Universität Bayreuth: Neue Erkenntnisse zur Funktion von Magnetbakterien
Biosynthese des magnetischen Sensors in Magnetbakterien: Neue Erkenntnisse durch Expression fremder Proteine
Ein deutsch-französisches Forschungsteam unter der Leitung des Bayreuther Mikrobiologen Dirk Schüler präsentiert in der Fachzeitschrift „mBio“ wegweisende neue Erkenntnisse zur Funktionalität von Proteinen in Magnetbakterien. Die Forschungsarbeiten basieren auf einer kurz zuvor in der gleichen Zeitschrift veröffentlichten Vorgänger-Studie. Darin haben die Bayreuther Wissenschaftler*innen Bakterien der Spezies Magnetospirillum gryphiswaldense für die Entschlüsselung der Funktion von Genen genutzt, die in anderen Magnetbakterien mutmaßlich an der Biosynthese von Magnetosomen beteiligt sind und hier der Forschung nur schwer zugänglich sind.
Magnetbakterien enthalten in ihrem Zellinneren magnetische, aus Nanokristallen eines Eisenminerals bestehende Partikel. Diese organellenähnlichen Partikel werden in der Forschung als Magnetosomen bezeichnet. Wie die Glieder einer Kette sind weit über 20 dieser aus folgendem Partikel nacheinander regelmäßig aufgereiht. Dabei addieren sich die magnetischen Momente der einzelnen Kristalle auf, sodass die Kette – einer Kompassnadel ähnlich – die Funktion eines magnetischen Sensors hat: Sie richtet die Bakterienzelle im relativ schwachen Magnetfeld der Erde aus. Die Struktur und die räumliche Ausrichtung der Kette werden dabei durch Fasern unterstützt, an denen sich die Partikel anlagern. Hauptbestandteil dieser Cytoskelett-Fasern, die wie ein stabilisierendes Gerüst wirken, ist das Protein MamK. Es gehört der Familie der Aktine an und ist in allen bekannten Arten von Magnetbakterien enthalten, hat aber auch Verwandte mit ganz anderen Funktionen in den meisten unmagnetischen Bakterien.
Gentransfer überwindet Hürden für die Forschung
Die Funktionen, die das Aktin-Protein MamK in Magnetbakterien der Spezies M. gryphiswaldense übernimmt, wurden in früheren Studien schon sehr weitgehend erforscht: Es hat einen wesentlichen Einfluss auf den Prozess der Kettenbildung und bewirkt, dass sich die Kette genau in der Mitte der Bakterienzelle befindet. So ist während der Zellteilung gewährleistet, dass die Magnetosomenketten halbiert werden und die beiden Tochterzellen gleich lange Teilstücke erhalten. Bisher war allerdings wenig darüber bekannt, ob andere Arten von Magnetbakterien bei der Biosynthese der Magnetosomen in gleicher Weise auf MamK angewiesen sind oder ob sie dafür andere Proteine oder gar Mechanismen verwenden. Diese Frage ist für die Forschung nicht zuletzt aus folgendem Grund von besonderem Interesse: Zahlreiche andere Arten von Magnetbakterien produzieren Magnetosomen und Magnetosomenketten, die sich hinsichtlich der Form und Größe ihrer kristallinen Bausteine sowie deren zellulärer Anordnung signifikant von M. gryphiswaldense unterscheiden.
Die Frage, inwieweit die an M. gryphiswaldense gewonnenen Erkenntnisse zur Biosynthese verallgemeinerbar sind, blieb vor allem deshalb ungeklärt, weil die erforderlichen Untersuchungen an zahlreichen anderen Magnetbakterien-Arten in vielen Fällen sehr schwierig sind: In einigen Fällen sind die jeweiligen Magnetbakterien einer genetischen Untersuchung nicht zugänglich, in anderen Fällen ist es nicht einmal möglich, die im Schlamm lebenden Bakterien überhaupt im Labor zu züchten.
Mutanten von M. gryphiswaldense produzieren fremde Proteine
Die neue, in „mBio“ veröffentlichte Studie präsentiert einen Ausweg aus den bisherigen Schwierigkeiten. Die Voraussetzungen dafür hatten Bayreuther Forscher*innen in einer ebenfalls in „mBio“ erschienenen Vorgänger-Studie geschaffen: Hier war es ihnen gelungen, in Mutanten der Spezies M. gryphiswaldense fremde Proteine zu erzeugen, die in anderen Magnetbakterien-Arten an der Herstellung von Magnetosomen beteiligt sind. Dabei wurden sogar die Funktionen eigener Proteine von M. gryphiswaldense ersetzt, deren Gene zuvor ausgeschaltet worden waren.
