Regionalbischöfin eröffnet Gedenkort für Sinti und Roma auf dem Bayreuther Stadtfriedhof

Sandro Kirchner, Romani Rose, Dorothea Greiner, Jürgen Hacker, Thomas Ebersberger, Erich Schneeberger. © Wolfgang Hegel
Sandro Kirchner, Romani Rose, Dorothea Greiner, Jürgen Hacker, Thomas Ebersberger, Erich Schneeberger. © Wolfgang Hegel

Regionalbischöfin Dorothea Greiner und Dekan Jürgen Hacker eröffneten in einer Feierstunde den neuerrichteten Gedenkort für Sinti und Roma auf dem evangelischen Stadtfriedhof in Bayreuth.

Die Regionalbischöfin sagte in ihrer einleitenden Rede: „Wir geben dem Gedenken Raum. Wir regen an zum Nachdenken, um die Macht des oft unbewussten – aber umso wirksameren – Antiziganismus zu brechen.“ Sie betonte: „Wir verstehen diesen Erinnerungsort als Beitrag, Antiziganismus mitten unter uns als menschenfeindlich, unchristlich, gesellschaftszerstörend zu entlarven. Und dies auch exemplarisch für jede Form menschenverachtender Diskriminierung oder gar rassistischen oder nationalistischen oder religiösen Hasses.“ Ihr Fazit: „Wir erinnern, um anders weiterzuleben.“

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma stellte eindrücklich die historische Perspektive in seinem Vortrag „Der Holocaust an den Sinti und Roma – Der lange Weg zur Anerkennung“ dar. Staatssekretär im bayerischen Innenministerium Sandro Kirchner, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern Erich Schneeberger und Oberbürgermeister Thomas Ebersberger (die Finanzierung war durch die Stadt maßgeblich getragen worden) sprachen ein Grußwort. Als weitere Ehrengäste nahmen auch der oberfränkische Regierungspräsident Florian Luderschmid, Bezirkstagspräsident Henry Schramm und der Beauftragte für Erinnerungsarbeit der bayerischen Staatsregierung Ludwig Spaenle teil.

Der feierlichen Eröffnung ging eine zweijährige Vorbereitungszeit voraus, während der in einer von der Regionalbischöfin geleiteten Arbeitsgruppe in zahlreichen Sitzungen intensiv über Inhalt und Gestalt des Gedenkortes beraten worden war. Zu dieser Vorbereitung gehörte notwendig auch die Abstimmung mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma auf Bundesebene und dem Landesverband Bayern.

Das Ergebnis ist gelungen: Vier ansprechend gestaltete und leicht zugängliche Tafeln stehen nun auf dem Vorplatz der Aussegnungshalle in unmittelbarer Nähe zu den Gräbern. Sie informieren gut lesbar über die Geschichte von Sinti und Roma in Deutschland und die bis in die Gegenwart andauernde Diskriminierung. Zugleich mahnen sie zum Gedenken an Zeiten grausamer Verfolgung insbesondere während des 1933-45 herrschenden Nationalsozialismus, von der auch die auf dem Stadtfriedhof begrabenen Angehörigen Bayreuther Sintifamilien betroffen waren.

Die Anwesenden sangen nach der Enthüllung der Tafeln gemeinsam Dietrich Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – der weithin bekannte Text ist auch biografisch mit Mitgliedern der Familie Rose aus Bayreuth verknüpft.


Zum Hintergrund

Mitglieder der Arbeitsgruppe:

  • Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner
  • Dekan Jürgen Hacker
  • Pfarrer Dr. Carsten Brall, Stadtkirche Bayreuth
  • Bezirksheimatpfleger Prof. Dr. Günter Dippold
  • Pfarrerin Dr. Angela Hager, Evang. Erwachsenenbildungswerk Oberfranken-Mitte
  • Dr. Wolfgang Hegel, Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberfranken
  • Dr. Marcus Mühlnikel, Institut für Fränkische Landesgeschichte Thurnau
  • Dr. Nora Schulze, Forschungsstelle der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Benedikt Stegmayer, Kulturreferent der Stadt Bayreuth

Gedenkort für Sinti und Roma am 17.11.2023 auf dem Stadtfriedhof Bayreuth
Einleitende Rede von Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma Romani Rose,
sehr geehrter Herr Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes Erich Schneeberger,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Sandro Kirchner,
sehr geehrter Herren
Landtagsabgeordneter Tim Pargent,
Regierungspräsident Florian Luderschmid,
Bezirkstagspräsident Henry Schramm,
Oberbürgermeister Thomas Ebersberger mit Mitgliedern des Stadtrates
stellvertretender Landrat Klaus Bauer,
die Vertreter der Konfessionen: römisch-katholisch – Dr. Heinrich Hohl,
reformiert – Simon Froben,
alt-katholisch – Stefan Leitenbacher und Florian Lehnert
und alle lutherischen Pfarrer und Pfarrerinnen.

