Bayreuther Professor gibt Tipps: So klappt es mit mehr Bewegung bei Typ-2-Diabetes

Snackend aktiv: Expertenratschlag für Bewegung und Diabetes

Menschen mit Typ-2-Diabetes können mit einem gesunden Lebensstil viel erreichen – sogar ganz normale Zuckerwerte sind möglich. Das konnte zuletzt eine Studie zum digitalen Diabetes-Begleiter ‚glucura‘ zeigen. Individualisierte Ernährung und ausreichend Bewegung sind die Grundpfeiler, um Zuckerwerte niedrig zu halten und Folgeerkrankungen vorzubeugen.

Das Ziel des Bayreuther Professors Dr. Othmar Moser ist es, mehr Aktivität in das Leben von Betroffenen zu bringen. Im Interview gibt der Experte Tipps für den Alltag.

Gesünder ernähren, mehr bewegen – das hören Menschen mit Typ-2-Diabetes regelmäßig. Allerdings wissen sie häufig nicht, wo sie mit der Lebensstilanpassung anfangen sollen, und sind schnell überfordert. Wie können Betroffene gegensteuern?

Prof. Dr. Othmar Moser: Wenn sich Typ-2-Diabetes entwickelt, dann ist das ein Prozess, der Jahre dauert. Und man darf nicht erwarten, dass man so etwas innerhalb von zwei Wochen in den Griff bekommt. Man muss dem Ganzen Zeit geben, und in dieser Zeit darf man nie sein Selbstvertrauen verlieren. Ganz wichtig: Es muss nicht sofort schweißtreibender Sport sein und die Menschen müssen auch nicht im Fitness-Studio zu Höchstleistungen auflaufen. Für den Anfang ist es oft ausreichend, seine physische Alltagsaktivität zu erhöhen. Und es müssen nicht gleich die vielzitierten 150 Minuten Bewegung pro Woche sein. Stattdessen sollten Betroffene damit starten, körperliches Training in die alltagsphysische Aktivität zu integrieren. Wichtig ist auch, etwas zu finden, das zu ihnen passt und ihnen Spaß macht. Sie müssen sich vorstellen können, die Aktivitäten die nächsten Jahre lang jeden Tag auszuüben.

Welche Tipps habe Sie für den Einstieg?

Prof. Dr. Othmar Moser: Ganz einfach: Am Anfang reicht es, sich erst einmal mehr zu bewegen als zuvor. Wenn wir zum Beispiel einen Patienten/Patientin haben, der/die sich aktuell pro Tag 10 Minuten bewegt, dann ist es ein Fortschritt, wenn er sich eine Woche später 15 Minuten bewegt, danach 20 Minuten und so weiter. Jeder Schritt zählt, und einer mehr ist immer besser als einer weniger. Wenn dieser Mechanismus läuft, dann kommen die Patient:innen relativ flott bei den empfohlenen 150 Minuten pro Woche an. Und dann haben sie auch die Option, mit Sport zu starten.

Könnten Sie dafür ein Beispiel aus dem Alltag geben?

Prof. Dr. Othmar Moser: Versuchen Sie einmal, beim Einkaufen den Parkplatz zu nehmen, der am weitesten vom Eingang weg ist. Oder ein Tipp für Großstädter: Steigen Sie eine Station früher aus dem Bus oder der Bahn aus und/oder steigen Sie eine Station später ein. Mit solchen Tricks hat man schnell 20-30 Minuten Gehen beisammen. Und nutzen Sie einfach Treppen für ein Intervalltraining. Das schaut so aus, dass man jedes Stockwerk nach oben so schnell wie möglich hochgeht, danach 30 Sekunden Pause macht und das nächste Stockwerk genauso.

Gesundes Snacking für Menschen mit Diabetes: Exercise Snacking

Was können Sie Menschen mitgeben, die viel im Büro sitzen?

Prof. Dr. Othmar Moser: In einer Studie haben wir uns angeschaut, was passiert, wenn eine Person mit physischer Inaktivität acht Stunden in der Arbeitswelt sitzt, dann in regelmäßigen Abständen aufsteht und sich wieder setzt oder zwischendurch immer wieder ein bisschen geht. Und tatsächlich ist das gut für den mittleren Blutzuckerwert und sogar für die chronische Entzündung. In die Praxis übertragen bedeutet das: Versuchen Sie einfach, im Büro für all Ihre Kollegen/Kolleginnen den Kaffee zu holen. Dann werden Sie regelmäßig etwa zwei Minuten gehen und Sie haben genau dieses Exercise-Snacking. Gleichzeitig machen Sie sich extrem beliebt (lacht)

Was empfehlen Sie Betroffenen, wenn sich der innere Schweinehund ganz laut meldet?

Prof. Dr. Othmar Moser: Es ist wichtig, dass sich Betroffene die Bewegung wie einen Termin im Kalender eintragen und zu einem Fixpunkt im Tagesablauf machen. Am besten führen sie ein Tagebuch, wo sie eintragen, an welchem Tag das Training geplant ist, an welchem Tag sie das Training umgesetzt haben usw. Ganz nach dem Motto: Mitschreiben, umsetzen abhaken. Dann bleiben Sie auch am Ball, weil Sie die Bewegung quantifiziert haben.

