Offener Brief der grünen Kreistagsfraktion Bamberg zu den aus dem Ruder gelaufenen Bauernprotesten in Hirschaid
Ehrenamt muss geschützt werden!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Vertreter:innen der demokratischen Fraktionen im bayrischen Landtag,
sehr geehrte Vertreter:innen des Bauernverbands und des Verbands LSV,
am Mittwoch, 21.02.2024, hat der Kreisverband Grüne Bamberg-Land in der alten Schule in Hirschaid seine Jahreshauptversammlung abgehalten und – nach Empfehlung der Polizei – abbrechen müssen. Massive Störungen, erschreckende Aggression, Beleidigungen und mangelnde Polizeipräsenz (obwohl der KV vorab die Polizei über die, in einschlägigen Netzwerken kursierenden Aufrufe informiert hat) haben dazu geführt, dass unsere Mitglieder nur unter Polizeischutz das Gebäude verlassen konnten.
Ein überregional mobilisierter, wütender Mob blockiert mit Autos und Traktoren über Stunden ohne Rettungsgasse die Hauptdurchgangsstraße von Hirschaid, schlägt gegen die Fenster des Versammlungsgebäudes, filmt durch die Fenster, leuchtet mit Scheinwerfern in den Saal, zündet Pyrotechnik, versucht mehrmals in das Gebäude zu gelangen und belagert beide Ausgänge. Diese angeblich spontane Protestaktion war weder angemeldet, noch hat sich vor Ort ein Verantwortlicher ermitteln lassen Dem ausgesetzt sind 30 Mitglieder eines Kreisverbands, die sich an der Basis ehrenamtlich politisch engagieren. Es waren weder Entscheidungsträger aus dem Bundestag, noch aus dem bayrischen Landtag vor Ort.
Mit so einer Aggression haben die Organisator:innen der Jahreshauptversammlung nicht gerechnet, da erst eine Woche vorher ein Dialog mit Landwirt:innen, Handwerker:innen und Selbständigen beim politischen Aschermittwoch in Tiefenellern strukturiert, konstruktiv und mit gegenseitigem Respekt abgehalten werden konnte.
Dieses Vorkommnis reiht sich in zunehmende Übergriffe auf politisch engagierte Bürger:innen und zeigt, wie sich die Lage zuspitzt. Die nachträglichen Distanzierungen von Bauernverband und LSV dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Organisationen – genauso wie alle politischen Protagonisten, die die Spaltung der Gesellschaft befeuern (Stichwort „Grünenbashing“, etc.) mit verantwortlich sind, wenn die sog. „Bauernproteste“ zunehmend eskalieren. Das Verhalten der Demonstrierenden legt nahe, dass es sich hier längst nicht mehr nur um die oft beschworenen „Bauernproteste“ handelt, sondern um eine reine Machtdemonstration und die gezielte Einschüchterung politisch Engagierter, mit dem Ziel unser demokratisches Miteinander nachhaltig zu beschädigen.
In den vergangenen Tagen erhielt der Kreisverband Grüne Bamberg-Land breite Unterstützung und Solidaritätsbekundungen von vielen demokratischen und zivilgesellschaftlichen Protagonisten. Dafür bedanken wir uns stellvertretend und insbesondere bei Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) und dem Bürgermeister der Marktgemeinde Hirschaid Klaus Homann (CSU), die jeweils in deutlichen Worten und klaren Statements die Eskalationen gegen Grüne Versammlungen unmissverständlich verurteilt haben.
In dieser langen Liste an Solidaritätsbekundungen fehlen jedoch die des Bauernverbandes und des Verbandes LSV. Aber nicht nur das! Von Ihnen, Herr Ministerpräsident, wird uns „Mimosenhaftigkeit“ und eine abstrakte Mitschuld an diesen, sich häufenden Vorfällen unterstellt.
Das können wir so nicht stehen lassen! Sie nehmen mit einer solchen Aussage indirekt die Täter in Schutz und geben den GRÜNEN die Schuld an den Ausschreitungen des „Mobs“. Und vor allem beleidigen Sie mit Ihrer Aussage uns, die wir an diesem Abend eine eigentlich unspektakuläre Jahreshauptversammlung trotz aller Anfeindungen so lange als möglich geordnet durchgeführt haben. Erst als es gar nicht mehr anders ging, haben wir auf Anraten der Polizei abgebrochen. Wir sind standhaft geblieben. Wir haben als Ehrenamtliche Gesicht für die Demokratie gezeigt und unter Polizeischutz und üblen Beschimpfungen das Gebäude durch den Vordereingang verlassen.
Gerade Ihnen als „Landesvater“ sollte bewusst sein, welchen Bärendienst Sie dem Ehrenamt erweisen, wenn Sie Spott und Hohn über die betroffenen Ehrenamtlichen ausgießen. Es liegt in Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident sich uneingeschränkt vor diese zu stellen. Uneingeschränkte Solidarität zu zeigen, sollte hier genauso Selbstverständlichkeit sein, wie für unverhandelbaren Schutz von Ehrenamtlichen über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg zu sorgen. Unsere Demokratie und unsere Gesellschaft lebt vom Engagement dieser Menschen. Es liegt in Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident sich uneingeschränkt vor diese zu stellen.
Dies erwarten wir auch von Ihrem Stellvertreter Hubert Aiwanger und vom Fraktionsvorsitzenden der CSU im bayrischen Landtag Klaus Holetschek.
In der Hoffnung auf ein klares Statement und engagierten Schutz ehrenamtlicher Arbeit in Bayern, verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Thomas Ochs
Helga Bieberstein
Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kreistag Bamberg
Neueste Kommentare