Dieses erfolgversprechende Verfahren haben Mikrobiolog*innen der Universität Bayreuth, der Universität Aix-Marseille und der Universität Lyon I in ihrer neuen Studie nun auf Aktine angewendet, bei denen ein steuernder Einfluss auf die Verkettung der Magnetosomen in anderen Magnetbakterien vermutet wurde. Mutanten der Spezies M. gryphiswaldense produzierten diese fremden Aktine, deren Funktion nun erstmals untersucht werden konnte. Wie sich herausstellte, beeinflussten alle untersuchten fremden Aktine die Kettenbildung. Einige sind sogar imstande, Gerüststrukturen für Ketten zu produzieren, die den „Originalketten“ in M. gryphiswaldense sehr ähnlich sind. Darüber hinaus erwies sich ein zuvor neuentdecktes und hinsichlich seiner Funktion bisher unbekanntes aktinähnliches Protein namens Mad28 als fähig, die Bildung des cytoskelettalen Fasergerüsts und somit die Entstehung wohlgeordneter Magnetosomenketten zu unterstützen.
Schlüsselproteine steuern die Verkettung von Magnetosomen
„Unsere Forschungsarbeiten haben eindeutig ergeben, dass es in der evolutionär weit verzweigten Gruppe der Magnetbakterien neben dem bereits gut erforschten MamK weitere aktinähnliche Proteine gibt, welche die Herstellung und Positionierung von Magnetosomenketten beeinflussen. Darüber hinaus haben wir bisher völlig unbekannte Proteine entdeckt, die in anderen Bakterien ähnliche Funktionen bei der Bildung ihrer magnetischen Kompassnadel übernehmen. Dies wirft ein ganz neues Licht auf die Funktion von Schlüsselproteinen bei der bakteriellen Biosynthese von Magnetosomen“, erklärt Dr. Ram Prasad Awal, der Erstautor der beiden Studien. Bis vor kurzem war er als Postdoktorand am Lehrstuhl für Mikrobiologie der Universität Bayreuth tätig. „Unsere Forschungsergebnisse belegen, dass sich das Bakterium M. gryphiwaldense sehr gut als Modellorganismus eignet, um die Funktionen von biosynthetischen Magnetosomenproteinen aus fremden Bakterien zu entschlüsseln. Diese Erkenntnisse könnten künftig auch für biotechnologische und biomedizinische Anwendungen von Magnetosomen genutzt werden“, sagt Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Dirk Schüler.
Einblicke in die Evolution
Die neue Studie bietet nicht zuletzt auch einen Einblick in die Evolutionsgeschichte der einzigartigen Fähigkeit von Magnetbakterien, zelluläre magnetische Sensoren zu synthetisieren: Dem deutsch-französischen Team ist es mit speziellen bioinformatischen Verfahren am Computer erstmals gelungen, die mögliche Abfolge der Aminosäuren eines entwicklungsgeschichtlichen Vorgänger-Proteins von MamK zu rekonstruieren. Es handelt sich hier mutmaßlich um den letzten gemeinsamen Vorfahren aller bekannten Vertreter dieser Familie. Auch dieses künstlich erzeugte Protein namens MamK-LUCA konnte im heutigen Magnetbakterium M. gryphiswaldense eine ähnliche Funktion wie das eigene Protein dieses Modellorganismus übernehmen.
Veröffentlichungen:
Ram Prasad Awal, Frank D. Müller, Daniel Pfeiffer, Caroline L. Monteil, Guy Perrière, Christopher T. Lefèvre, Dirk Schüler: Experimental analysis of diverse actin-like proteins from various magnetotactic bacteria by functional expression in Magnetospirillum gryphiswaldense. mBIO 2023, DOI: https://doi.org/10.1128/mbio.01649-23
Ram Prasad Awal, Christopher T. Lefevre, Dirk Schüler: Functional expression of foreign magnetosome genes in the alphaproteobacterium Magnetospirillum gryphiswaldense. mBio 2023, DOI: https://doi.org/10.1128/mbio.03282-22
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