Forchheim – blätterWALD-Abschlussveranstaltung mit Helga Bürster
Im blätterWALD ist das letzte Blatt voller berührender Sätze zu Boden gefallen. Mit der Erfolgsautorin Helga Bürster und Auszügen ihres neuen Romans „Eine andere Zeit“ in der Sparkasse Forchheim sind die „Literaturtage im Forchheimer Land“ zu Ende gegangen. Mit dem Zuspruch und vor allem den vielen Lesungen für Kinder und Jugendliche ist das blätterWALD-Team um Emanuela Cavallaro mehr als zufrieden.
Der unbefestigte Weg endet im Nirgendwo. Das Schilf und die Fluten machen ein Weiterkommen unmöglich. Zumindest auf den ersten Blick. Wer sich weiter wagt, stürzt nicht von der Erdscheibe. Er gerät in die pommersche Stille – und mitten hinein ins Leben. Das Fischerdorf Kamp liegt am Rande der Welt. Hier zwischen Stettiner Haff, Insel Usedom und der Peenemündung ereignen sich im Kleinen all jene Dinge, die man im Großen „die Geschichte“ nennt. Die Kargheit der Gegend zeigt sich in Bürsters Sprache. Wie Wind und Wasser an der Küste nagen, so hat sie in ihren Sätzen jedes überflüssige Wort abgeschliffen. Zugleich findet sie für viele Geschehnisse und Schilderungen originelle Bilder, die man trotz tausender Romane anderer Schriftsteller noch nie gehört hat. Das macht die Lesung so intensiv und sorgt dafür, dass das Publikum auch nach weit über einer Stunde noch mehr hören will.
Es ist schon einige Jahre her, dass Bürster in der Regnitzachse gelebt hat. Damals studierte sie in Erlangen Theaterwissenschaften beim legendären Professor Holger Sandig. „Ich wollte zum Theater“. Es blieb nicht bei der Theorie. Bürster wagte sich auf die Bühne. Erst mit einem Kindertheater. „Wir tingelten im Kleinbus durch die Gegend“. Dann machte sie mit zwei Kollegen als Ensemble „Zappenduster“ Kabarett und lernte Lore Lorentz vom Düsseldorfer „Kommödchen“ kennen. „Wir durften mit ihrer Erlaubnis sogar eine ihrer alten Nummern nachspielen“. Später arbeitete Bürster beim Radiosender N1 in Nürnberg als Nachrichtensprecherin. „Es waren die Zeiten, in denen man froh war, überhaupt eine Festanstellung zu bekommen. Ich hatte den Vorteil, dass ich Hochdeutsch sprechen konnte“. Nach acht Jahren endete das „fränkische Abenteuer“ mit dem Umzug nach Bonn. Später kehrte Bürster zurück in den Dunstkreis Bremens, genauer in das Dorf Dötlingen im Landkreis Oldenburg.
Wie Bürster sich für die Landschaften interessiert, die am Rande liegen, faszinieren sie Menschen, die ein Dasein im Abseits führen. „Sie tragen so viel Leben in sich“. Keine strahlenden Helden tauchen aus dem Text auf, dessen Sprachmelodie nicht verbergen kann, dass Bürster eine erfahrene Hörspielmacherin bei Radio Bremen und dem Norddeutschen Rundfunk ist. Es sind zwiespältige, mitunter gescheiterte Figuren, die in ihren historischen Romanen von der unmittelbaren Vergangenheit künden. „Ich wollte eine Ost-West-Geschichte erzählen“. Nach all den erfolgreichen Küsten-Krimis, die Niedersachsen zum Tatort haben, nun also ein Roman, der die 70er Jahre und eine Flucht aus der DDR in den Blick nimmt. Natürlich mit dem Kolorit, in dem ein Lada ohne Federung, der Ost-Winnetou Gojko Mitic und der Held der Arbeit am Fußball Jürgen Sparwasser nicht fehlen dürfen. Dabei ist das Fischerdorf Kamp, heute ein Teil der Gemeinde Bugewitz, nicht ganz zufällig gewählt. Bürster hat hier oft Freunde besucht. Den ehemaligen Chefdramaturgen und seine Ehefrau, eine Schauspielerin, beide am benachbarten Theater Anklam engagiert. „Ihr Bruder ist damals in den Westen geflüchtet. Sie dachte, sie sieht ihn nie wieder“.
Damit der Roman nicht langweilig wird, dürfen die Menschen darin nicht glücklich werden. Eine tiefe, tragische Liebe, Angst, Verrat und Verlust, schlimme Erinnerungen und deren Verdrängung: All das verwebt Bürster zu einem großen Stück Literatur. Es hat sie immer interessiert, wie sich Menschen in ausweglosen Situationen verhalten, was sie daraus machen. Selbst wenn sie scheitern. „Daraus kann man wahnsinnig viel lernen“. Man hätte ihr noch viel länger in „Eine andere Welt“ folgen wollen.
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