Ich begrüße Sie alle herzlich auch im Namen der hiesigen Dekane Jürgen Hacker und Dr. Manuél Ceglarek. Die mir lieb gewordenen Schwestern und Brüder, die die Erinnerungsstätte mit erarbeitet haben, werde ich eigens noch benennen. Sie alle als Anwesende begrüße ich herzlich.

Einleitung

Heute begehen wir feierlich miteinander die Eröffnung des neuen Gedenkortes für Sinti und Roma und gegen Antiziganismus.

Ich bin Dekan Jürgen Hacker ausgesprochen dankbar, dass er als Trägervertreter des Friedhofs willens war, eine Gedenkstätte zu errichten, die auch wahrgenommen wird. Sie prägt nun den gesamten Platz vor der Aussegnungshalle. Wir geben dem Gedenken Raum. Wir regen an zum Nachdenken, um die Macht des oft unbewussten – aber umso wirksameren – Antiziganismus zu brechen.

„Wir“, das sind die noch zu nennenden Mitglieder der Arbeitsgruppe; ihnen danke ich für unendlich viel investierte Zeit, meiner Referentin KR Susanne Sahlmann für unermüdliche organisatorische Leistung, Grafikerin Christine Welsch für die äußerst kompetente Erarbeitung der Gestaltung und die gelingende federführende Zusammenarbeit mit den verschiedenen Firmen.

Ich danke der Stadt Bayreuth, die Entscheidendes zur Finanzierung dieses Gedenkortes leistet.

Darstellung der Genese des Ortes

Wie kam es dazu, dass wir heute diesen Gedenkort eröffnen?

Im Frühjahr 2021 fragte ich Bezirksheimatpfleger Prof. Dr. Günter Dippold, ob er – ggf. auch mit seinem Mitarbeiter Dr. Wolfgang Hegel und mit Dr. Marcus Mühlnikel vom Institut für fränkische Landesgeschichte – bereit wäre, mit mir eine Arbeitsgruppe zur Erinnerungskultur im Bayreuther Raum zu beginnen. Auf das sofortige eindeutige JA starteten wir am 12. Oktober 2021. Zum Kern der AG gehörten neben diesen drei Personen von Anfang an: Dekan Jürgen Hacker und Pfarrer Dr. Carsten Brall für den Ev.-luth. Dekanatsbezirk bzw. die Stadtkirchengemeinde Bayreuth, Benedikt Stegmayer, Kulturreferent der Stadt Bayreuth (ab Dezember 2021), Dr. Nora Andrea Schulze vom Institut für kirchliche Zeitgeschichte an der LMU München sowie Pfarrerin Dr. Angela Hager, Studienleiterin im Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Oberfranken-Mitte.

Zuvor hatte bereits ein oberfrankenweites erinnerungskulturelles Projekt gegen Antiziganismus begonnen, an dem u.a. Herr Schneeberger, Prof. Dr. Dippold und ich beteiligt waren und immer noch sind; und so kam schon bei unserer ersten Sitzung der evangelische Stadtfriedhof, als Ort für konkrete Erinnerungskultur, in den Blick. Denn die Asche der im KZ Dachau ermordeten Brüder Max und Wilhelm Rose, die den Eltern im Pappkarton zugesandt worden war, fand hier ihre letzte Ruhestätte.

Schon am 10. Dezember 2021 gingen wir zusammen mit Peni Rose zur Grabstätte der Familie Rose auf dem Bayreuther Stadtfriedhof, um das Grab zu besuchen und ggf. einen geeigneten Platz für den Gedenkort zu finden.

Drei Eindrücke bleiben davon in meinem Herzen: Zum einen: wenn ein Gedenkort in unmittelbarer Nähe des Grabes nicht möglich scheint, weil Angehörige eine Schändung befürchten müssen, so macht dies die vorhandene gesellschaftliche Verrohung eines bewusst zerstörerischen Gegenwartsantiziganismus deutlich.

Zum anderen war mir zuvor nicht bewusst, dass viele Sinti auf diesem Friedhof begraben liegen. Etliche hatten das Grauen des Dritten Reichs nur in furchtbarer Weise versehrt überlebt.

Drittens berührte mich zu hören, dass das von Bonhoeffer im KZ gedichtete Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ das Trostlied in der Familie Rose wurde nach der Zeit nationalsozialistischer Tyrannei.

Darum war mir wichtig, dass dieses Lied Teil der Gedenkstätte wird, zumal es auch die Brücke schlagen kann zu allen anderen Trauernden, die zum Friedhof kommen. Auch sie kann dieses Lied trösten. Es ist nun wirklich in voller Länge auf einer der vier Gedenktafeln zu lesen und wir werden es nach der Enthüllung draußen gemeinsam singen.

