Dieter Castelhun aus Bräuningshof: „Indien sehen heißt Armut lernen und dann handeln“

Dieter Castelhun stellte sein Leben nach den Ruhestand in den Dienst der Hemalata-Waisenhäuser. Dankbar feiert er seinen 90. Geburtstag.

Dieter Castelhun in seinem Ruhesessel mit Gedichten und Lebensweisheiten eines Vorfahren, der nach Kanada ausgewandert ist. Foto: Mike Wuttke

Dieter Castelhun in seinem Ruhesessel mit Gedichten und Lebensweisheiten eines Vorfahren, der nach Kanada ausgewandert ist. Foto: Mike Wuttke

Dieter Castelhun sitzt in seinem bequemen Fernsehsessel und schaut durch ein großes Fenster in den noch winterstarren Garten seines Anwesens in Bräuningshof. Auf dem Schoß ein Buch aus seiner Familienchronik, die bis in das Jahr 1650 reicht. Über der Lehne des Sessels nebenan ein Fanschal von Eintracht Frankfurt.

Am 15. Februar ist sein 90. Geburtstag. Er denkt mit Freude und Zufriedenheit an die Fülle seines ereignisreichen Lebens. Und gerade rechtzeitig schauen, wie zum Gruß, die Bergalpenveilchen aus dem Laub des Gartens hervor.

Bundesverdienstkreuz

„Dieter Castelhun hat Verantwortung für die Belange von jungen Menschen in Not übernommen und dadurch zugleich das Ansehen unseres Landes in der Welt gefördert“. So steht es in der Verleihungsurkunde für das Bundesverdienstkreuz am Bande, das ihm vom Bundespräsidenten 2021 verliehen und von der Regierungspräsidentin in Bayreuth überreicht wurde.

Gewürdigt wurde das über 50jährige Wirken für Kinder und Waisenkinder aus größter Armut in Indien. Immer an seiner Seit Ehefrau Irmgard, die 2019 verstorben ist. Als ideales Team. Hier der „Siemensianer“, der nach einer erfolgreichen Karriere als Vertriebskaufmann, Revisor und Mitarbeiter bei Joint-Venture-Verträgen in den Zweig-Niederlassungen des Konzerns in Indien sich um die Organisation, Mittelbeschaffung und Finanzierung der Hilfsprojekte kümmert, da die Seele des Ganzen, Irmgard Castelhun, die bei Vorträgen und mit Basaren die Herzen vieler Menschen erreichte, die dann für die Waisenhäuser in Chennai und Surutupalli spendeten und Patenschaften übernahmen. 1989 wurde dem Ehepaar von der evanglischen Pfarrei Baiersdorf die Betreuung des „Hemalata-Projektes“ übertragen. Vorher schon war Irmgard Castelhun für die Andheri-Hilfe tätig.

Das Leben von 300 Kindern verbessert

Die Liebe zu diesem Land und die Faszination für die Religion, Gesellschaft, Gebräuche in den Familien und die unterschiedlichen Landschaften war in den zehn Jahren der beruflichen Tätigkeit in Bombay und vieler Reisen gewachsen. In Bombay wurden auch die drei Kinder geboren. Bei den vielen Besuchen, so an die 30, in den Waisenhäusern seien erfrischende, spirituelle Erfahrungen gewachsen, sagt Dieter Castelhun. Für ihn war es „Armut wieder jedes Jahr neu zu lernen und dankbar zu sein für das Leben in Deutschland“. Und sein Resümee drückt er mit diesem Satz aus: „Wir haben das Leben von 300 Kindern verbessert und ihnen Zukunft geschenkt“. Darin summieren sich die Beschaffung von Lebensmitteln, die Verbesserung der Hygiene, die Einrichtung von Schulklassen und Werkstätten, das Bohren von Brunnen und das Pflanzen einer Mangobaumplantage, die Kosten für Fortbildungskurse und die Bezahlung von Lehrern und Klinikpersonal. Immer in Abstimmung mit der Waisenhausleiterin Hemalata Edwards, deren Aufgaben jetzt die jüngere Schwester Grace übernommen hat.

Die Fortführung der Aufgaben, auch unter erschwerten politischen Bedingungen, hat inzwischen ein Förderverein übernommen, und den Vorsitz führt Sohn Ulrich, der selbst vier Jahre beruflich in Indien weilte. In seinem Lehnsessel fühlt sich der Jubilar als Ratgeber im zweiten Glied sehr wohl, und er freut sich, dass jetzt mit Grace in der Nähe des Waisenhauses ein Ausbildungshaus für Krankenschwestern entsteht.

Krieg erlebt, die Welt gesehen

Dieter Castelhun wurde in Neuostheim bei Mannheim geboren und erlebte den Verlust der Wohnung durch Brandbomben. Die Mutter zog mit drei Kindern aufs Land. 1946 erfolgte der Umzug zu den Großeltern nach Frankfurt. Prägend für ihn waren die Pfadfinder sowie Hockey in der Schule und bei Eintracht Frankfuhrt. Bei einem Hockey-Turnier lernte er seine spätere Frau Irmgard kennen. Radtouren bis Holland und Sylt und die Fahrt mit dem Käfer nach Paris weckten in ihm die Reiselust, und im Laufe der Jahrzehnte hat er alle Kontinente bereits. Wobei ihm die Reiseplanung vorher mit Landeskunde und die Entdeckerfreunde fast noch mehr Vergnügen bereitete. Eine Freude, die er auch auf die Kinder und Enkelkinder übertragen konnte.

Heute erfüllt ihn Dankbarkeit für die gute Ehegemeinschaft, Gesundheit, Familie, über die Neugier „Fremdes zu erkunden und zu erlernen mit wachem Geist“. Dankbar für spirituelle Begegnungen mit Gurus in Indien, Patres und Priestern, wo er die Erkenntnis gewonnen hat, „dass du Christus deine Lebensleitung überlassen kannst“.