Bayern: Bildungsgewerkschaft GEW hält Normalbetrieb in der Arbeit mit Kindern aktuell undenkbar
Die Bildungsgewerkschaft GEW hält einen Regelbetrieb ab 01. Juli in Kitas, Krippen, Horten und den Einrichtungen der Behindertenhilfe für ausgeschlossen. Stattdessen müsse nun darauf hingearbeitet werden, dass alle Kinder ein reduziertes Angebot erhalten und Familien entlastet werden. Der Schutz der Risikogruppen und das Kinderrecht auf Bildung seien anders nicht zu gewährleisten.
Die bayerische Staatsregierung verkündet die weitere Ausdehnung der Notbetreuung zum 15. Juni 2020 und die Aufnahme des Regelbetriebs zum 1. Juli 2020. „Mit den vorhandenen Innen- und Außenflächen ist ein Regelbetrieb nach den Vorgaben des bayerischen Rahmen-Hygieneplans nicht umsetzbar“, führt die Kita-Expertin der GEW, Conny Rosenlehner aus. „Die sinnvolle Nutzung von Außenflächen ist nicht bei allen Einrichtungen möglich und gegeben. Außerdem ist das Infektionsrisiko in geschlossenen Räumen erheblich erhöht. Wegen des erhöhten Infektionsrisikos in geschlossenen Räumen müssen nun weitere Flächen zur Verfügung gestellt werden. Gemeinden sind aufgefordert, jeden geeigneten Raum umzuwidmen, um Kinder und Beschäftigte besser vor Ansteckung zu schützen“ ergänzt Mario Schwandt, zuständiger Gewerkschaftssekretär.
Neben den fehlenden Flächen sieht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ein weiteres Problem: ein erheblicher Anteil der Beschäftigten gehört der Risikogruppe an. „Schon vor der Pandemie litt der Kita-Bereich unter Personalmangel. Gruppengrößen von 25 Kindern gerechnet auf eine Beschäftigte waren keine Seltenheit. Aktuell ist der Bedarf aber real höher. Die Kinder benötigen mehr Aufmerksamkeit und die Umsetzung des Hygieneplans deutlich mehr Personal“, erläutert Mario Schwandt. Die Gewerkschaft schätzt, dass höchstens die Hälfte des Angebots möglich sei, wenn wirklich konstante Gruppen getrennt voneinander gebildet werden sollen.
Daher fordert die Bildungsgewerkschaft, keine Hoffnungen auf einen baldigen Regelbetrieb zu wecken. Noch sei völlig unklar, in welchem Umfang Kinder und Beschäftigte sich gegenseitig anstecken können. Dass Kinder infektiös sein können, hält die Gewerkschaft für eine inzwischen gesicherte Erkenntnis. „Es muss klar sein: die Kolleginnen und Kollegen arbeiten in einem Arbeitsfeld, in dem wie in keinem anderen in Deutschland ein wirksamer Arbeitsschutz kaum vorstellbar ist. Abstand zu Kindern oder das Tragen von Masken sind schlicht nicht durchgehend praktikabel. Daher kann niemand sich sicher sein. Auch die penibelste Einhaltung aller Empfehlungen führt zu keiner akzeptablen Minimierung des Restrisikos.“, verdeutlicht Gabriele Albrecht-Thum, ebenfalls zuständige GEW-Gewerkschaftssekretärin.
Dass Risiken nun mal zum Leben gehören, so wie es im Zusammenhang mit der Pandemie und Kitas aus den Medien zu vernehmen ist, ist für die GEW nicht hinnehmbar. Diese Haltung spiegelt zudem die mangelnde Wertschätzung wieder gegenüber den sozialpädagogischen Berufen. Bei den Lehrkräften habe der Freistaat immerhin verbindliche Regeln für den Schutz der Risikogruppen erlassen, bei den Kolleginnen aus den sozialpädagogischen Berufen würden klare und bindende Vorgaben zum Schutz der Risikogruppen fehlen. „Das wird hier dem Arbeitsschutzrecht überlassen und es wird daraufgesetzt, dass Arbeitgeber dieses auch ausreichend umsetzen. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass das Arbeitsschutzrecht ohne einen Betriebsrat, der das kontrolliert und durchsetzt, wenig wert ist. Eine Kollegin, die in den vielen Betrieben ohne Betriebsrat arbeitet, hat davon wenig. Wer legt sich schon allein mit dem Arbeitgeber quer, wenn im Betrieb keine starke Vertretung hinter einem steht.“ beschreibt Mario Schwandt das Problem.
Die Rechte der Kinder wurden bisher während der Corona-Pandemie nicht ausreichend wahrgenommen „Sie haben ein Recht auf Bildung und Lernen findet primär durch Interaktion mit anderen Kindern statt. Von daher müssen nun alle Anstrengungen unternommen werden, um diese Rechte zu verwirklichen, damit nun alle Kinder wenigstens ein reduziertes Angebot haben. Geld muss in die Hand genommen werden, Flächen müssen erweitert werden, Personalkonzepte entwickelt werden. So ist beispielsweise denkbar, dass eine Kita eine Student*in der Pädagogik oder Kindheitspädagogik, die gerade keinen Studentenjob mehr hat, gegen gute Bezahlung und natürlich auch refinanziert, ergänzend für einfache Hilfstätigkeiten einsetzt. Auch müssen Reinigungsfirmen finanziert werden, die die Kolleg*innen bei der Hygiene unterstützen“ beschreibt Gabriele Albrecht-Thum, zuständige Gewerkschaftssekretärin die Ideen, die derzeit innergewerkschaftlich in Bayern diskutiert werden.
Mario Schwandt ergänzt: „Uns machen auch neue wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den sogenannten Superspreading-Events Sorgen. Familien müssen wissen, dass ihr Kind das Virus nach Hause bringen kann. Es wäre fatal, wenn nun die Großeltern infiziert werden, weil die Familien die Situation zu locker einschätzen. Auch macht uns große Sorgen, dass die Gesundheitsämter sehr uneinheitlich mit Quarantänen umgehen, wie uns immer wieder berichtet wird. In einem Fall wird die Kita komplett geschlossen und alle Kinder und Beschäftigten sind nebst Angehörigen in Quarantäne, in einem anderen Fall soll es reichen, dass nur die klar positiv Getesteten zu Hause bleiben müssen. Wir sind keine Epidemiologen und können uns kein Urteil erlauben, aber irritierend ist dies, schon und besonders wenn Experten, wie Lauterbach oder Drosten, fordern, dass wie in Japan immer ein ganzes sogenanntes Cluster sofort in Quarantäne müsste. Die Bildungsgewerkschaft hält daher regelmäßige Tests, mehr Forschung und vor allem bundesweit klare und verbindliche Richtlinien für unerlässlich. „Klar kann sehr vieles am besten vor Ort geregelt werden, aber warum die Quarantäne von Infizierten und potenziell Infizierten nicht einheitlich standardisiert ist, bleibt uns ein Rätsel.“, ergänzt seine Kollegin Albrecht-Thum.
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