Höchstadt: Auf den Spuren einer natürlichen Intelligenz
Andreas Reuß hielt im Schlossgewölbe Höchstadt einen Vortrag über Romantikerinnen in Franken und eine Entdeckung bei Felix Mendelssohn Bartholdy
„Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll…“ So schrieb Abraham Mendelssohn Bartholdy an seine fünfzehnjährige, 1805 geborene Tochter Fanny, die trotz dieser Ermahnung – zum Teil im Geheimen – eine geniale Komponistin werden sollte. Im Schlossgewölbe von Höchstadt an der Aisch widmete sich der Bamberger Schriftsteller Andreas Reuß bei einer Veranstaltung des Heimatvereins unter dem Titel „Genies im Geheimen“ dem Schicksal zahlreicher Romantikerinnen anhand seines neuen Buches „Lebensläufe wie Liebeslieder. Frauengestalten der Romantik in Bamberg und Franken.“
Der Abend begann mit Susanne Beck, die das nahezu unbekannte Lied „Gewohnt, getan“ der Komponistin Caroline von Egloffstein (1789-1868) virtuos auf der Geige vortrug. Die Romantikerinnen aus der Egloffstein-Familie seien bedeutende Frauengestalten, die am Hof in Weimar unter anderem mit Goethe und Schiller verkehrten, wie Reuß betonte. Immerhin konnten sich die Töchter der Briefschreiberin Henriette von Egloffstein (1773-1864) künstlerisch frei entfalten. Viele ihrer literarisch wertvollen Briefe und die Malerei der Julie von Egloffstein (1792-1869) bedürften laut Reuß allerdings noch einer eingehenden Erforschung.
Das gelte auch für die Briefe, Tagebücher und Kompositionen der oben erwähnten Fanny Hensel, von der Susanne Beck mehrere Kompositionen auf der Violine vortrug. Von ihrem Klavierzyklus „Das Jahr“ ist immerhin eine wunderschöne Faksimile-Ausgabe erschienen. Dieser Zyklus ist relativ unbekannt, wohingegen sicher fast alle Höchstädter das Lied „Müde bin ich, geh’ zur Ruh’“ kennen, dessen Text von Luise Hensel, der Schwägerin von Felix Mendelssohn Bartholdy geschrieben wurde.
Im Zusammenhang mit Höchstadt erzählte Reuß anschließend von romantischen weiblichen Sagengestalten, etwa der Sibylla Weis, die bei der nahegelegenen Antoniuskapelle auf dem Lauberberg begraben liegt, oder den Jungfrauen, die der Sage nach in den Aischwiesen in der Nähe des Schlosses versunken sein sollen.
Weiterhin ging Reuß auf den Höchstadter Brasilien-Forscher Johann Baptist Ritter von Spix (1781-1826) ein, dessen Expetitions-Ergebnisse von dem großen Alexander von Humboldt gelobt wurden.
Über Franken hat Felix Mendelssohn Bartholdy sehr schwärmerisch geschrieben: „Franken ist ein göttliches Land. Will man sich heimisch und wohl fühlen, zwischen lauter Gärten und Spaziergängen reisen, will man die ausgebreitetste Fruchtbarkeit mit schönen Bergformen verbunden sehn und genießen, so muß man nach Franken“, heißt es in seinem Brief vom 4.9. 1827. Und über Coburg: „Im herrlichsten Mondschein gingen wir nach Hause zurück, aßen gutes Abendbrod, tranken (pardon!) eine Flasche Würzburger, denn wir wollten uns einmal gütlich thun, und schliefen bequem.“ Besonders gut gefiel ihm der Blick vom Kloster Banz ins Obermaintal: „Gott welches Land! Kommt man auf die Höhe des Klosters, so sieht man die Maynebene, etwa 3 Meilen breit, und 1⁄2 Meile lang, auf der einen Seite begränzt vom blauen Fichtelgebirge, auf der andern vom Thüringer Wald, drüben die Bamberger Höhen, alles mit Ortschaften bestreut, man sieht vorne einzelne Häuser, dann Dörfer mit Gärten und Klöstern, weiter hinten Gebüsche, über den Gebüschen wieder Thurmspitzen, dann Äcker, und das Fernrohr zeigt endlich noch eine neue Welt von Dörfern, Wohnorten und angebauten Plätzen. Und durch Dörfer und Städte und Klöster und Thürme windet sich der Mayn im Schlangenlaufe, bewässert die Wiesen, bereichert das Land, und wer da nicht ein Klotz ist, der muß jauchzen
und glücklich seyn.“
Als Felix in München war, ließ er sich von Carl Friedrich Philipp von Martius (1794-1868), der mit Spix auf die Brasilien-Expedition gegangen war, durch die heute so genannten Zoologischen Sammlungen führen. Johann Baptist von Spix hatte unter anderem in Würzburg bei dem Philosophen Friedrich Schelling (1775-1854) studiert, der auch Felix Mendelssohn Bartholdys Denken beeinflusste. Er hatte im Jahre 1800 in Bamberg Vorlesungen gehalten und anschließend Caroline Schlegel (1763-1809) geheiratet, die wiederum mit Felix Mendelssohn Bartholdy verschwägert war.
Der große Romantiker E.T.A. Hoffmann kam Höchstadt sehr nahe, als er einmal zu einer Verlobungsfeier in Pommersfelden eingeladen war. Dort sollte die sehr junge, von ihm vergötterte Gesangsschülerin Julia Marc mit einem anderen Mann verlobt werden, wobei es zu einem Zusammenstoß kam, den Hoffmann nicht mehr vergessen konnte, auch nicht, als er schon längst wieder in Berlin lebte.
