Experteninterview zur Spielwarenmesse: „Goldgräberstimmung im Games-Markt“
Wenn am 2. Februar die Spielwarenmesse beginnt, wird nicht nur das Veranstaltungsformat online sein, auch immer mehr Menschen spielen aktiv online. Prof. Dr. Jochen Koubek, Professor für Digitale Medien und verantwortlich für den Studiengang „Computerspielwissenschaften“, und Dr. Felix Raczkowski, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Digitale und Audiovisuelle Medien an der Universität Bayreuth, erläutern im Interview die aktuellsten Trends und gesellschaftliche Fragen rund um Computerspiele.
Welche Innovationen gibt es aktuell auf dem Games-Markt?
Koubek: Derzeit ist das große Thema Blockchain-Spiele, die gänzlich neue Formen des Handels mit virtuellen Gütern ermöglichen, weil ein Eigentumsnachweis auch ohne aufwändige Lösung für einzelne Entwickler möglich ist. Die Goldgräberstimmung ergibt sich aus der Hoffnung, dass Menschen, die schon für virtuelle Hüte, Kleidung und Gegenstände ohne monetären Gegenwert außerhalb der Spielwelt bereit sind, tausende von Spielstunden aufzuwenden, noch deutlich engagierter sind, wenn sie ihre Sammlung weiterverkaufen können. Die Blockchain-Integration ist derzeit sowohl unter Entwickler*innen als auch Spieler*innen umstritten, wird aber vonseiten der Publisher stark vorangetrieben. Bisher ist noch unklar, ob sich der Wunsch der Publisher bewahrheiten wird, einen regen Handel mit Blockchain-basierten digitalen Objekten in ihren Spielen zu ermöglichen.
Wie finden die Trendthemen Nachhaltigkeit und Klimawandel – denen die Spielwarenmesse einen eigenen Bereich widmet – Eingang in die Games-Entwicklung?
Raczkowski: Blockchain-Technologie hat einen fürchterlichen ökologischen Fußabdruck, allein der jährliche Energieverbrauch des Bitcoin-Netzwerks ist vergleichbar mit dem von Ländern wie Schweden oder Malaysia. Wenn das bei Computerspielen ein echter Trend wird, dürfte dieser Energiebedarf noch einmal massiv steigen. Die Blockchain-Technologie ist nicht zuletzt aus diesen ökologischen Erwägungen in der Branche sehr umstritten. Daneben sind auch die für Hardwareproduke (Konsolen, Grafikkarten etc.) notwendigen Ressourcen ein Problem, und es ist bisher kaum möglich, sie in der von der Industrie nachgefragten Menge nachhaltig und unter akzeptablen Arbeitsbedingungen zu fördern. Zuletzt wären im Kontext der Nachhaltigkeit auch die anhaltend schwierigen Arbeitsbedingungen in der Computerspielindustrie selbst zu nennen, in der nach wie vor exzessive Überstunden („crunch“) und Diskriminierung gegenüber Minderheiten an der Tagesordnung sind. Aber in der Games-Industrie etablieren sich insbesondere international allmählich Strukturen wie Gewerkschaften, die eine Chance bieten, nachhaltigere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Was die Inhalte selbst angeht, beobachten wir eine zunehmende Anzahl an Spielen und Projekten, die sich mit Umweltthemen auseinandersetzen und einen Beitrag z.B. zur Climate Change Communication leisten.
Die Uni Bayreuth war die erste Universität in Deutschland, die einen Studiengang „Computerspielwissenschaften“ anbot. Wie ist da die Entwicklung?
Koubek: Wir passen unsere Inhalte natürlich auch aktuellen Fragestellungen an. Wir werden im kommenden Semester unsere Studierenden zum Beispiel dazu anhalten, sich mit gesellschaftlichen Themen in ihren Spielen auseinanderzusetzen, wobei sie frei sind, welches sie auswählen. Der Studiengang ist kontinuierlich voll belegt. Die Job-Aussichten sind ja auch weiterhin exzellent, denn die Spielebranche sucht händeringend Leute – nicht zuletzt durch die pandemiebedingt boomende Nachfrage.
Geld ist offenbar reichlich vorhanden: Microsoft will Activision-Blizzard („Call of Duty“) für 70 Mrd. Dollar kaufen, Take Two Interactive („Grand Theft Auto“) für 12 Mrd. Dollar den Spieleanbieter Zynga („Farmville“) übernehmen. Welche Folgen hat das für den Games-Markt?
Raczkowski: Inwiefern diese Deals mit der Pandemie zusammenhängen, vermag ich nicht zu beurteilen. Wir beobachten gerade eine Konsolidierungsbewegung, die in anderen Sektoren der Medien- und Unterhaltungsindustrie schon seit vielen Jahrzehnten läuft und weltweit fünf Major-Studios für Filmproduktionen und drei Major Labels in der Musikproduktion übriggelassen hat. Die Folgen für den Games-Markt werden ähnlich sein wie in anderen Medienbranchen, einerseits die Konzentration auf wenige Großprojekte und Franchises nach bewährtem Muster für den Massenmarkt, andererseits eine ausgeprägte Indie-Szene, in der es immer wieder spannende Entdeckungen zu machen gibt. Eine weitere Folge der Konsolidierung wird in der weiteren Konzentration auf wenige Plattformen und Dienste bestehen, was in der Games-Industrie entweder Hardware in Form von Konsolen oder Dienste wie Online-Stores betrifft. Dieser Zusammenhang spielt auch bei sämtlichen großen Übernahmen eine wichtige Rolle, da es nicht zuletzt darum geht, den eigenen Plattformen neue, attraktive Inhalte zu verschaffen und damit neue Spieler*innen zu gewinnen.
Stichwort „Spieler*innen“: Ärzte-, Eltern- und Lehrerschaft beklagen, dass der Lockdown Kinder und Jugendliche geradezu „vor die Kiste gezwungen“ hat, die Folgen seien Bewegungsmangel, mehr Aggressionen und weniger Fähigkeit zu Sozialverhalten. Stimmen Sie dieser Kritik zu?
Koubek: Meine Beobachtung ist, dass Kinder und Jugendliche, die während der Kontakteinschränkungs- und Verbotszeit online mit ihren Freunden spielen konnten, ihre sozialen und kommunikativen Begegnungsorte so gut gepflegt haben, wie es politisch und medizinisch möglich war. Es gibt fantastische Spiele und Online-Angebote für Gruppen, in denen kooperativ Probleme bewältigt, Lösungs- und Handlungsstrategien verhandelt werden. Digitale Multiplayer-Spiele konnten in den Lockdown-Phasen der Pandemie gerade die sozialen Kontakte ermöglichen, die anderweitig problematisch gewesen wären. Insbesondere das inhaltlich harmlose und kindgerechte „Animal Crossing“ von Nintendo hat es zur Zeit der ersten Corona-Welle zu besonderer Popularität gebracht, da es soziale Zusammenkünfte in den virtuellen Häusern der Spieler*innen gestattet. Während wir die Zunahme psychischer Probleme nicht beurteilen können, ist davor zu warnen, die Folgen einer Ausnahmeerscheinung und andauernden Krisensituation wie der Corona-Pandemie allein oder hauptsächlich einem Medium zur Last zu legen.
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