Im Gespräch mit Klaus Emmerich: Kampf gegen das Kliniksterben und für flächendeckende Notfallversorgung
Klaus Emmerich, Mitgründer des Bündnis ‚Klinikrettung‘ auf Bundesebene und der Aktionsgruppe ‚Schluss mit Kliniksterben in Bayern‘, ist ein Mann der Zahlen.
Ihm sind zwei Zahlen besonders wichtig: 30 Minuten Fahrzeit bis zum nächsten Krankenhaus mit Basisnotfallversorgung und 15 Prozent Arbeitszeit, die durchschnittlich deutschlandweit in Krankenhäusern für das Kodieren und Dokumentieren von Fallpauschalen aufgewandt werden müssen; Zeit, in der das medizinische Personal am Patienten tätig sein könnte.
Mein Interview mit Stichworten, auf die der pensionierte Klinikleiter der kommunalen Häuser in Sulzbach-Rosenberg und Auerbach antwortet, beginnt mit einer Beleidigung:
Franka Struve-Waasner: Sind Sie ein verbohrter Ignorant, Herr Emmerich?
Klaus Emmerich: Manche mögen das glauben, aber ich werde Ihnen heute belegen, dass das nicht so ist.
FS: Ziele der Bürgerinitiativen?
KE: Unsere Ziele sind eine flächendeckende klinische Versorgung in ganz Deutschland, bei der jeder Mensch binnen 30 Fahrzeitminuten ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung einschließlich Basisnotfallversorgung erreicht. Dies ist in lebensbedrohenden Situationen notwendig. Dieser Zustand ist momentan weitgehend erreicht, aber wir haben bereits in Bayern 127 Postleitzahl-Regionen, wo das nicht mehr der Fall ist. Zu den Mindeststandards zählen aus unserer Sicht Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Intensivmedizin und Basisnotfallversorgung.
FS: „Wir haben weder das Personal noch die Ressourcen noch den Bedarf für 1720 Krankenhäusern“, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Was sagen Sie?
KE: Wir haben den Bedarf an Krankenhäusern eindeutig, wie die Corona-Pandemie gezeigt hat. Während der Pandemie mussten Patienten zwischen Bundesländern verlegt werden, weil die Kapazitäten nicht ausreichten. Lauterbach argumentiert aus einer Position des Mangels, mit zu wenig Ärzten und Pflegekräften, was jedoch verschwiegen wird, ist die ineffiziente Nutzung des Personals. 15% ihrer Arbeitszeit gehen für die Kodierung und Dokumentation der DRG-Fallpauschalen verloren. Würden wir ein anderes Vergütungssystem einführen, das diese Bürokratie nicht erfordert, könnten die vorhandenen Mitarbeiter 15% mehr Zeit mit den Patienten verbringen, ohne zusätzliche Kosten. Das entspricht bundesweit immerhin 161.600 klinischen Mitarbeitern bzw. 123.000 Vollzeitkräften. Das würde viele Personalengpässe lösen.
FS: Anderes Vergütungssystem?
KE: Ja, das Vergütungssystem könnte auf Selbstkostendeckung der Krankenhäuser umgestellt werden. Krankenhäuser würden monatliche Vorschüsse erhalten und am Jahresende eine Abrechnung auf Basis eines Wirtschaftsprüfertestats vornehmen. Dadurch erhalten defizitäre Krankenhäuser mehr Geld , während renditeorientierte Kliniken keine Gewinne mehr machen würden. Jedes Krankenhaus würde eine schwarze Null schreiben, also weder Gewinn noch Verlust erzielen. Momentan fließt bei renditeorientierten Kliniken Geld aus dem Gesundheitswesen ab, weil sie sich auf lukrative Bereiche, wie die Orthopädie, konzentrieren und die Notfallversorgung vernachlässigen. Durch die Abschaffung der DRG-Fallpauschalen könnte dieser wirtschaftliche Druck reduziert und eine bedarfsorientierte Krankenhausversorgung sichergestellt werden.
FS: Bedarf?