Eine Verbindung zwischen Felix Mendelssohn Bartholdy und Höchstadt besteht auch darin, dass der später berühmte Komponist ein leidenschaftlicher Karpfenesser war. Am 13. Januar 1838 schrieb er in einem Brief: „[Ich] schickte Dir [gern] unsre ausgezeichnete [Köchin], welche Suppe kocht, wie ich sie nirgends in Deutschland besser gegessen, und welche Karpfen in Bier machen kann, und weiße Bohnen…“. Außerdem dachte er lange über eine Bauernkriegs-Oper nach, die jedoch nur Idee blieb. Möglicherweise hätte Höchstadt darin eine Rolle gespielt. Denn Hauptschauplatz des Bauernkriegs war bekanntlich der Aischgrund, weswegen in Goethes Bauernkriegs-Drama „Götz von Berlichingen“ auch Dachsbach erwähnt wird.
Auch mit E.T.A. Hoffmann hatten die Mendelssohns in Berlin Kontakt. Eines der bekanntesten Hoffmann-Portraits stammt nämlich von Wilhelm Hensel, dem Schwager von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Eine weitere Verbindung zwischen Höchstadt und Berlin bzw. Potsdam sind die Schnitzwerke in der Stadtpfarrkirche, die dem Rokoko-Künstler Johann Peter Benkert (1709-1769) zugeschrieben werden. Derselbe ging 1744 nach Potsdam und wirkte an den bedeutenden Figuren in Sanssouci mit, die heute zum Weltkulturerbe zählen. Im Chor der Stadtpfarrkirche von Höchstadt gibt es noch eine hervorragende spätgotische Madonna, bemerkenswert sind auch die Darstellungen von Frauen der heiligen Sippe auf einem spätgotischen Gemälde in Schlüsselau. Maria ist hier als Mutter Jesu im Zentrum dargestellt.
Anhand von Tizians Mariendarstellungen in Venedig entwickelte der Romantiker Felix Mendelssohn Bartholdy eine ganz eigene, noch nicht erforschte Kunsttheorie. Er betrachtete dort vor allem eingehend die Mariendarstellungen Tizians. Über diese schrieb er an einem 12. Oktober 1830 an die Cousine seiner Mutter nach Wien: „Das ist es, wie ich es mir bei einer Kunst denke und von ihr fordern möchte: sie nimmt jeden in ihr Reich mit sich fort und zeigt dem einen Menschen des andern innerste Gedanken und Empfindungen, und macht ihm klar, wie es in seiner Seele aussieht.“
Diese geheimnisvollen, kunsttheoretischen Sätze müssten, wie gesagt, noch näher erforscht werden. Reuß plant ein Buch darüber, das im kommenden Jahr (2024) erscheinen soll. Die neue Kunsttheorie von Felix Mendelssohn Bartholdy würde Reuß vorerst mit dem Arbeitsbegriff „Kritische, transzendentale Intersubjektivität“ bezeichnen. Reuß fügte hinzu, dass die Art, wie Felix das Gemälde auffasste, mit den vernommenen Landschaftsbeschreibungen vergleichbar sei.
Auch Felix’ Schwester Fanny erwähnte im zitierten Venedig-Brief Tizian, und zwar n einem Atemzug mit Tintoretto, von dem sich ein Schlüsselwerk in der Oberen Pfarre in Bamberg befindet.
Wenn wir damit noch einmal zu den Romantikerinnen Frankens zurückkehren, fällt uns Charlotte von Kalb ein, die ebenfalls im Rahmen eines illustren Freundeskreis sehr gefühlvoll über die Welt und die Liebe nachgedacht und geschrieben hat. Ihr Familie verfügte über Besitzungen hier, im Steigerwald, und zwar in Trabelsdorf und Dankenfeld. Sie hatte teils engste Kontakte zu Schiller, Hölderlin, Jean Paul und Goethe.
Die Aisch wiederum wird literarisch geadelt durch das „Rheinmärchen“ von Clemens Brentano. Darin tritt ein alter Karpfen auf, und ein paar Nymphen singen über die Aisch.
Aus Bayreuth war übrigens auch einmal die Markgräfin Wilhelmine nach Pommersfelden gekommen, begutachtete das Schloss und unterhielt sich mit dem Fürstbischof von Schönborn.
Reuß betonte schließlich, dass man die Netzwerke mit Felix Mendelssohn Bartholdy noch weiter spannen könne. In den zwölf Bänden, die sein Briefwerk umfasse, habe er eine unglaublich Kommunikation entfaltet, die man auch heute – mit den modernen Mitteln der sog. Sozialen Netzwerke – kaum übertreffen könne. Und in der von ihm propagierten Kunstbetrachtung könne man viel tiefer in die Seele der anderen Menschen schauen, als es durch die heutigen elektronischen Medien möglich sei. Somit stellte Felix Mendelssohn Bartholdy der heute entwickelten Künstlichen Intelligenz eine Natürliche Intelligenz entgegen, deren Inhalte und Möglichkeiten noch bei weitem nicht erforscht sind. Dazu müsste man sich einmal näher mit Mendelssohns Briefen, seiner bildenden Kunst und seiner Musik beschäftigen, die das Innigste seiner Seele bis in die heutige Zeit hineingetragen hat.
Zum Ausklang des Abends spielte noch einmal Susanne Beck auf der Violine ein Stück von Fanny Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy.
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