Fortsetzungsroman: “Raststraße” von Joachim Kortner, Teil 71

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Romanepisoden von Joachim Kortner

Don’t say Scheiße!

Die neue Philips-Platte vom Louis Armstrong. Sogar Mamas Fuß wippt unter dem Tisch mit. Mack the Knife. Armstrongs schartige Reibeisenkehle. Seine Trompetenstöße trocken und stechend. Grau und kratzig ist seine Scheibe unter der Saphirnadel geworden. Mit Tempo-Taschentuch und Pril hat er sie gereinigt, danach ein paar Tropfen von Mamas Nähmaschinenöl in die gemarterten Rillen einmassiert. Fast wie neu klingt sie wieder.

Ein paar Textstellen hat er immer noch nicht entziffern können.

Der Jim Arnold wird ihm die Lücken schon füllen. Schließlich ist er ein echter Ammi.

*

Der Jim ist wieder mal zum Abendessen da. Camembertbrote und Kräutertee. Da haut er richtig rein. Mack the Knife kreist einsatzbereit auf dem Plattenteller. Der Tonarm schwebt schon über dem Rand. Jim Arnold kommt aus der Küche, kaut noch.

Der Tonarm senkt sich. Louis Armstrong steht im Wohnzimmer mit Gummibaum und Klappcouch, füllt es bis zum Deckenrand mit Hot-Jazz. Die Mama hat ihren Abwasch kurz unterbrochen, steht mit Geschirrhandtuch und Teekanne im Türspalt. Inzwischen hat sich der Soldat gesetzt und kaut an den Fingernägeln.

Er scheint Jakobs erwartungsvollen Blick nicht gespürt zu haben.

Mack the Knife verklingt nach einem jubelnden Trompetensolo.

You really like that niggerstuff?

Jakob erklärt, dass Mack the Knife original German stuff von Bert Brecht und Kurt Weill ist. Burt Bragged und Curt While seien communists und jews, meint Jim. Den cotton-pickin` Slang würde er sowieso nicht verstehen.

Jakob sind die Textlücken unwichtig geworden. Jims Stimme erhebt sich im Predigerton. Von Kain spricht er. Und wie der seinen Bruder Abel erschlagen hat. Deswegen habe Gott ihn verflucht. Von Noah, seinem Sohn Ham, der den Vater nackt angeschaut hat. Und von Noahs Enkel Kanaan, den er auch verflucht, ihm zur Strafe eine schwarze Hautfarbe gegeben hat. Sie sollten in Zukunft nur noch Sklaven sein. Er erzählt es wie einer, der das alles mit eigenen Augen gesehen hat.

The niggers are Ham’s and Kanaan’s children.

Was, und so eine Scheiße steht in der Bibel? You really believe that, Jim?

Don`t say Scheiße! These are the words of the Lord.

Seine Stimme wird ätzend, kämpft mit mühsam unterdrücktem Zorn. Die Mama mit ihrem blau karierten Geschirrtuch. Durch die Lautstärke ist sie aufgeschreckt worden, steht im Rahmen der Wohnzimmertür. Er hat sich wieder unter Kontrolle.

Sorry, lost my control. Seems I´m a bit nervous today.

Er will jetzt sogar die Platte mitnehmen. In den Bamberger Barracks kennt er den PFC Stan Allman. Der sei ein Niggerlover, ein Expert on Niggerslang. Dem wird er die Platte zum Abhören geben. Jakob winkt ab.

Not that important, Jim.

Sie fahren hinaus zu Jims Apartment. Sie schweigen. Jakob ekelt sich vor seiner eigenen Feigheit. Dass er überhaupt noch in dem Auto von so einem Arsch sitzt.

Scotch or Bourbon? Heute entscheidet er sich für Bourbon. Er weiß nicht, warum.


Raststraße: Roman in Episoden

Raststraße: Roman in Episoden

Raststraße

Roman in Episoden Joachim Kortner

  • Paperback
  • 244 Seiten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Verlag: Books on Demand
  • Erscheinungsdatum: 28.04.2008
  • Sprache: Deutsch
  • Farbe: Nein

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