Nun hat aber nicht jeder überall einen Notizblock dabei…

Prof. Dr. Othmar Moser: Aber ein Smartphone haben wir alle. Und mit wissenschaftlich fundierten Apps haben wir heutzutage die Möglichkeit, gleich mehrere Dinge zu schaffen: Motivation, Wissen und Dokumentation. Digitale Gesundheitsanwendungen oder abgekürzt „DiGA“ sind wissenschaftlich auf ihre Wirksamkeit geprüft. Beispiel glucura: Die App ist als Medizinprodukt zugelassen, es gibt sie auf Rezept und sie begleitet in Punkto Lebensstilanpassung ganz individuell. Möglich macht das unter anderem die Erfassung und Bewertung des Zuckers mit Hilfe eines Sensors, der am Arm getragen wird.

In einer aktuellen Studie hat glucura übrigens gezeigt, dass die Teilnehmer:innen sich sehr schnell in ihren Werten deutlich verbessert haben und diese bei längerer Nutzung auch beibehalten konnten: Diabetes Studie B2C glucura (PDF, 589 KB)

Meine Vision ist es deshalb, dass solche digitalen Hilfsmittel zur Regel werden sollten. Denn ohne weitere Unterstützung ist das Predigen von einem gesunden Lebensstil wie ein Rezept, zu dem es kein Medikament gibt.

Es gibt unglaublich viele Apps für Typ-2-Diabetes oder für Bewegung. Wo trennt sich die Spreu vom Weizen?

Prof. Dr. Othmar Moser: Erstens muss es natürlich Studien dazu geben. Der zweite Aspekt ist die Kommunikation mit einem Glukosesensor – das heißt, dass die Zuckerwerte kontinuierlich miterfasst werden. Das brauchen die Patient:innen, um Feedback zu bekommen. Ohne diese Möglichkeit müssen sie drei Monate warten, bis die nächste HbA1c-Messung beim Arzt oder der Ärztin stattfindet. Wenn es keine Unterstützung gibt, haben sich bis die alten Gewohnheiten wieder eingeschlichen.

Was raten Sie vor allem älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes?

Prof. Dr. Othmar Moser: Auch ältere Menschen kommen mit einer nutzerfreundlichen App wie glucura sehr gut zurecht. Darüber hinaus ist mein Tipp für ältere Betroffene: Wenn Sie Großeltern sind, nutzen Sie die Zeit, um mit Ihren Enkelkindern zu spielen! Das ist das wundervollste Intervalltraining und Sie kommen mit ganz viel Spaß aus der Puste. Versuchen Sie auch, Sportarten wieder aufzugreifen, die Sie in Ihrer Kindheit oder Jugend ausgeübt haben. Wenn es Ihnen damals Spaß gemacht hat, wird das auch heute so sein.

Wie finden Betroffene, die vorher noch nie Sport gemacht haben, heraus, welche Art von Bewegung zu ihnen passt?

Prof. Dr. Othmar Moser: Gehen Sie auf YouTube, schauen Sie sich Sportarten an und bleiben Sie bei der, die Ihnen vom Zuschauen her am meisten Freude bereitet. Wenn Sie etwas entdecken – sei es Bogenschießen oder Golf spielen – dann rufen Sie bei den Vereinen an und probieren das aus. Und wenn es einmal klappt und Spaß macht, dann gibt es auch keinen inneren Schweinehund mehr.

Aber wenn die Freundin anruft und sich auf einen Kaffee treffen will? Wie widerstehen wir der Verlockung, den Sport dafür abzusagen?

Prof. Dr. Othmar Moser: Wer sagt, dass man beim Kaffeetrinken sitzen muss? Seien Sie kreativ! Nehmen Sie doch einen Coffee to go und gehen mit einer Freundin oder einem Freund eine Stunde spazieren. Einfach jede Gelegenheit für Aktivität nutzen. Es gibt natürlich nicht das Patentrezept, das für jeden von uns wirkt, aber jeder kann etwas finden, was in seinen Alltag und seine Vorlieben passt.

Was sagt die Wissenschaft, was das Optimum an Bewegung ist?

Prof. Dr. Othmar Moser: Die Forschung hat herausgefunden, dass ein Ausdauer- und Krafttraining in Kombination – und das 3x pro Woche ungefähr eine Stunde – am effizientesten bei Typ-2-Diabetes ist. Dann geht der mittlere Blutzuckerwert nach unten und bleibt dort auch stabil. Dass so etwas unabhängig von Medikamenten möglich ist, fasziniert mich jeden Tag auf’s Neue. Und es motiviert mich, um Betroffene zu motivieren, sich diesem Ziel zu nähern – aber immer auf ihre eigene Art und Weise.

Die sieben Bewegungs-Gebote von Othmar Moser für Menschen mit Typ-2-Diabetes

  1. Machen Sie jeden Tag ein paar Schritte mehr, ganz nach Ihrem eigenen Tempo!
  2. Snacken Sie Bewegung, mit Exercise-Snacking (z.B. Aufstehen–Hinsetzen)!
  3. Nutzen Sie die Treppen für praktisches Intervalltraining im Alltag!
  4. Machen Sie Bewegung quantifizierbar, nach dem Motto: Mitschreiben, Umsetzen, Abhaken!
  5. Lassen Sie alte Sportleidenschaften wieder aufleben (oder probieren Neue aus)!
  6. Bleiben Sie am Ball mit digitaler Begleitung – für mehr Motivation, Wissen und Dokumentation!
  7. Zählen Sie auf wissenschaftlich erprobte Diabetes-Apps, die Blutzucker-Feedback geben (z. B. glucura – gibt es auf Rezept)!

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