Sonntagsgedanken: Augenhöhe

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Liebe Freunde,

es gibt eine schöne Erzählung aus China, die mich immer wieder aufs Neue beeindruckt. Sie erzählt von einem reichen Chinesen, der zu einem großen Fest eingeladen hatte. Alle vornehmen und reichen Bürger kamen. Da begann es zu regnen und vor dem Tor bildete sich eine große Pfütze. Ein älterer Herr, vornehm gekleidet, kam vorgefahren und als er aus seiner Kutsche aussteigen wollte, blieb er mit dem Fuß am Trittbrett hängen und fiel in die Pfütze. Mühsam erhob er sich wieder. Aber er war von oben bis unten beschmutzt. Viele lachten und machten spöttische Bemerkungen.

Ein Diener, der den Vorfall beobachtet hat, meldet dies seinem Herrn, dem Mandarin. Dieser eilt sofort hinaus und kann den beschmutzten Gast gerade noch erreichen, bevor dieser zurückfahren will. Der Mandarin bittet den Gast, doch zu bleiben, ihm würde der Schmutz an seinen Kleidern nichts ausmachen. Doch der Gast hat Angst vor den Blicken und dem Getuschel der Leute und lehnt ab. Da lässt sich der Mandarin mit seinen schönen Gewändern in dieselbe Pfütze fallen, so dass auch er von oben bis unten voller Dreck ist. Er nimmt den Gast an der Hand und zieht ihn mit sich. Sie gehen beide, beschmutzt wie sie sind, in den festlich geschmückten Saal.

(Quelle unbekannt)

Pfarrer Klaus Weigand (rechts) mit Urmel ...

Pfarrer Klaus Weigand (rechts) mit Urmel …

Vielleicht frage Sie sich jetzt, warum ich diese Geschichte so gern erzähle. Der Grund ist, dass Jesus dasselbe auch getan hat, was der Fürst gemacht hat. Der Fürst beugte sich in den Schmutz, und genauso hat sich Jesus zu den Menschen hinabgebeugt. Sein ganzes Leben war ein Hinabbeugen, ein Dienen. Und ich frage mich: Haben wir das nicht längst verlernt? So viele erheben sich über andere, meinen immer etwas Besonderes zu sein, und die wenigsten wollen dem anderen noch dienen: das hätte so etwas von versklavt sein an sich. Aber das ist es doch gar nicht. Dem Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, dem Menschen zu dienen, bedeutet doch nichts anderes, als wie für ihn da zu sein. Es bedeutet, zu spüren, was denn der andere braucht, was ihm genau jetzt guttun würde.

Beim Abendmahl hat dies Jesus in der Fußwaschung deutlich gemacht: Er machte seinen Freuden klar, dass er hinter seiner Botschaft stand und sich nicht zu schade war, selbst diesen Dienst zu übernehmen. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben; handelt auch ihr jetzt so!“. Damit meint er auch uns. Deswegen sollten wir dem Nächsten nicht den Kopf waschen, sondern die Füße; und zwar dadurch, dass wir ihm auf Augenhöhe begegnen.

Wird es nicht endlich Zeit, uns einmal herabzubeugen und einander in die Augen zu schauen? Wird es nicht endlich Zeit, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden und uns dem andern zuzuwenden? Ein aufmunterndes Wort, eine lieb gemeinte Geste, ein Lob – das heißt, sich herabzubeugen und dem anderen die Füße zu waschen.

Und Sie werden es nicht glauben: Der andere strahlt dadurch plötzlich auf.

Meine Schwestern, meine Brüder, nur so schaffen wir ein Stück Kirche in unserer Gemeinde, ein Stück Gemeinschaft, ein neues Klima, ich möchte sagen, eine Atmosphäre im Sinne Jesu. Und dann werden nicht nur die anderen Heil erfahren, es fällt auf uns zurück und wir können wirklich Gott begegnen, weil er sich niederbeugt und unten zu finden ist.

„Ein Schüler kam zu einem Rabbi und fragte: „Rabbi, früher gab es Menschen, die Gott begegnet sind und ihn von Angesicht zu Angesicht geschaut haben. Warum gibt es die heute nicht mehr?“ Der Rabbi antwortet: „, weil sich niemand mehr so tief bücken will“.

Klaus Weigand


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Infos zu Pfarrer Klaus Weigand

  • Geboren 1966 in Erlenbach am Main (Unterfranken)
  • Abitur am Theresianum in Bamberg 1989
  • Studium der Kath. Theologie in Bamberg und Wien
  • Priesterweihe 1998
  • Tätigkeiten:
  • Fürth, Christkönig von 1997 – 2010
  • Buckenhofen als Pfarradministrator 2010 – 2015
  • seit 2015 in Heroldsbach und Hausen