KE: Der Bedarf ist seit der Corona-Pandemie zwar zurückgegangen, aber wir brauchen weiterhin Standorte in der Fläche. Gesundheitsminister Lauterbach plant, Standorte zu schließen und wichtige Leistungen selektiv zu vergeben. In einigen Regionen, besonders an der deutsch-tschechischen und deutsch-österreichischen Grenze, können über 30.000 Einwohner kein Krankenhaus mehr innerhalb von 30 Minuten erreichen. Es ist wichtig, dass Krankenhäuser in der Nähe bleiben, unabhängig von ihrer Größe. Lauterbachs Vorschlag, Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in sektorenübergreifende Versorgungszentren umzuwandeln, bedeutet ärztliche Präsenz nur noch tagsüber und erschwert die durchgehende Notfallversorgung. Bei schweren Unfällen oder Herzinfarkten kann dies lebensentscheidend sein. Es muss ein Krankenhaus mit Basisnotfallversorgung innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein, um lebensrettende klinische Erstversorgung zu gewährleisten, bevor der Patient in ein spezialisiertes Krankenhaus verlegt wird. Sektorenübergreifende Versorgungszentren sind dafür nicht geeignet.
FS: Notfallversorgung im Rettungswagen oder Hubschrauber für den Transport in Großkliniken?
KE: Es wird argumentiert kleine Krankenhäuser durch gut ausgestattete Rettungswagen und Hubschrauberlandeplätze zu ersetzen, um Patienten schnell in große Krankenhäuser zu bringen. Doch glauben Sie, dass das in zwei Jahren Realität wird? Es fehlen die nötigen Ärzte, Hubschrauber und Hubschrauberlandeplätze. Die Idee, dass Hubschrauber alle Funktionen eines Krankenhauses übernehmen können, ist unrealistisch und hilft nur in bestimmten Fällen. Ein Hubschrauber kann keinen Intensivplatz ersetzen, keinen Schockraum vorhalten, kein interdisziplinäres Ärzteteam ersetzen. Es sind kein CT oder MRT an Bord.
FS: Ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung ist wegen der Notaufnahme und Intensivstation mit mindestens sechs Betten, die rund um die Uhr besetzt ist, sehr teuer. Könnte ein sektorenübergreifendes Versorgungszentrum hier Abhilfe schaffen, eventuell auch mit Übernachtungsmöglichkeiten?
KE: Das ist eine charmante Idee für jeden Patienten, solange er kein Notfallpatient mit lebensbedrohenden Erkrankungen ist. Wir sträuben uns nicht gegen ein sektorenübergreifendes Versorgungszentrum, auch nicht im ‚Bündnis Klinikrettung‘. Wir sehen es als Ergänzung, weil es vielfach Lücken in der ambulant-ärztlichen Versorgung schließen kann. Im Einzelfall kann man auch prüfen, ob ein geschlossenes Krankenhaus an der Stelle keine Versorgungslücke reißt mit 30 Fahrzeitminuten. Ein sektorübergreifendes Versorgungszentrum kann aber kein Krankenhaus ersetzen, weil das MRT und der CT fehlen, der durchgehend anwesende Arzt fehlt ebenfalls. Eine Pflegekraft entscheidet über die Erstintervention. Eine Intensivstation und Notaufnahme gibt es auch nicht.
Die Bundespolitik setzt auf Konzentrationsprozesse im Krankenhauswesen, was wir kritisch sehen. Es reicht nicht, nur statistisch zu erfassen, wie viele Betten durchschnittlich belegt sind; man muss die Versorgungssituation in jeder Region betrachten. Wir sperren uns nicht gegen Verschiebungen, aber die 30-minütige Erreichbarkeit muss gewährleistet bleiben. Bundesweite Kriterien für Leistungsgruppen führen zu Ausschlusskriterien für kleinere Krankenhäuser, was problematisch ist. Ein Beispiel ist Wegscheid bei Passau, wo Verschärfungen der Richtlinien dazu führen, dass die stationäre Notfallversorgung wegfällt und somit die Versorgung für 20.000 Einwohner gefährdet wird. Eine bundesweite Qualitätsvorgabe ohne lokale Anpassung ist Mangelverwaltung. Man muss bedarfsorientiert vorgehen und sicherstellen, dass notwendige Krankenhäuser die geforderten Voraussetzungen erfüllen können.
FS: Herr Emmerich, Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Franka Struve-Waasner
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