Wiesenweihe nistet zum ersten Mal wieder in Oberfranken
20 Jahre LBV-Artenhilfsprogramm „Wiesenweihe“: Gefährdeter Greifvogel dehnt sein Brutareal über ganz Bayern aus
Diese Erfolgsgeschichte hätte in den 1990er Jahren niemand für möglich gehalten: Die damals fast ausgestorbene Wiesenweihe ist in Bayern heute wieder regelmäßig zu beobachten, regional sogar vergleichsweise häufig. Allein in den letzten 20 Jahren hat der zierliche Greifvogel seinen Bestand im Freistaat mehr als verdreifacht – ganz anders als in anderen Bundesländern, wo die Bestände der Wiesenweihe auf niedrigem Niveau stagnieren oder zurückgehen. Am bayerischen „Höhenflug“ der Wiesenweihe trägt die Naturschutzarbeit des LBV großen Anteil. Unterstützt werden er und das Artenhilfsprogramm (AHP) Wiesenweihe, das der LBV im Auftrag des Bayerischen Landesamt für Umwelt umsetzt, durch motivierte Artenschützer*innen, Behörden – und vor allem viele Landwirt*innen. „Wir freuen uns und sind stolz auf den enormen Erfolg des Artenhilfsprogramms: Die beispiellose Kooperation zwischen Artenschutz und Landwirtschaft und die Hilfe der knapp 100 ehrenamtlichen Wiesenweihen-Schützer*innen verschaffen der Wiesenweihe in Bayern wieder deutlich bessere Lebenschancen“, sagt Julia Ott, LBV-Koordinatorin des Artenhilfsprogramms Wiesenweihe.
Eindrucksvoll beweist das AHP Wiesenweihe, dass Artenschutz und Landwirtschaft erfolgreich Hand in Hand gehen können. „Allein in der 20-jährigen Laufzeit des Artenhilfsprogramms konnten wir in enger Zusammenarbeit mit Landwirt*innen und ehrenamtlichen Helfer*innen den bayerischen Bestand von 62 auf 221 Wiesenweihen-Brutpaare erhöhen. Für heuer erwarten wir sogar noch eine weitere Steigerung, aufgrund des reichlichen Feldmausangebots“, so Julia Ott. Dank der engagierten Arbeit des LBV und seiner Mitstreiter breitet der seit 1992 auf der Roten Liste stehende Greifvogel seine Brutgebiete im Freistaat immer weiter aus und hat heuer zum ersten Mal seit über 100 Jahren sogar in Oberfranken wieder gebrütet – dem letzten bayerischen Regierungsbezirk, wo die Rückkehr der Wiesenweihe noch ausstand.
Trotzdem hat die Wiesenweihe nach wie vor mit der intensiven Nutzung landwirtschaftlicher Flächen zu kämpfen: Der ehemalige Wiesenvogel brütet heute vor allem auf Ackerflächen. Sein Bestand ist dort zwangsläufig von einem arbeitsintensiven Nestschutz abhängig. „Unsere wichtigste Aufgabe in den kommenden Jahren ist es, neue Ehrenamtliche zu gewinnen. Sie sind die Stütze des Artenhilfsprogramms. Die ehrenamtlichen Wiesenweihen-Schützer*innen spüren die oft versteckten, schwer zu findenden Bruten auf und sprechen die Schutzmaßnahmen mit den Landwirten ab, denen die jeweiligen Flächen gehören. Ihr Engagement für den Naturschutz hat direkten Einfluss auf den Bestand der bedrohten Vögel“, erklärt Christoph Saile, ebenfalls LBV-Koordinator des Artenhilfsprogramms Wiesenweihe.
