Bamberg will Obdachlosigkeit vermeiden
Familien- und Integrationssenat verabschiedet 10-Punkte-Plan
Die Stadt Bamberg engagiert sich bereits intensiv in der Obdach- und Wohnungslosenprävention in einem Netzwerk mit aktiven Partnerinnen und Partnern. Oberstes Ziel ist die Überwindung der Obdachlosigkeit. Hierzu war die Stadt Bamberg in Berlin als eine von 70 Kommunen an einem nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit beteiligt. Zweiter Bürgermeister und Sozialreferent Jonas Glüsenkamp setzt sich nun für ein Maßnahmenpaket ein.
Herr R. hat sein Zimmer „in der TH2“, hinten am Flur links. Er hat sich häuslich eingerichtet, so gut es eben geht. Als er obdachlos wurde, konnte er aus seiner Wohnungsräumung ein paar Möbel mit in die Theresienstraße 2 nehmen, die Obdachlosenunterkunft für Männer in Bamberg. Dort stehen maximal 56 Plätze zur Verfügung, durchschnittlich pendelt sich die Belegung bei 20 bis 30 Personen ein. Direkt an das Gebäude der „TH2“ grenzt die Kappellenstraße 28. Dort finden obdachlose Frauen mit ihren Kindern bzw. Familien Zuflucht, maximal 13 Plätze gibt es hier. Nicht immer können alle belegt werden, wenn etwa Familien in den Zimmern unterkommen. Die Auslastung: 100 %. „Seit dem Jahr 2023 nimmt die Obdachlosigkeit zu. Wir nehmen das als Folge der Energiekrise und allgemeinen Verteuerung wahr“, sagt Richard Reiser, Leiter des Amts für soziale Angelegenheiten. Es ist der Moment, in dem die Mitglieder des Familien- und Integrationssenates zum ersten Mal schlucken. Sie werden es bei diesem Ortstermin vor und in der „TH2“ noch häufiger tun.
Die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter schauen sich die Unterkunft an, weil in der Sitzung ein Zehn-Punkte-Plan in der Obdachlosenhilfe verabschiedet werden soll. Sie werden das Paket später einstimmig beschließen. Es sieht unter anderem vor, zehn der kargen Zimmer mit einer Grundausstattung zu versehen. Das Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert ist eine ehemalige Maschinenfabrik für Elektroteile, dann hat es die damalige Bundesbahn erworben. Seit 1959 ist die „TH2“ die Obdachlosenunterkunft in Bamberg und fast noch im Originalzustand: überall Holzboden, Toiletten und (sanierte) Duschen auf dem Gang, ein Küchenraum. Die Bewohner heizen ihre Zimmer mit einem Holzofen. Manche Obdachlose kommen mit ihrem Hausstand, wie Herr R. Andere kommen mit nichts. Dann stellt die Stadt Bamberg ein Feldbett und einen Schlafsack zur Verfügung. Nach dem Willen der Senatsmitglieder soll künftig eine minimale Grundausstattung für einen Teil der Zimmer angeschafft werden: Tisch, Bett, Stuhl, alles in schlichter Ausführung, alles aus Eisen, noch eine Matratze dazu; die Kosten liegen bei etwa 500 Euro pro Raum.
Kleinere Investitionen
In den vergangenen Jahren wurde bewusst auf Investitionen verzichtet, da Häuser in der Theresien- und Kapellenstraße voraussichtlich dem ICE-Bahnausbau durch Bamberg weichen müssen. Die Suche nach Ausweichunterkünften läuft bereits. „Da aber niemand so genau weiß, wann die Bahn tatsächlich los baut, haben wir das Thema für die heutige Sitzung als Schwerpunkt-Thema gewählt“, sagt Zweiter Bürgermeister und Sozialreferent Jonas Glüsenkamp beim Ortstermin. Er schaue sich die Situation bereits seit vier Jahren an, „nun sollten wir zumindest über kleinere Investitionen nachdenken.“ Zum Beispiel WLAN: „Die jüngeren Bewohner können dann von hier aus über das Smartphone ihre Anträge beim Jobcenter stellen“, erklärt Richard Reiser. Der jüngste in der „TH2“ sei 24, der älteste 71 Jahre, erläutert André Leipold, Sozialarbeiter für die Obdachlosenberatung. Manche wohnen nur übergangsweise hier, andere jahrelang. 70 Prozent der hier untergekommenen Männer hätten ein Drogenproblem.
Die folgende Senatssitzung steht noch spürbar unter den Eindrücken des Außentermins. Das Sozialreferat unter der Leitung von Bürgermeister Jonas Glüsenkamp will in den kommenden Jahren deutlich in die Prävention von Wohnungs- und Obdachlosigkeit investieren. Dazu hat der Bürgermeister dem Familien- und Integrationssenat ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das der Senat verabschiedete. Der Stadtrat ist nun gefordert, die notwendigen Mittel auch im Haushalt 2024 bereit zu stellen
Einen Punkt lässt Bürgermeister Glüsenkamp noch für die Öffentlichkeit erläutern: Was ist mit Obdachlosen im Straßenbild, um die sich anscheinend niemand kümmert? Mario Schmidt, Sachgebietsleiter Erwachsenenhilfen, klärt auf: „Die obdachlosen Personen sind uns in der Verwaltung zu 99% bekannt. Sie kennen unsere Angebote und Hilfsmöglichkeiten. Allerdings gibt es obdachlose Menschen, die sich nicht auf eine Unterkunft einlassen wollen oder krankheitsbedingt nicht können. Wir können immer nur ein Angebot machen, die Menschen entscheiden selbst, ob sie dieses annehmen wollen.“
Konzept zur Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit in der Stadt Bamberg (10-Punkte-Plan)
Ziel: Verlust von angemietetem Wohnraum verhindern bzw. Obdach- und Wohnungslosigkeit so gering wie möglich halten.
- Neue Fachstelle Wohnungsnotfallhilfe im Sachgebiet Erwachsenenhilfe
- Neue Stelle zur sozialen Wohnraumvermittlung
- Verstetigung des erfolgreichen Projekts „Übergangswohnen Plus“ (begleitete Wiedereingliederung in ein Wohnverhältnis)
- Kooperation zwischen Jobcenter und Fachstelle Wohnungsnotfallhilfe bei drohendem Wohnungsverlust
- Schaffung einer zusätzlichen Unterkunft für obdachlose Familien mit Kindern
- Zusätzliches Wohnungsangebot für obdach- und wohnungslose Frauen
- Erweiterung des Kälteschutzkonzepts (Wer braucht/will Schlafsack/Unterkunft?)
- Bereitstellung einer angemessenen Wohnsituation in der Obdachlosenunterkunft
- Medizinischer Behandlungsraum in einer Obdachlosenunterkunft
- Runder Tisch Obdach- und Wohnungslosigkeit
Begriffserläuterung
Definition Obdachlosigkeit
Obdachlos im ordnungsrechtlichen Sinne ist, wer nicht über eine Unterkunft verfügt, die Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet, Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt und insgesamt den Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung, entspricht.
Definition Wohnungslosigkeit
Wohnungslos ist, wer nicht über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum oder entsprechendes Wohneigentum verfügt oder gegebenenfalls nur institutionell untergebracht ist. Unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht ist, wem der Verlust seiner derzeitigen Wohnung unmittelbar bevorsteht, wegen Kündigung der Vermieterin bzw. des Vermieters, einer Räumungsklage (auch mit nicht vollstrecktem Räumungstitel), einer Zwangsräumung oder aus sonstigen zwingenden Gründen.
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