Neue Langzeitstudie der Universität Bayreuth zeigt die rasche Entstehung von Mikro- und Nanoplastik in der Umwelt
Die meisten Mikroplastik-Partikel in der Umwelt entstehen aus größeren Kunststoffteilen. Wie schnell Kunststoff unter natürlichen Einflüssen in Fragmente zerfällt, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Bayreuth in einer Langzeitstudie simuliert. High-Tech-Laboruntersuchungen an Polystyrol zeigen zwei Phasen des abiotischen Abbaus: Zuerst wird die Stabilität des Kunststoffs durch Photooxidation geschwächt. Danach bilden sich Risse, immer mehr und immer kleinere Fragmente werden in der Umwelt freigesetzt. Die in der Zeitschrift „Environmental Science & Technology“ veröffentlichte Studie ermöglicht Rückschlüsse auf andere in der Umwelt verbreitete Kunststoffe.
Polystyrol ist ein preiswerter Kunststoff, der oft für Verpackungen und zur Wärmedämmung verwendet wird. Er ist daher besonders häufig in Kunststoffabfällen anzutreffen. Im Rahmen ihrer Langzeitstudie haben die Bayreuther Forscher*innen erstmals analytische Untersuchungen, die an Polystyrol-Partikeln auch auf atomarer Ebene durchgeführt wurden, und Messungen, die das Verhalten dieser Partikel unter mechanischer Belastung ermittelten, kombiniert. Auf dieser Grundlage haben sie ein Modell für den abiotischen Abbau, also den Abbau ohne Einwirkung von Lebewesen, entwickelt.
„Unsere Studie zeigt: Ein Mikroplastik-Partikel mit einem Durchmesser von 160 Mikrometern setzt im Verlauf von eineinhalb Jahren, in denen er natürlichen Verwitterungsprozessen in der Umwelt ausgesetzt ist, etwa 500 Partikel in einer Größenordnung von 20 Mikrometern – also von 0,02 Millimetern – frei. In der Folgezeit zerfallen auch diese Partikel in immer kleinere Fragmente. Auf diesen winzigen Partikeln kann sich eine Ökocorona bilden, die möglicherweise das Eindringen in Zellen lebender Organismen erleichtert. Dies hat eine andere Bayreuther Forschungsgruppe vor wenigen Monaten entdeckt“, sagt Erstautorin Nora Meides, Doktorandin im Bereich Makromolekulare Chemie an der Universität Bayreuth.
Die Mikroplastik-Partikel wurden im Wasser zwei Stressfaktoren ausgesetzt: intensivem Sonnenlicht und mechanischer Dauerbelastung, die durch Rühren in Wasser erzeugt wurde. Auch in der Umwelt sind Sonnenlicht und mechanischer Stress die beiden wichtigsten abiotischen Faktoren, die zur schrittweisen Fragmentierung der Partikel beitragen. Die Bestrahlung mit Sonnenlicht löst an der Oberfläche der Partikel Oxidationsprozesse aus. Diese Photooxidation hat in Verbindung mit dem mechanischen Stress signifikante Folgen: Die Polystyrolketten werden kontinuierlich kürzer. Zudem werden sie auch zunehmend polarer, das heißt es bilden sich Ladungsschwerpunkte in den Molekülen. In der zweiten Phase setzt die Fragmentierung der Mikroplastik-Partikel ein: Hierbei zerfallen die Partikel in immer kleinere Mikroplastik- und Nanoplastik-Fragmente.
„Unsere Forschungsergebnisse sind eine wertvolle Grundlage, um den abiotischen Abbau von Makro- und Mikroplastik in der Umwelt – sowohl an Land als auch an der Wasseroberfläche – am Beispiel weiterer Kunststoffarten genauer zu untersuchen. Die Schnelligkeit der Fragmentierung hat uns selbst überrascht und zeigt erneut die potentiellen Risiken, die von der wachsenden Belastung der Umwelt durch Kunststoffe ausgehen könnten. Vor allem größere Plastikmüll-Gegenstände, sind – wenn sie dem Sonnenlicht und Abrieb ausgesetzt sind – ein Reservoir für einen ständigen Mikroplastik-Eintrag. Es sind gerade die winzigen, mit bloßem Auge kaum erkennbaren Partikel, die sich bis in die entlegensten Ökosysteme über verschiedene Transportwege verbreiten“, sagt Teresa Menzel, Doktorandin im Bereich Polymere Werkstoffe. „Das in unserer Langzeitstudie untersuchte Polystyrol besitzt ebenso wie Polyethylen und Polypropylen ein Kohlenstoff-Rückgrat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich unser an Polystyrol entwickeltes Zwei-Phasen-Modell auf diese Kunststoffe übertragen lässt“, ergänzt Hauptautor Prof. Dr. Jürgen Senker, Professor für Anorganische Chemie, der die Forschungsarbeiten koordiniert hat.
Die jetzt veröffentlichte Studie ist aus einer engen fächerübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb einer Arbeitsgruppe des DFG-Sonderforschungsbereichs „Mikroplastik“ an der Universität Bayreuth hervorgegangen. Wissenschaftler*innen aus der Makromolekularen Chemie, der Anorganischen Chemie, den Ingenieurwissenschaften und der Tierökologie erforschen in diesem Team gemeinsam die Entstehung und den Abbau von Mikroplastik. Hierfür stehen auf dem Bayreuther Campus zahlreiche Forschungstechnologien zur Verfügung, die auch im Rahmen der Langzeitstudie eingesetzt wurden: unter anderem die ¹³C-MAS-NMR-Spektroskopie, die Energiedispersive Röntgenspektroskopie (EDX), die Rasterelektronenmikroskopie (SEM) und die Gel-Permeations-Chromatographie (GPC).
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