Aus der Gaustadter Leserpost: „Fahrradunfälle – Ursachenforschung Fehlanzeige“
Sehr geehrte Damen und Herren!
Mehrere Berichte über Fahrradunfälle der jüngeren Vergangenheit machen nachdenklich. Denn sie zeigen, daß an einer rückhaltlosen (!) Aufarbeitung der Ursachen, zumindest aber der Veröffentlichung der Ergebnisse, kein wirkliches Interesse auf Seiten der Verkehrs- und Ordnungsbehörden besteht. Die Scheu, praktische Konsequenzen ziehen zu müssen, ist augenscheinlich zu stark. In die einschlägigen Regelwerke sowie die Rechtsprechung sind die Erkenntnisse bereits seit vielen Jahren eingeflossen, werden vor Ort aber fast schon konsequent ignoriert.
„Radfahrer stürzt und verletzt sich“ (Zapfendorf)
„… Fahrradfahrer … war aus Unachtsamkeit mit dem Vorderreifen gegen die Bordsteinkante gefahren“, heißt es (Fränkischer Tag, 31. Juli 2024).
„Bei der Analyse von Unfallursachen bei Fahrbahnunfällen wurde ermittelt, dass Radfahrer zu nah am Fahrbahnrand und parkenden Fahrzeugen vorbeifahren. Die Vergrößerung des Seitenabstandes eines Radfahrers zum Fahrbahnrand und zu parkenden Kfz hat großes Potenzial, die ohnehin geringen Unfallzahlen von Radfahrern auf Fahrbahnen (im Vergleich zu fahrbahnbegleitenden Radverkehrsanlagen) weiter zu verringern. …
‚Es ist möglichst weit rechts zu fahren‘ (StVO, §2-2). Das bedeutet nach geltender Rechtsprechung, möglichst weit rechts, ohne sich selbst oder Andere mehr als nach den Umständen unvermeidbar, zu gefährden und zu behindern. …
‚Hält ein Radfahrer von dem unmittelbar neben der Fahrbahn verlaufenden Gehweg einen Abstand von 75 bis 80 cm, so hat er in aller Regel gegenüber den Benutzern des Gehwegs seinen Pflichten aus § 1 StVO erfüllt‘ (BGH, Az. VI ZR 66/56).
‚Ein Radfahrer darf bei Dunkelheit und Regen auf stark befahrener Straße nicht weiter als 1 m vom rechten Fahrbahnrand fahren’ (OLG Saarbrücken, Az. 3 U 186/77). …
‚Doch erweitert sich der zulässige Abstand bei Straßenbahnschienen, bei hohen Bordsteinen (BGH, VersR 1955, 764), tiefen Gullydeckeln (KG, MDR 1999, 865), bei gefährlichem Kopfsteinpflaster, und an anderen Hindernissen, denen aufgrund der Instabilität des Rades und den damit einhergehenden unvermeidlichen Schwankungen nicht anders ausgewichen werden kann‘ (‚Recht für Radfahrer‘, Dietmar Kettler, 2008)“ – zitiert aus „Seitliche Sicherheitsabstände“, Fachausschuß Radverkehr des ADFC und SRL, Juli 2011.
Ungeachtet vorstehend zitierter Ausführungen, konnte ich miterleben, wie in der schulischen Verkehrserziehung („Fahrradausbildung“ in der vierten Klasse) großer Wert darauf gelegt wurde, daß Radfahrer/innen sich hart an Fahrstreifenbegrenzung, Bordsteinkante bzw. parkenden Kraftfahrzeugen entlang aufzuhalten hätten. Eine Schülerin, die beim Einordnen in die Linksabbiegespur zulässigerweise (und aus Sicherheitsgründen geboten) einen ca. halbmeterbreiten Abstand zum benachbarten Fahrstreifen belassen wollte, wies der die Veranstaltung leitende Polizeibeamte harsch zurecht.
Zwar kann ich dem Zeitungsbericht nicht den genauen Unfallverlauf entnehmen. Solange den Radfahrer/inne/n aber sich selbst gefährdendes Verhalten von klein auf eingetrichtert wird, darf man sich über Stürze in Folge Bordsteinberührung mit Reifen oder Pedal nicht wundern.
„Radfahrer prallt gegen Autotür“ (Bamberg)
„Ohne auf den rückwärtigen Radverkehr zu achten, hat ein Beifahrer …in der Memmelsdorfer Straße seine Autotür geöffnet“, ist zu lesen (Fränkischer Tag, 3. August 2024).
„Eine deutsche Untersuchung [BAST-V09] kommt auf einen Anteil dieser Türkollisionsunfälle von 46 % aller Unfälle auf der Fahrbahn. … Diese Art mit dem Rad zu verunfallen tritt auf Radwege, Radfahrstreifen und Angebotsstreifen, die keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zu parkenden Autos erlauben, ebenfalls erkennbar auf, gelegentlich mit tödlichem Ausgang“ („Seitliche Sicherheitsabstände“, ADFC und SRL; die dort noch „Angebotsstreifen“ genannten Fahrspuren werden heute, obgleich sie in der Realität keinerlei Schutz bieten, irreführenderweise als „Schutzstreifen“ bezeichnet).