Die Worte Bonhoeffers standen fest. Doch bei den anderen drei Tafeln rangen wir nach Worten für das Schicksal der ermordeten Brüder Max und Wilhelm Rose, wie auch für die Geschichte gesellschaftlicher Ausgrenzung der Sinti und Roma seit dem 15. Jahrhundert, ihre grausame Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten und die andauernde Diskriminierung seit dem zweiten Weltkrieg – und auf der anderen Seite aber auch für die Gemeinschaft mit den Sinti als Nachbarn und anerkannten Mitglieder der Gesellschaft über all die Jahrhunderte.

Wofür ich am Ende dieses Projekts Gott besonders danke, ist das Einvernehmen mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und dem bayerischen Landesverband bezüglich Form und Inhalt der Gedenkstätte. Ohne Einvernehmen hätten wir das Projekt abgebrochen. Es bestätigte sich: das direkte Gespräch ist durch nichts zu ersetzen. Wir sind dankbar, dass dies möglich war und dass wir heute beisammen sind.

Das Projekt wurde bereits im Jahr 2022 auf Bundes- und Landesebene freundlich begrüßt. Beim Feilen an den Worten wurde den Mitgliedern der Arbeitsgruppe – und ich rede persönlich: mir als Nicht-Sintessa – deutlich, dass manche unserer exakten Formulierungen zwar gut gemeint waren, aber nicht gut. Denn sie rufen bei Sinti Erfahrungen der Diskriminierung wach und setzen immer noch falsche Vorstellungen bei ihren Mitbürgern in Gang. Ich will solche Formulierungen, die wir gestrichen haben, hier deswegen auch gar nicht erwähnen, sondern vielmehr positiv festhalten:

Sinti in Deutschland sind deutsche Bürger und Bürgerinnen einer anerkannten Minderheit; die meisten sind Christen. Sie leben mit uns als Nachbarn und Nachbarinnen. Sie sind Mitarbeitende in Firmen und gestaltende Mitglieder unserer Gesellschaft. Gemeinsam sind wir Bürger und Bürgerinnen unsers Landes.

Die Erstellung dieser Erinnerungsstätte war auch für unsere AG eine Schule der Sensibilisierung ihnen gegenüber.

Der Sinn des Ortes

Als wir mit dem Projekt begannen, kannten wir die Ergebnisse der letzten Landtagswahl in Bayern noch nicht. Wir nehmen sehr ernst, dass durch eine Partei rechtspopulistische menschenverachtende Parolen, gruppenbezogene Ausgrenzung und Geschichtsklitterung in die deutschen Landesparlamente – und auch in Bayern – Einzug gehalten haben, also wieder hoffähig wurden.

Wir verstehen diesen Erinnerungsort als Beitrag, Antiziganismus mitten unter uns als menschenfeindlich, unchristlich, gesellschaftszerstörend zu entlarven. Und dies auch exemplarisch für jede Form menschenverachtender Diskriminierung oder gar rassistischen oder nationalistischen oder religiösen Hasses. Den sehen wir gegenwärtig in giftiger Blüte bei antisemitischen Parolen nach dem durch Hamas-Terror begonnenen Krieg im Nahen Osten. Dagegen und stattdessen für Menschenwürde und Sensibilität für Minderheiten will dieser Erinnerungsort ein Ansatzpunkt sein – für uns alle und für die junge Generation:

Vier Schülervertreter des Gymnasiums Christian-Ernestinum Bayreuth sind heute unter uns mit ihrem Lehrer für Deutsch und Geschichte, Dr. Jan Ehlenberger. Frau Rektorin Anstötz-Eller vertritt die evangelische Jacob-Ellrod-Realschule Gefrees. Dr. Marcus Mühlnikel vom Institut für fränkische Landesgeschichte wird mit Herrn Schneeberger und Frau Dr. Monika Müller vom bayerischen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in München die Erstellung von Materialien gegen Antiziganismus für die Schulen abstimmen. Erstes didaktisches Material für Lehrer der Klassen 5-13 gibt es bereits.

Dr. Wolfgang Hegel und Dr. Marcus Mühlnikel planen auf dieser Basis einen Arbeitskreis einzurichten, der Unterrichts- bzw. Bildungsmaterial erstellt, das Modellcharakter für andere Regionen haben kann.

Es braucht Bildung durch erzählte und dabei interpretierte Geschichte. Mir wurde erst durch die Arbeit an diesem Projekt und an dem oberfrankenweiten Projekt gegen Antiziganismus bewusst, dass in unserer Gesellschaft – ja auch in Bayreuth – verständlicherweise nur wenige Sinti ihre Identität preisgeben. Sie müssten sonst handfeste Diskriminierungen der Mehrheitsbevölkerung fürchten. Sie bekämen sonst unvergleichlich schwerer: Wohnungen, Arbeitsplätze und Aufstiegsmöglichkeiten. Das gilt es zu ändern. Es ist Unrecht.

Unsere geschichtsdarstellende Tafel endet daher mit den Worten: „Dieser Gedenkort soll einen Beitrag zu einem neuen Miteinander leisten.“ Das ist mein Ziel, unser Ziel, aus tiefster Überzeugung. Wir erinnern, um anders weiterzuleben.