Bay­reu­ther For­scher ver­wan­deln Kar­tof­fel­chips­tü­ten in ener­gie­spa­ren­de Kühlfolien

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Alu­mi­ni­um-Kunst­stoff-Ver­bund­fo­li­en (APL) wer­den sehr oft zur Ver­pa­ckung von Lebens­mit­teln ver­wen­det, stel­len jedoch eine Her­aus­for­de­rung beim Kunst­stoff­re­cy­cling dar. For­scher unter Lei­tung des Bay­reu­ther Phy­si­ko­che­mi­kers Prof. Dr. Mar­kus Retsch haben jetzt ein Upcy­cling-Ver­fah­ren ent­wi­ckelt, das der­ar­ti­gen Foli­en eine inno­va­ti­ve Zweit­ver­wen­dung ermög­licht. Eine ein­fach auf­zu­tra­gen­de Beschich­tung ver­wan­delt benutz­te APL-Ver­pa­ckun­gen in hoch­leis­tungs­fä­hi­ge, viel­sei­tig anwend­ba­re Kühl­fo­li­en, die einem wei­te­ren glo­ba­len Pro­blem ent­ge­gen­wir­ken: dem hohen Ener­gie­be­darf für Kühl­sys­te­me. In den Fach­zeit­schrif­ten „ACS Sus­tainable Che­mis­try & Engi­nee­ring“ und „Advan­ced Mate­ri­als Tech­no­lo­gies“ wer­den die For­schungs­er­geb­nis­se vorgestellt.

Foli­en aus Alu­mi­ni­um-Kunst­stoff-Ver­bund­fo­li­en – kurz APL (Alu­mi­num-Pla­s­tic Lami­na­tes) – wer­den seit lan­gem in gro­ßem Umfang ein­ge­setzt, um die Halt­bar­keit von Chips, Röst- und Pul­ver­kaf­fee, Milch, Frucht­säf­ten und wei­te­ren Lebens­mit­teln zu ver­län­gern. Wäh­rend der Covid-19-Pan­de­mie dien­ten sie der Ver­pa­ckung von FFP2-Mas­ken und Schnell­tests. Die Foli­en bestehen aus meh­re­ren Poly­mer­schich­ten und einer Alu­mi­ni­um­schicht, wel­che die Pro­duk­te vor schä­di­gen­den Fak­to­ren – ins­be­son­de­re vor Son­nen­ein­strah­lung und Hit­ze, aber auch vor Feuch­tig­keit und Sau­er­stoff – schützt. Das Recy­cling der­ar­ti­ger Kom­po­sit­fo­li­en ist jedoch infol­ge die­ser Kom­bi­na­ti­on ver­schie­de­ner Mate­ria­li­en nur schwer möglich.

Dr. Qimeng Song und Prof. Dr. Markus Retsch (v.l.) haben jetzt ein Upcycling-Verfahren für Kartoffelchipstüten entwickelt. Foto: Dominik Benke.

Dr. Qimeng Song und Prof. Dr. Mar­kus Retsch (v.l.) haben jetzt ein Upcy­cling-Ver­fah­ren für Kar­tof­fel­chips­tü­ten ent­wi­ckelt. Foto: Domi­nik Benke.

Das jetzt in Bay­reuth ent­wi­ckel­te Upcy­cling-Ver­fah­ren von Kar­tof­fel­chips­tü­ten weist einen Weg, um die Ver­wer­tung von APL-Foli­en zu ver­bes­sern und zugleich den glo­ba­len Ener­gie­ver­brauch abzu­sen­ken. Schon heu­te machen Kühl­sys­te­me rund 15 Pro­zent des welt­wei­ten Ener­gie­ver­brauchs aus, und ange­sichts des Kli­ma­wan­dels und der dadurch beding­ten Häu­fig­keit von Hit­ze­wel­len droht die­ser Anteil wei­ter­hin zu stei­gen. Die Alu­mi­ni­um­schicht von APL-Ver­pa­ckun­gen stellt eine gut spie­geln­de Ober­flä­che dar, wie man sie bei­spiels­wei­se von Ret­tungs­de­cken kennt. Wird nun eine kla­re Poly­mer­schicht auf­ge­tra­gen, die die Abstrah­lung von Wär­me­en­er­gie begüns­tigt, ist ein leis­tungs­star­kes Kühl­sys­tem kom­plett. Eine ein­fa­che Lami­nier­fo­lie, wie sie im Büro­fach­han­del gebräuch­lich ist, reicht als Mate­ri­al für die Beschich­tung bereits aus. Durch die Beschich­tung ent­ste­hen Kühl­fo­li­en, die auf belie­bi­gen Ober­flä­chen unter frei­em Him­mel – wie etwa auf Schir­men, Jalou­sien und Mar­ki­sen – auf­ge­bracht wer­den kön­nen und so eine Auf­hei­zung durch grel­les Son­nen­licht ver­hin­dern. Gleich­zei­tig wird die bereits vor­han­de­ne Umge­bungs­wär­me in das kal­te Welt­all abge­ge­ben, ohne dass eine exter­ne Ener­gie­zu­fuhr nötig ist. Die­se Effek­te wer­den in der For­schung als „pas­si­ve Tages­küh­lung“ bezeich­net. Sie kön­nen im Ide­al­fall selbst bei inten­si­ver Son­nen­ein­strah­lung zu Tem­pe­ra­tu­ren unter­halb der Umge­bungs­tem­pe­ra­tur führen.