Da der Beifahrer im Kraftfahrzeug den Unfall verursacht hat, ist anzunehmen, dass sich der Radfahrer auf dem rechts davon geführten Radweg befunden hat. Die Radwege entlang der Memmelsdorfer Straße sind nahezu ausnahmslos weit schmaler als in den technischen Regelwerken vorgegeben (2 m Fahrwegbreite und 0,75 m seitlicher Sicherheitsraum zum fließenden bzw. ruhenden Kraftverkehr; an unvermeidbaren kurzen Engstellen darf auf 1,6 m oder 0,5 m reduziert werden – für den vor Oktober 1997 fertiggestellten Altbestand gilt eine lichte Weite einschließlich Sicherheitsraums von 2 m bzw. 1,5 m an Engstellen). Die teilweise verschwungene Linienführung hinter Parkstreifen verursacht ein zusätzliches Risiko an den ohnehin für Radwegnutzer/innen gefährlichen Einmündungen. Das ist allerdings für den hier in Rede stehenden Unfall ohne Belang.
Benutzungspflicht darf innerorts auf baulichen Radwegen nur angeordnet werden, wenn eine nachweislich auf der Fahrbahn vorhandene, das normale Maß erheblich übersteigende und durch die Örtlichkeit bedingte Gefahrenlage nicht mit milderen Maßnahmen entschärft werden kann (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung – VwV-StVO). Zudem muß der Radweg vorgegebenen Qualitätsanforderungen entsprechen. Beides ist auf der Memmelsdorfer Straße nicht gegeben. Die Fahrbahn ist übersichtlich, der Radweg hingegen an mehreren Einmündungen schwer einsehbar. Es gibt überwiegend keine ausreichenden Abstände zu Fahrbahn bzw. Parkstreifen, und über weite Strecken ermöglicht der Gehsteig keinen ungehinderten Begegnungsverkehr mit Rollstuhl bzw. Kinderwagen, da er nicht die vorgegebene Breite von 2,50 m (2,20 m an Engstellen) aufweist.
„Frau stirbt nach Sturz“ (Gundelsheim)
„… als ein … Pedelec-Fahrer beim Überholen mit …“ (ihr) „… zusammenstieß“ (www.infranken.de/lk/bamberg/blaulicht/toedlicher-fahrradunfall-im-kreis-bamberg-frau-78-erliegt-schweren-verletzungen-art-5904375; Fränkischer Tag, 5. August 2024).
Der Weg zwischen Lichteneiche und Gundelsheim dürfte weitgehend eine Breite von etwa 2 m haben, also den Regelquerschnitt eines Ein-Richtungs-Radwegs ohne fußläufigen Verkehr aufweisen.
„Grundprinzip des Zweiradfahrens ist das Pendeln rund um die angestrebte Fahrlinie. Der Radfahrer befindet sich in einem labilen, dynamischen Gleichgewicht. … Dieses Pendeln um die gewünschte Fahrlinie bedeutet, dass Radfahrer für Ihren Weg nicht nur die Reifenbreite brauchen, sondern einen Fahrspurkorridor, der wesentlich breiter ist. … Der Überholabstand von 10-50 cm, der sich rechnerisch ergibt, wenn beide Radfahrer ohne Abstand zum linken bzw. rechten Rand fahren, ist zu gering und steht in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu den anderen geforderten Überholabständen“ („Seitliche Sicherheitsabstände“, ADFC und SRL).
Wenngleich Unvorsichtigkeit der Beteiligten nicht ausgeschlossen werden kann, dürfte der unzureichende Wegezustand erheblich zum tragischen Geschehen beigetragen haben. Leider werden selbst physikalisch bedingte Erfordernisse bei der Gestaltung von Radverkehrsanlagen regelmäßig außer acht gelassen. Offensichtlich spielen weder die einschlägigen technischen Regelwerke noch die Erkenntnisse der Verkehrsunfallforschung für Entscheidungen der Verantwortlichen eine relevante Rolle.
Es gibt bereits Urteile, die das gegenseitige Überholen von Radfahrer/inne/n auf straßenunabhängig geführten Außerortsradwegen von 2 m Breite für unzulässig erklären, da kein ausreichender Abstand eingehalten werden kann. Die hochgradig unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten im Radverkehr erfordern jedoch häufiges Überholen, ansonsten wird das Verkehrsmittel Fahrrad unangemessen ausgebremst.
Aufgekommenen Überlegungen, auch schnelle Elektroräder, die sogenannten S-Pedelecs, die aus gutem Grund als Kleinkrafträder eingestuft sind (Helm-, Versicherungs- und Kennzeichenpflicht), auf Radverkehrsanlagen, vielleicht auch noch auf gemeinsamen Fuß- und Radwegen zuzulassen – oder gar die Benutzung vorzuschreiben -, ist in jedem Fall eine deutliche Absage zu erteilen.
Bauliche Radwege für den Zweirichtungsverkehr erfordern, abschließend angemerkt, einen Regelquerschnitt von 3 m (an Engstellen 2,5 m) zuzüglich seitlicher Sicherheitsräume (im Altbestand 2,4 m / 2 m einschließlich der Sicherheitsräume), gemeinsame Fuß- und Radwege 2,5 m bis 4,5 m (bei Radverkehr in beiden Richtungen liegt die Orientierung an der oberen Grenze naturgemäß nahe; das für den außerörtlichen Altbestand genannte Maß von 2 m ist fachlich nicht nachvollziehbar). Die VwV-StVO besagt allerdings: „Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll deshalb grundsätzlich nicht angeordnet werden.“ Doch unmittelbar anschließend wird diese wahre Erkenntnis über Bord geworfen: „Eine Benutzungspflicht kommt in der Regel außerhalb geschlossener Ortschaften, ein Benutzungsrecht innerhalb geschlossener Ortschaften ausnahmsweise in Betracht“ – aber auch das nur bei Beachtung der einschlägigen Qualitätsvorgaben, was leider vielfach nicht der Fall ist.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig,
Bamberg-Gaustadt
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