie Bamberg – Villa Dessauer erleben und dabei in den mehr als 140 Arbeiten von über 70 Künstlern der Frage nachspüren: Was ist konkrete Kunst heute?
Vertreten sind Altmeister wie Max Bill und Richard Paul Lohse, deren Werke konsequent ohne Gegenstandsbezug, puristisch, auf sich selbst bezogen, an frühe Avantgarde-Bewegungen des niederländischen De Stijl sowie der russischen Ausrichtung von Suprematismus und Konstruktivismus anknüpfen. Varianten- und Entwicklungsreichtum konkreten Gestaltens, die Freude am Experiment zeigen bis in die Gegenwart hinein die zahlreichen Arbeiten von Künstlern u. a. aus Deutschland, Polen, Spanien, Rumänien, Tschechien. Sie alle verbindet die Befreiung vom Imitationszwang, also dem Nachbilden der sichtbaren Wirklichkeit und die Beschränkung auf zumeist wenige, einfache, geometrische Elemente, modular oder seriell geordnet; Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sind optisch und logisch zu entschlüsseln, die Bildlogik der ausgeklügelten Systeme ist transparent.
Die dennoch äußerst individuellen Handschriften lassen Gruppierungen zu: Farbintensive Arbeiten wie etwa von Ingo Glass oder Waldo Balart stehen neben solchen, die bewusst auf Farbe verzichten. Reduktives definiert sich hier durch Zeichen, Ziffern, Buchstaben, Zahlen und Worte und konzentriert sich so in extremer formaler Rücknahme auf geistige Aspekte. Blums „Konstellation der zeitlichen Energien“ wie auch Arbeiten von Karl Heinz Adler fordern den Betrachter, in einen eigenständigen energetischen Austausch zu treten, der intellektuelle und intuitive Momente einschließt. Konkrete und visuelle Poesie ist vertreten mit Werken von Heinz Gappmeyer und Eugen Gomringer, dem ‚Vater’ der konkreten Poesie, der in Rehau bei Hof das Institut für konstruktive Kunst und konkrete Poesie leitet.
So überraschend vielfältig wie Wege und Mittel, so verschieden sind auch die geistigen Impulse, die sich dem Betrachter eröffnen. „Konkrete Kunst als geistiges Prinzip“ – mit dem Begriff Intelligibel als etwas geistig Fassbarem umschreibt der Sammler und Kurator sein philosophisches Verständnis von Kunst.
Jürgen Blum-Kwiatkowski, Künstler, Philosoph, Museumsleiter und unermüdlicher Projektplaner, begründete 1990 die Stiftung Museum Modern Art im hessischen Hünfeld mit einer hervorragenden Kollektion an Werken, die sich konkreten, konstruktiven und reduktiven Strömungen verschrieben haben. Es gibt kaum einen anderen Ort, an dem in solcher Intensität künstlerische Projekte interaktiv, interdisziplinär und grenzüberschreitend realisiert worden sind, bis hin zur visuellen Poesie in einem „Offenen Buch“, das an den Hausfassaden der Stadt zum Lesen und Nachdenken auffordert.
Zahlreiche Werke dieser Sammlung werden ab dem 17. Juli in der Stadtgalerie Villa Dessauer präsentiert und treten dort in einen spannenden Dialog mit dem gründerzeitlichen Renaissance-Stil des Hauses. Das repräsentative Anwesen wurde 1885 für den jüdischen Hopfenhändler Carl Emanuel Dessauer errichtet, unter den Nationalsozialisten beschlagnahmt und nach dem Krieg von der Stadt Bamberg erworben. Seit 1987 wird es als städtisches Ausstellungsgebäude genutzt; hier hat auch der Bamberger Kunstverein, mit seiner Gründung 1823 einer der ältesten Kunstvereine in Deutschland, Raum für Wechselausstellungen.
EUROPA KONKRET – INTELLIGIBEL
Slg. Jürgen Blum │ MUSEUM MODERN ART Hünfeld
18.Juli 2010 – 29. August 2010
Ausstellungseröffnung Sa. 17.07. 16.00 Uhr
Stadtgalerie Bamberg – Villa Dessauer │96047 Bamberg Hainstr. 4a
www.kunstverein-bamberg.de │www.museum-modern-art.de
Öffnungszeiten
Di – Do 10 – 16 Uhr
Fr 12 – 19 Uhr
Sa │ So 12 – 18 Uhr
Eintritt 3,50 € │ erm. 2,50 € │ Mitglieder der Kunstvereine frei │Schüler 1,00 €
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