Ein Bamberger Forschungsprojekt beschäftigt sich mit den Grenzschließungen zum Nachbarland Tschechien
Ostbayerische Unternehmen: mehr Homeoffice, weniger tschechische Arbeitskräfte?
Bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten sind die Grenzen zum Nachbarland Tschechien geschlossen worden, um die Corona-Pandemie besser kontrollieren zu können. „Es zeichnet sich eine Transformation der Wirtschaft in der Grenzregion ab, und zentrale Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre sind durch die Grenzschließungen in Gefahr“, meint Patrick Reitinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Historische Geographie der Universität Bamberg. Er leitet ein Forschungsprojekt, das seit Juli 2020 die Auswirkungen der ersten Grenzschließung auf die Wirtschaft in der bayerisch-tschechischen Grenzregion am Beispiel des Landkreises Wunsiedel untersucht. Nun soll auch die zweite Grenzschließung Teil der Forschung werden. Bei der Untersuchung nehmen Reitinger und sein Projektpartner Dr. Lukáš Novotný, Politikwissenschaftler an der Universität in Aussig in Nordböhmen, vor allem zwei Zielgruppen in den Blick: Unternehmen und die Akteurinnen und Akteure der Wirtschaftsförderung.
Die Grenzschließungen haben Auswirkungen auf zukünftige Unternehmensstrategien
Die Unternehmen auf deutscher Seite, die viele Pendlerinnen und Pendler aus Tschechien beschäftigen, sind besonders von den Grenzschließungen betroffen. „Es zeichnen sich zwei Richtungen ab, in die sich die Unternehmen nun entwickeln, um mit aktuellen und möglicherweise zukünftigen Grenzschließungen umzugehen“, meint Patrick Reitinger. Einige Unternehmen seien dazu in der Lage, sich die Digitalisierung zunutze zu machen und alternative Formen des Arbeitens, wie etwa Homeoffice, einzusetzen. „Andere Unternehmen, die auf die Anwesenheit ihrer Mitarbeitenden angewiesen sind, überlegen den Anteil tschechischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf lange Sicht zu reduzieren und sich somit von Pendlerinnen und Pendlern aus Tschechien unabhängiger zu machen“, so Reitinger. Oftmals sei es aber nicht möglich, die Arbeitsplätze mit Personal aus der Region zu besetzen.
Wirtschaftsförderung als Kommunikatorin in der Pandemie
Die Akteurinnen und Akteure der Wirtschaftsförderung im Landkreis Wunsiedel sehen sich mit einem anderen Problem konfrontiert. „Gerade während der ersten Grenzschließung im März und April 2020, die von tschechischer Seite aus veranlasst wurde, lief die Kommunikation auf Regierungsebene zwischen Prag und München nicht optimal und die betroffenen Unternehmen wurden unzureichend informiert“, erklärt Reitinger. Und das, obwohl sich gerade in den vergangenen zehn Jahren ein guter Draht zwischen den beiden Regierungen entwickelt habe. „Der Wirtschaftsförderung im Landkreis Wunsiedel kommt jetzt eine Kommunikationsfunktion zu“, meint Reitinger. „Seit der Pandemie übernimmt sie eine Art Covid-19-Beratung, bei der sie Informationen für die Unternehmen bündelt und versucht, Prozesse zu organisieren.“
Offene Grenzen sind für Bayern und Tschechien eigentlich selbstverständlich
Seit dem Ende des Kalten Krieges und verstärkt noch seit dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union im Jahr 2004 ist die bayerisch-tschechische Grenzregion offene Grenzen gewohnt und hat sich diesen Umstand in den vergangenen 30 Jahren immer stärker zunutze gemacht. „Beide Grenzregionen werden als wirtschaftliche Peripherie wahrgenommen. Durch Kooperationen über die Grenze hinweg, konnten sowohl Westböhmen als auch Ostbayern wirtschaftlich enorm aufholen“, sagt Patrick Reitinger. „Die Corona-Pandemie ist mit den Grenzschließungen ein harter Schlag für die Unternehmen, die auf offene Grenzen, wie sie in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten selbstverständlich waren, angewiesen sind.“
Befragung von rund 2.000 Unternehmen ist der nächste Schritt des Projekts
Das Projekt „Transnationale Resilienzstrategien – Tschechische Arbeitsmigration und regionale Wirtschaftsförderung in Ostbayern nach Covid 19“ wurde ursprünglich mit 9.000 Euro von der Bayerisch-Tschechischen Hochschulagentur aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat gefördert und ordnet die pandemiebedingten Entwicklungen in der Grenzregion in einen größeren historisch-geographischen Zusammenhang ein. Im Rahmen der Sonderausschreibung des Programms „Bayerisch-tschechische akademische Projekte 2020 zur Covid-19-Pandemie und deren Folgen“ war der Abschluss des Forschungsprojektes eigentlich für Oktober 2020 vorgesehen. Weil die Pandemie jedoch noch immer aktuell ist, wird das Projekt fortgesetzt und auch die zweite Grenzschließung untersucht. Die Fortsetzung der Studie ist durch die Einbettung in das größere Projekt „Management of Crossborder Rurality | Bavaria Bohemia 1990 2020“, in dem untersucht wird, wie die Region in den letzten 30 Jahren grenzüberschreitend mit den Chancen und Herausforderungen ländlicher Entwicklungsprozesse umgegangen ist, finanziell gewährleistet. Der nächste Schritt ist jetzt die quantitative Befragung von rund 2.000 Unternehmen aus dem Landkreis Wunsiedel. „Die Publikation erster Ergebnisse ist für den Frühsommer 2021 geplant“, sagt Reitinger.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt unter: www.uni-bamberg.de/histgeo/forschung/transres
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