Offener Brief oberfränkischer Elternbeiräte an Ministerpräsident Dr. Söder
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
„Corona stellt uns alle vor große Herausforderungen, vielleicht die größte unserer Zeit“, wurden Sie kürzlich erst wieder zitiert.
Große Herausforderungen sind es zweifelsohne auch für Schüler, Lehrer und Eltern!
Die seitens des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (im weiteren KM genannt) angekündigten „Schonfristen“ für Schüler und Lehrer sind nach unserer Auffassung sowohl zeitlich als auch inhaltlich nicht ausreichend berücksichtigt worden, um tatsächlich entstandene Lerndefizite auch nur annähernd ausgleichen zu können.
Wir hätten uns noch mehr Budgetstunden für diese besondere und wichtige Aufgabe gewünscht. Zu wenig Stunden, nicht ausreichende Entschlackung der Lehrpläne und Notendruck ließen keine Zeit, den Start des neuen Schuljahres zum Wiederholen, Intensivieren und Vertiefen optimal nutzen zu können.
Erstes Ziel zum Schuljahresbeginn und auch jetzt in der folgenden Zeit MUSS es sein, alle Schüler wieder auf ihr individuelles zufriedenstellendes Lernniveau zu bringen. Für ALLE Schüler, auch im Hinblick auf die unterschiedliche Unterstützung seitens der Familie oder technischer Ausstattung während des Homeschoolings, muss die Möglichkeit geschaffen werden, pandemiebedingte Lernrückstände aufholen zu können.
Hier ist es nicht ausreichend und auch völlig unbefriedigend, lediglich eine freiwillige Wiederholung des Schuljahres ohne Anrechnung auf die Ausbildungszeit anzubieten.
Wir wünschen uns eine deutliche Erhöhung des schulischen Unterrichtsbudget, damit sämtliche Angebote im Wahlfachbereich erhalten bleiben und alle Schulen darüber hinaus dem gesteigerten Bedarf von Intensivierung gerecht werden können. Wir möchten kein Déjàvu erleben. Denn, die nach den Sommer und Herbstferien 2020 seitens des KM ergriffenen Maßnahmen waren der berühmt berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein, haben aber in keiner Weise zu einer Entspannung geführt, sondern Unsicherheit und Stress bei Schülern, Eltern und auch Lehrern geschürt!
Angesichts der Tatsache, dass gerade Mathematik und vor allem auch sämtliche Fremdsprachen vom ständigen Wiederholen und dem täglichen Austausch mit Lehrern oder auch Mitschülern leben, ist dies auch nicht sehr verwunderlich.
Schließlich folgten ab November/Dezember 2020 vom KM nicht zum ersten Mal Maßnahmen, die erst beschlossen und dann zurückgenommen wurden. Zudem wurden keine sinnvollen und klaren Konzepte seitens des KM kommuniziert, wie all der versäumte Stoff jemals aufgeholt oder Schulstoff im künftigen Lockdown sinnvoll digital vermittelt werden könnte. Die den Schulen vorliegenden Rahmenkonzepte reichten einfach nicht aus oder führten nicht weit genug.
So entwickelte jede Schule in Ermangelung von Konzepten seitens des KM in mühevoller, zeitintensiver Arbeit aus der Not heraus eigene, tragfähige und den unterschiedlichen Schulbedürfnissen angepasste Konzepte zum Hybrid und Distanzunterricht. Diese Konzepte wurden im Dezember durch unerwartete Alleingänge und Schnellschüsse des KM dann teilweise kontraproduktiv ausgehebelt.
Kurzum… es reicht uns einfach!!!
Wir als Elternschaft wollen endlich klare, für alle transparente und sinnvolle Maßnahmen und Konzepte, wie nach dem aktuellen Lockdown bei der Rückkehr in den Präsenzunterricht mit dem im Homeschooling erarbeiteten Stoff umgegangen werden soll! Wir möchten, dass dieser Stoff wiederholt und vertieft wird, um keine immensen Lücken auf Lebenszeit bei den Schülern entstehen zu lassen und unsere Schulen so wieder zu einem Ort ohne Frust und Demotivation werden können, so wie sie es VOR Corona waren!
Da von Seiten des KM hierzu bisher aus unserer Sicht kaum sinnvolle Maßnahmen, außer die freiwillige Schuljahrwiederholung ergriffen wurden, haben wir klare, einfache Lösungsvorschläge erarbeitet, die aus unserer Sicht dabei helfen würden, solch ein Maßnahmenpaket auf den Weg zu bringen:
- Genehmigung unlimitierter und bezahlter Intensivierungsstunden für die Fachlehrer für jede Schule, anhand des tatsächlichen Bedarfs der Schule.