Aber der Schutz der Bruten allein reicht nicht aus: Um ihren Nachwuchs erfolgreich aufziehen zu können, brauchen die Wiesenweihen auch ausreichend Nahrung. Die Feldmaus steht dabei ganz oben auf dem Speiseplan des kleinen Greifvogels – und die steht in der intensiv genutzten Feldflur immer weniger zur Verfügung. Deshalb setzt der LBV seit einigen Jahren auch vermehrt darauf, den Lebensraum der Wiesenweihen zu optimieren – und auch dies wieder in enger Kooperation mit Landwirten, die sich für den Schutz der Wiesenweihe begeistern lassen: „Seit 2016 legen wir zusammen mit Landwirten nach niederländischem Vorbild Nahrungsflächen an, die sich für die Tiere eignen und erfolgreich angenommen werden. In den nächsten Jahren legen wir unser Augenmerk verstärkt auf den nachhaltigen Erhalt und die Verbesserung des Lebensraums“, so Julia Ott. „Wir hoffen, so die positive Bestandsentwicklung der letzten Jahre im Freistaat auch in den nächsten Jahren fortschreiben zu können, und damit auch weit über Bayerns Grenzen hinaus Impulse für die Rettung der Wiesenweihe setzen zu können.“ Tatsächlich sind die durch die Schutzmaßnahmen des LBV und seiner Mitstreiter wiedererstarkten bayerischen Wiesenweihen-Vorkommen längst zu einer bundesweit bedeutsamen Quell- und Spenderpopulation geworden, die zur Stützung auch anderer deutscher und mitteleuropäischer Vorkommen beiträgt. Das belegen die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungsarbeiten, die das Artenhilfsprogramm seit Jahren begleiten, ergänzen und mit strategisch wichtigen Grundlagendaten unterstützen.
Hintergrund
Die Wiesenweihe ist ursprünglich ein Bewohner des Feuchtgrünlandes und hat als solcher bis in die 1970er Jahre in verschiedenen Regionen Bayerns gebrütet. Doch Landnutzungswandel und Nutzungsintensivierung führten zum Verlust ihres ursprünglichen Lebensraums, und damit zu massiven Rückgängen der Art. 1992 musste sie daher in die Rote Liste gefährdeter Vögel aufgenommen werden. Diese Entwicklung in Bayern deckte sich mit der im übrigen Mittel- und Westeuropa. Seit den 1990er Jahren hat die Wiesenweihe im Freistaat jedoch eine nicht mehr erwartete Trendwende erlebt: Ermöglicht wurde diese durch verschiedene Faktoren: Die Wiesenweihen begannen, ihre Nester in landwirtschaftlichen Flächen anzulegen – bevorzugt in Getreidefeldern. Dadurch eröffnete sich ein großer neuer Lebensraum – in dem allerdings auch neue Gefahren lauerten. „Die meisten Getreidesorten werden bereits gedroschen, bevor die jungen Wiesenweihen aus dem Nest ausgeflogen sind, sie würden somit bei der Ernte getötet werden“, betont Julia Ott und ergänzt: „Nur durch das enorme Engagement der Ehrenamtlichen und die Kooperationsbereitschaft vieler Landwirte können die Jungvögel überleben.“
Im Frühjahr werden potenzielle Brutgebiete abgesucht, um die Brutplätze der Greifvögel ausfindig zu machen. Doch meist sind die Wiesenweihen dabei selbst behilflich: „Um dem Weibchen seine Fähigkeiten zu zeigen, steigt das Männchen in die Höhe, um sich dann wie ein Blatt vom Himmel fallen zu lassen, oder wirft dem Weibchen im Flug Nahrung zu“, beschreibt Christoph Saile die beeindruckende Luftakrobatik. Aus diesem Verhalten können die erfahrenen und zum Teil im Rahmen des Artenhilfsprogramms auch noch gezielt geschulten ehrenamtlicher Erfasser dann den späteren Neststandort ableiten. In ständigem Austausch mit den Landwirt*innen werden im weiteren Verlaufe der Brutsaison eventuell notwendige Schutzmaßnahmen abgestimmt. Wenn das Getreide noch vor dem Ausflug der Jungvögel geerntet werden muss, bleiben sogenannte Restflächen stehen. Diese dienen als Schutzzone und Rückzugsort für die noch jungen Greifvögel, bevor sie sich im Spätsommer schon auf ihre erste große Reise in ihr Überwinterungsgebiet nach Afrika aufmachen.
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