Wie Pflanzen auf den Klimawandel reagieren: Bayreuther Biogeografen simulieren Extremereignisse
(UBT). Wissenschaftliche Studien prognostizieren auch für Europa einen spürbaren Klimawandel und damit verbunden eine Zunahme extremer Wetterereignisse. Wie aber verhalten sich einzelne Pflanzenarten, wenn sie immer öfter starken Regenfällen oder Dürreperioden ausgesetzt sind? Wie verändern sich Pflanzengemeinschaften oder ganze Ökosysteme unter dem Einfluss klimatischer Bedingungen, die in Europa bisher unbekannt sind?
Mit dieser Thematik befasst sich ein Forschungsteam um Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein, Inhaber des Lehrstuhls für Biogeografie an der Universität Bayreuth. Einen Überblick über bisherige Forschungsergebnisse enthält eine kürzlich erschienene Veröffentlichung der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Der Band vereint die Beiträge einer Konferenz zum Thema „Continents under Climate Change“, die im Frühjahr 2010 in Berlin stattfand. Das Auswärtige Amt hatte die Schirmherrschaft übernommen.
Versuchsflächen mit ausgefeilter Simulationstechnik
Extreme Wetterereignisse zu simulieren, die in Mitteleuropa voraussichtlich mit zunehmender Häufigkeit eintreten, und deren Auswirkungen auf die Pflanzenwelt zu untersuchen – dies ist der Kern der Bayreuther Forschungsarbeiten. Im Ökologisch-Botanischen Garten der Universität wurde unter der Bezeichnung „EVENT“ eine Serie von Experimenten gestartet, die auf viele Jahre hin angelegt ist. Neben Prof. Dr. Anke Jentsch (Universität Koblenz-Landau) sind weitere Forscher nationaler und internationaler Institutionen daran beteiligt. Die Experimente sind Teil des bayerischen Forschungsverbundes FORKAST, der sich den Auswirkungen des Klimas auf Ökosysteme widmet.
Die Forschungsarbeiten im Rahmen von „EVENT“ sind vielfältig. Sie umfassen stark kontrollierte Untersuchungen an Topfpflanzen, Experimente auf Versuchsfeldern mit ausgewählten pflanzlichen Arten, aber auch besonders naturnahe Experimente in etablierten Lebensgemeinschaften. Die Forschungsflächen sind dabei technisch so hervorragend ausgestattet, dass die Bayreuther Wissenschaftler eine Vielzahl möglicher Klimaszenarien mit hoher Präzision nachahmen können: Zeltartige Dächer schirmen die Pflanzen von Niederschlägen ab und ermöglichen die künstliche Erzeugung von Trockenperioden. Zudem lässt sich der Grad der Bodenfeuchtigkeit durch gezielte Bewässerungsmaßnahmen steuern. Erwärmungsprozesse, wie sie im Sommer oder im Winter stattfinden, können realitätsnah simuliert werden. Mit speziellen Heizkabeln im Boden lassen sich rasche Abfolgen von Frost- und Tauperioden simulieren, wie sie infolge des Klimawandels häufiger vorkommen werden. Exakte Messungen unter künstlich erzeugten Klimabedingungen, systematische Wiederholungen dieser Simulationen und Vergleiche mit Pflanzen, die gegenwärtig unter „normalen“ Verhältnissen aufwachsen – so lassen sich die Effekte extremer Wetterereignisse mit hoher Zuverlässigkeit bestimmen.
Häufige Bodenfrostwechsel
Wenn die Verhältnisse am Boden häufig zwischen Frost und Tau hin- und herwechseln, hat das erhebliche Folgen für die Vegetation. Dies konnten die Bayreuther Forscher am Beispiel von Grünlandflächen (Mähwiesen) und Heiden nachweisen. Dabei stellte sich heraus, dass einzelne Pflanzenarten sehr unterschiedlich auf den Bodenfrostwechsel reagieren. Einzelne Populationen brechen nach unterbrochenen Frostphasen regelrecht zusammen. Weitere Experimente sollen helfen, diese Zusammenhänge genauer aufzuklären.
Artenvielfalt und Widerstandskraft
Nicht selten führt die Simulation extremer Klimaereignisse zu differenzierten Ergebnissen, die zur Vorsicht gegenüber Pauschalurteilen mahnen. So gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Pflanzen eine höhere Widerstandskraft entwickeln, wenn sie mit Pflanzen anderer Arten in Gemeinschaft leben. Artenvielfalt erhöht in diesen Fällen die Widerstandsfähigkeit: ein Beispiel für die Relevanz der Biodiversität. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Heidekraut ist derart anfällig, dass die Blütezeit nach extremen Trockenperioden deutlich später einsetzt – aber nur innerhalb von Mischkulturen aus Heidekraut und Gräsern. Denn bei Dürre bilden die Gräser ein dichtes Wurzelnetzwerk aus, das dem Boden Wasser entzieht und dem Heidekraut das Überleben erschwert. Unter derartigen Umständen wirkt sich Artenvielfalt durchaus nachteilig aus.
Genetische Varianten
Wie reagieren genetische Varianten der gleichen Pflanzenart auf extreme Wetterereignisse? Derzeit weiß man noch relativ wenig darüber. Die „Common Garden“-Experimente im Rahmen von „EVENT“ sollen in dieser Hinsicht neue Erkenntnisse zutage fördern. Das Interesse richtet sich dabei auf europäische Hauptgräser und Hauptbaumarten. Es geht insbesondere um die Frage, welche Varianten den künstlich erzeugten Klimaszenarien am besten angepasst sind. „Ökosysteme können Extremereignisse anscheinend besser überstehen, wenn die für ihre Funktionen konstitutiven Pflanzenarten in Varianten vorliegen, die aufgrund ihrer Gene eine relativ hohe Widerstandsfähigkeit mitbringen,“ erklärt Beierkuhnlein. „Dies könnte ein interessanter Anknüpfungspunkt für Strategien sein, die darauf abzielen, die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen zu stabilisieren.“
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