Diese Intensivierungsangebote vor allem in Mathematik und allen Fremdsprachen sollten der Schülerschaft auf freiwilliger Basis zur Verfügung gestellt werden und außerhalb des normalen Unterrichtsbetriebes stattfinden. Lehrer könnten anhand ihrer Einschätzungen Empfehlungen abgeben, bei welchem Schüler sie eine Teilnahme für sinnvoll halten, wobei eine grundsätzlich Teilnahme allen Schülern auch flexibel im laufenden Schuljahr ermöglicht werden sollte. - Vorübergehende deutlichere Lehrplanentschlackung in allen Vorrückungsfächern, um auch im Pflichtunterricht versäumten Schulstoff in kleinen Dosen zumindest wiederholen und vertiefen zu können. Vom KM für alle Jahrgangsstufen vorgegeben, für alle gleich verbindlich!
- Die bereits genehmigte Reduzierung der großen Leistungsnachweise sind ein Schritt in die richtige Richtung und müsste unser Meinung nach deutlich über laufende Schuljahr hinaus gewährleistet werden. Wir wünschen uns eine Reduzierung über die derzeitigen Möglichkeiten hinaus. Zudem erscheint eine Anpassung der Notenschlüssel bei den großen Leistungsnachweisen an das tatsächliche, durchschnittliche Leistungsniveau der jeweiligen Schulklasse zweckmäßig, um Druck von Lehrern und Schülern zu nehmen und eine sinnvolle Akklimatisierung nach CORONA zu gewährleisten. Damit jeder Schüler wieder beim eigenen, individuellen Leistungsstand ankommen darf.
Wir fordern vom KM, den Lehrern zu ermöglichen, die Schüler dort abzuholen und mit ihnen weiterarbeiten zu dürfen, wo sie nach der Pandemie stehen und nicht einfach wieder „Business as usual“ zu betreiben. Dies birgt nämlich die große Gefahr, schwächere Schüler auszusortieren und nach unten fallen und alleine auf ihrem Weg zurück zu lassen.
Es ist höchste Zeit, dem Frust und der zunehmend entstehenden Demotivation aller Seiten „an der Front“ entgegenzuwirken, um Schule wieder zu einem lebensfrohen Ort zu machen.
Ein solches Maßnahmenpaket sollte sinnvollerweise, vor dem Start des Präsenzunterrichtes erlassen werden und nicht erst, wenn sich erneut zeigt, dass „Business as usual“ nicht funktionieren wird, denn das ist aus unser Sicht bereits jetzt mehr als klar!
Des Weiteren wäre es der absolut falsche Weg, bei schulischen Angeboten wie Arbeitsgruppen, Wahlfächern, Wandertagen oder Klassenfahrten zu kürzen oder diese gar ganz zu streichen, um die Lücken des versäumten Stoffes hierüber zu schließen, um so zu Lasten unserer Kinder Geld und Zeit für den Kraftakt der Coronafolgen freizumachen.
Denn bei allem sollten wir nicht vergessen, dass Schule noch so viel mehr ist, als pure Wissensvermittlung und Notenerhebung.
Es wäre am völlig falschen Ende gespart! Denn nur Schüler, die auch Spaß in der Schule sowie ungezwungene soziale Kontakte und Begegnungen haben, sind ausreichend ausgeglichen und motiviert, um den Kraftakt vollbringen zu können, ihre Lücken wieder zu schließen und auch wieder gute schulische Leistungen zu erbringen.
Es muss beides nebeneinander weiterhin zu den gewohnten Anteilen möglich bleiben!
Herr Dr. Söder, wir möchten mit diesem Brief keine Kritik an unseren Schulen üben. Im Gegenteil alle Schüler, Lehrer und Eltern waren bereit sich der großen Herausforderung CORONA beständig zu stellen. Und alle haben sich nach bestem Wissen und Gewissen der täglichen „Homeschoolingfront“ gestellt und waren dabei auch solidarisch mit der Gesellschaft.
Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die bayerische Staatsregierung bzw. das KM, mit Schülern, Eltern und Lehrern solidarisch zeigt. Die aufgeführten Probleme sind systemischer Natur. Zu wenig Lehrer (egal in welcher Schulart) und damit einhergehend fehlende Lehrerstunden sind ein Problem, welches schon lang vor Corona bekannt war und welches uns jetzt gravierender denn je auf die Füße fällt. Jetzt vor Rückkehr in den Präsenzunterricht müssen angemessene, klaren Maßnahmenpakete und Konzepte, die auch den Gegebenheiten vor Ort Rechnung tragen, auf den Weg gebracht werden.
Von daher haben wir hoffentlich mit unserem offenen Brief an Sie, Herr Dr. Söder, klar gemacht, was wir nun zeitnah und zielgerichtet von Ihrer Seite erwarten…
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Elternbeiräte oberfränkischer Gymnasien
Elternbeirat RWG, Wittelsbacherring 9, 95444 Bayreuth
und 80 Unterzeichnende von
- EB Richard-Wagner-Gymnasium
- EB Graf-Münster-Gymnasium, Bayreuth
- EB Schiller-Gymnasium, Hof
- EB Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium, Kulmbach
- EB Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium, Kulmbach
- EB Gymnasium Münchberg
- EB Frankenwald-Gymnasium, Kronach
- EB Eichendorff-Gymnasium, Bamberg
- Gesamt-EB Meranier-Gymnasium, Lichtenfels
- EB weiterer Gymnasien
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