Starke Leistung des HC Erlangen wird am Ende nicht belohnt

Symbolbild Handball

In Hannover führt Erlangen lange Zeit deutlich – und verliert in den Schlusssekunden noch 27:28 (13:10)

Es liefen die letzten 25 Sekunden von der Uhr, das so lange bitterbös enttäuschte Hannover Publikum, es hatte sich noch einmal erhoben. Da flog der Pass zu Simon Jeppsson. So häufig hatte der schwedische Rückraumspieler an diesem Tag mit feinen Anspielen geglänzt, mit satten Torwürfen Hannovers Torhüter Domenico Ebner schier zur Verzweiflung gebracht. Doch diesmal, da nahm Jeppsson nicht etwa Anlauf und jagte den Handball noch einmal kompromisslos ins gegnerische Lattenkreuz. Diesmal wollte er es über Tim Zechel lösen. „Wir hatten Respekt vor dem Rückraum gehabt und auch vor dem Zusammenspiel mit Zechel in den letzten Wochen“, verriet später Christian Prokop, Trainer der Gastgeber. Der Ball, er flog also Richtung Kreis, wo Zechel schon die halbe Burgdorfer Deckung lauernd auf seinem Rücken sitzen hatte. Ein Hauen, ein Stechen begann um diesen Ball, Zechel stemmte sich in den Boden, drückte – und kam zu Boden. Reihenweise Hände tasteten hektisch nach dem Spielgerät. Der Pfiff der Schiedsrichter, er blieb aus – Filip Kuzmanovski schaltete am schnellsten, schnappte sich den Ball und warf ihn mitten ins Erlanger Handball-Herz: 27:28. „Das ist Sport“, versuchte Raul Alonso, Erlangens Trainer und Sportdirektor hinterher das Unfassbare irgendwie doch in Worte zu fassen. Es gelang ihm nur schwer: „59 Minuten und 40 Sekunden haben wir geführt“, fasste Alonso zusammen, „das darf man hier nicht mehr verlieren.“

Und wirklich: So lange hatte es sogar nach einem deutlichen Sieg des HC Erlangen ausgesehen in der mit rund 3000 Zuschauern gefüllten Hannoveraner Arena: Vom Anwurf weg führte der HCE, pustete sämtliche Hoffnungskerzen der Gastgeber aus, ehe sie überhaupt angezündet werden konnten. Alles roch nach dem dritten Bundesliga-Auswärtssieg in Folge: 1:0 Zechel vom Kreis, 2:0 postwendend nach Ballbesitz und Gegenstoß von Christopher Bissel – das Publikum, das sich auch in Hannover immer erst setzt, wenn Burgdorf sein erster Treffer gelungen ist, es musste somit 1:37 Minuten stehen. Eine gefühlte Ewigkeit. Doch auch dann beherrschte nur der HC Erlangen das Geschehen: Tore wie am Fließband gelangen vor allem vom Kreis, teils zauberhaft freigespielt vom starken Nico Büdel sogar einmal über Kopf, und von eben Simon Jeppsson. Bis auch Klemen Ferlin, der Erlanger Torhüter nach 11 Minuten in die Begegnung fand, kroch Hannover irritiert hinterher (5:7). Mit Ferlin steigerte sich auch die Erlanger Deckung, der Keeper, er konnte sogar einen Siebenmeter entschärfen. Zwei Treffer vom wiedererstarkten Christoph Steinert später stand es 9:5 für Erlangen. Hannover blieb fast fünf Minuten ohne Tor, diese riesige Halle, sie wurde nervös. Vereinzelt hörte man Pfiffe. Beim 11:6 erst bekam auch Ebner, Hannovers Torwart, erstmals die Hand an den Ball. „Wir haben das stark gemacht“, fand Alonso, souverän gar, mit viel Leichtigkeit und großer Spielfreude – zu großer Spielfreude vielleicht: „Vorwerfen müssen wir uns, dass wir trotzdem noch so viele freie Würfe liegen lassen“, fand Johannes Sellin hinterher. Immer wieder war Erlangen allein auf und davon, fand Lücken in der löchrigen Heimdeckung – und doch flog der Ball an Latte, Pfosten oder ins Fangnetz. „Das lag nicht an Hannover, das lag einzig und allein an uns selbst“, so der HCE-Rechtsaußen, der selbst „Hundertprozentige“ vergab. Mit 13:10 ging es so nur noch knapp in die Pause, acht Treffer Differenz wären angemessen gewesen.

Aus der Pause kam der HCE mit frischer Konzentration zurück aufs Feld. „Es begann für uns schon wieder katastrophal“, fasste es Gästecoach Prokop treffend zusammen: Hinten hielt Ferlin, vorne trafen Büdel, Zechel und Steinert, Erlangen schien zurück aufs Gleis gehoben (17:13, 38.). Doch die Torchancenverwertung, sie blieb trotz allem mangelhaft. Als auch die Erlanger Deckung nach einigen unnötigen und auch umstrittenen Zeitstrafen ihre Sicherheit immer mehr verließ, als sie schleichend immer mehr wich wie Luft aus einem Ballon, bekam auch Ferlin – zeitweise bei über 33 Prozent gehaltenen Bällen – kaum mehr ein Körperteil an den Ball. Von 16:19 ging es so auf 18:19 für Hannover heran. Das wirkte wie ein Eimer Eiswasser über den Kopf der Halle, die nun prustend aus ihrem Frustschlaf erwachte. Angeführt von Ivan Martinovic und Kuzmanovski begann Hannover nun mit der Kraft der letzten Verzweiflung zu kämpfen. Ein sehenswerter Kempa-Trick von Bissel und Steinert brachte noch einmal Sicherheit und presste Luft zwischen beide Teams (20:18, 45.) – doch Hannover hatte sich nun festgebissen und wollte nicht mehr loslassen. Kuzmanovski gelang der umjubelte erste Ausgleich (20:20), vor allem Steinert, der am Ende acht Mal traf, blieb am Siebenmeterpunkt vier Mal nervenstark. Der HCE kroch nun nur noch hauchdünn dem Ziel entgegen, immer wieder schalteten die Gastgeber wieder auf Gleichstand. Der erste Sieg in Hannover lag dennoch weiter greifbar in der Luft. Als Martinovic Tim Sonne-Hansen 1:25 Minuten vor Schluss per Heber zum 27:27 überwand, hatte der HCE immernoch das Ass des letzten Angriffs in der Hand. Doch Simon Jeppsson knallte es nicht mit aller Wucht auf den Tisch, er wollte es Tim Zechel zustecken – was misslang. Die erste Heimführung überhaupt bedeutete gleichzeitig den Endstand und sehr lange Erlanger Gesichter. „Das ist Sport“, sagte Alonso nochmal. Eine bessere Antwort konnte man diesmal nicht finden.

Hannover: Ebner; Cehte 2, Martinovic 6, Mävers 3/2, Hansen, Pevnov, Kuzmanovski 6, Böhm 1, Krone 2, Edvardsson 3, Brozovic 2, Feise 2, Büchner 1.
HCE: Ferlin, Sonne-Hansen; Sellin 3, Jaeger 1, Overby 1, Kellner, Büdel 3, Bissel 2, Metzner 1, Jeppsson 3, Steinert 8/4, Leban, Olsson, Zechel 5.

Schiedsrichter: Loppaschewski/Blümel. Zuschauer: 2981. Zeitstrafen 3 – 6. Siebenmeter: 2/3 – 4/4.