Passive Tageskühlung absorbiert keine Sonnenstrahlung und emittiert thermische Energie in das Weltall. Materialien mit passiv kühlenden Eigenschaften können auf Markisen, Jalousien oder Dächern Verwendung finden. Bild: Daniela Leitner.

Pas­si­ve Tages­küh­lung absor­biert kei­ne Son­nen­strah­lung und emit­tiert ther­mi­sche Ener­gie in das Welt­all. Mate­ria­li­en mit pas­siv küh­len­den Eigen­schaf­ten kön­nen auf Mar­ki­sen, Jalou­sien oder Dächern Ver­wen­dung fin­den. Bild: Danie­la Leitner.

Ermög­licht wird die pas­si­ve Tages­küh­lung dadurch, dass die ver­wen­de­ten Mate­ria­li­en spe­zi­el­le opti­sche Anfor­de­run­gen erfül­len. Sie müs­sen einen mög­lichst hohen Anteil des Son­nen­lichts, das eine Wel­len­län­ge zwi­schen 0,3 und 2,5 Mikro­me­tern hat, streu­en oder reflek­tie­ren. Im Wel­len­län­gen­be­reich zwi­schen 8 und 13 Mikro­me­tern, dem Trans­pa­renz­fens­ter unse­rer Atmo­sphä­re, müs­sen sie hin­ge­gen mög­lichst viel Wär­me­en­er­gie in Form von Infra­rot­strah­lung ins Welt­all aus­sen­den. Alu­mi­ni­um-Kunst­stoff-Ver­bund­fo­li­en erfül­len die­se Vor­aus­set­zun­gen sehr gut. Am Bei­spiel von beschich­te­ten han­dels­üb­li­chen Kar­tof­fel­chips-Tüten haben die Bay­reu­ther Forscher*innen nach­ge­wie­sen: Rund 87 Pro­zent des Son­nen­lichts wer­den durch die Alu­mi­ni­um­schicht reflek­tiert. Durch die zusätz­li­che Poly­mer­be­schich­tung der neu­en nach­hal­ti­gen Kühl­fo­li­en wird die Abstrah­lung im Bereich des Trans­pa­renz­fens­ters der Atmo­sphä­re ver­bes­sert und dadurch Wär­me direkt ins Welt­all abgegeben.

Die spiegelnde Innenseite von Chipstüten kann verwendet werden, um Materialien für passive Tageskühlung zu entwickeln. Foto: Dominik Benke

Die spie­geln­de Innen­sei­te von Chips­tü­ten kann ver­wen­det wer­den, um Mate­ria­li­en für pas­si­ve Tages­küh­lung zu ent­wi­ckeln. Foto: Domi­nik Benke

Prof. Dr. Mar­kus Retsch und sein Mit­ar­bei­ter Dr. Qimeng Song haben unter­schied­li­che Mög­lich­kei­ten erprobt, Kar­tof­fel­chips­tü­ten und ande­re APL-Ver­pa­ckun­gen in effi­zi­en­te Kühl­ma­te­ria­li­en zu ver­wan­deln. Infra­ge kom­men indus­tri­el­le Ver­fah­ren, bei denen Poly­di­me­thyl­sil­oxan (PDMS) als Beschich­tungs­ma­te­ri­al ein­ge­setzt wird. Aber wie die jüngs­te, in „ACS Sus­tainable Che­mis­try & Engi­nee­ring“ ver­öf­fent­lich­te Stu­die zeigt, ist es auch denk­bar, dass die Beschich­tung künf­tig in Pri­vat­haus­hal­ten statt­fin­det. Ein­fa­che han­dels­üb­li­che Lami­nier­ge­rä­te rei­chen aus, um aus alten APL-Ver­pa­ckun­gen Kühl­ma­te­ria­li­en her­zu­stel­len, die als Hit­ze­schil­de auf der Ter­ras­se, dem Bal­kon, an Außen­wän­den oder auf dem Dach mon­tiert wer­den können.

For­schungs­för­de­rung:

Der Euro­päi­sche For­schungs­rat (ERC) hat Prof. Dr. Mar­kus Retsch im Juli 2022 mit einem „Pro­of of Con­cept Grant“ aus­ge­zeich­net, durch den die jetzt ver­öf­fent­lich­ten For­schungs­ar­bei­ten geför­dert wurden.