Aus der Gaustadter Leserpost: „Bamberg ist bekannt für schlechte Radweganlagen“

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Bamberg-Gaustadt, 4. Juli 2020

Sehr geehrte Damen und Herren!

Gelegentliche Recherche im Netz lohnt sich:

Nach Hallstadt im vergangenen Jahr findet sich heuer wieder die Stadt Bamberg unter den Nominierten. Angesichts „harter Konkurrenz“ konnte die selbsternannte Fahrradstadt zwar nur einen mittleren Platz erringen. Doch das fachliche Urteil der Expertenjury hinterläßt einen verheerenden Eindruck. Klaus Wörle, Jurymitglied und Radverkehrsexperte des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), faßt zusammen: „Wie jedes Jahr ist es schwer, aus der geballten Inkompetenz und Ignoranz der zuständigen Behörden einen Favoriten zu wählen.“

Seit nunmehr eineinhalb Jahrzehnten verleiht die Initiative Cycleride (www.Cycleride.de) den Negativpreis „Pannenflicken“. Die Auszeichnung verdienen sich Behörden, indem sie in ihrer Radverkehrspolitik und -lenkung allzu deutlich erkennen lassen, daß ihnen Sicherheit, gar Förderung des Verkehrsmittels Fahrrad und sogar einschlägige Vorschriften, Richtlinien, Regelwerke und Erkenntnisse der Unfallforschung völlig gleichgültig, wenn nicht zuwider sind.

Als Belege für die Preiswürdigkeit waren die relativ jungen Radverkehrsführungen, teils (benutzungspflichtige) Radfahr-, teils sogenannte „Schutz“streifen, in Siechen- und Lichtenhaidestraße eingereicht worden (http://www.cycleride.de/component/joomgallery/pannenflicken-19-20/bamberg.html). Sie sind meist zu eng dimensioniert, teils durch Bushaltestellen unterbrochen und verfügen über keinerlei – oder überwiegend zu schmal bemessene – seitliche Sicherheitsräume zum ruhenden wie zum fließenden Kraftfahrzeugverkehr. Sie drängen – rechtlich bei Radfahrstreifen, suggestiv bei „Schutzstreifen“ (keine Benutzungspflicht, aber fordernd-aggressives Fahrverhalten etlicher Kraftfahrer) – die Radler an den äußersten Fahrbahn- bzw. Fahrstreifenrand und provozieren auf diese Weise Unfälle durch plötzlich geöffnete Autotüren und Überholen ohne Seitenabstand. Vor diesen Risiken war die Stadt Bamberg vor Realisierung deutlich gewarnt worden – vergeblich.

Bernd Sluka, Mitglied der Expertenjury sowie Radverkehrsfachmann und bayerischer Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), schreibt u. a. (www.cycleride.de/aktuelles/news/111-radverkehrsexperten-setzen-watschen-fuer-die-pannenflicken-preistraeger-und-nominierten.html): „Platz 3 müsste ich gleichermaßen an Aachen, Bamberg und Ditzingen vergeben. Denn alle drei kombinieren Mindestmaße und verzichten auf ausreichende Sicherheitsabstände“.

Obgleich er sich hier für Aachen entscheidet, heißt es, in bittere Ironie einmündend, weiter: „Bamberg ist bekannt für schlechte Radverkehrsanlagen. Dass überwiegend Mindestmaße verwendet werden und Sicherheitsstreifen fehlen passt dazu. Das spiegelt sich auch in dem Unfallgeschehen in Bamberg wieder, wo im Vergleich zu anderen bayerischen Städten übermäßig viele Fahrradunfälle auftreten. Passend ist aber, dass die Siechenstraße am Friedhof vorbei führt. Damit qualifiziert sich Bamberg für den Titel Stadt der kurzen Wege.“

Jurymitglied Ervin Peters sieht in den Bamberger Fahrradspuren „halt die Konsequenz der Forderung nach Separation, es ist überflüssig und führt mit der territorialen Zuordnung zu Revierkrämpfen“.

Einige der für die nominierten Sachverhalte Verantwortlichen hatten den untauglichen Versuch unternommen, ihre Maßnahmen zu rechtfertigen (www.cycleride.de/aktionen/pannenflicken/2019-2020/112-die-versuche-der-behoerden-einer-pannenflicken-nominierung-zu-entkommen.html). In seiner Antwort auf eine dieser Stellungnahmen erläutert der Cycleride-Vorsitzende Ralf Epple ausführlich: Schon die Querschnittsangaben, welche die einschlägigen Regelwerke für Fahrwege und Sicherheitsräume vorgeben und die von vielen Behörden mißachtet werden, genügen den realen Anforderungen nicht. Denn sie berücksichtigen weder die tatsächlichen Kfz-Breiten noch die von der Rechtsprechung geforderten Seitenabstände. Doch die Behörden „können und dürfen sie größer ausgestalten, nachdem sie vielleicht selbst einmal nachrechnen oder jemanden anstellen, der wirklich Erfahrung mit dem Rad fahren im Alltag hat“. Ergänzend verweist er auf die Unfallforschung: www.udv.de/de/strasse/stadtstrasse/radverkehr/radfahrstreifen-und-schutzstreifen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig