Aus der Gaustadter Leserpost: „Ostern – Aufbruch in eine neue Zeit“
Ostern – Aufbruch in eine neue Zeit
Betrachtungen von Rita Stadter-Bönig und Wolfgang Bönig
Nicht zufällig liegen das Osterfest und die bis Pfingsten währende Osterzeit im Frühling. Die Natur erwacht, neues Leben erblickt das Licht der Welt, der Tag ist länger als die Nacht. Viele Osterbräuche greifen deshalb Fruchtbarkeitssymbole auf: Eier, Hasen, Blüten und andere.
Schon das jüdische Pessah feiert den Aufbruch, den aus der Sklaverei in die Freiheit. Die Christen setzen die Symbolik in einen neuen Kontext: Jesus Christus erlöst die Menschen aus der Sklaverei durch Schuld und Sünde, führt sie in die Freiheit des Reiches Gottes. „Denn ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder und Schwestern; nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dienet einander in Liebe!“ (Brief des Apostels Paulus an die Galater).
Die Osterglocke trägt das Fest im Namen
Paulus greift auf, was bereits Jesus gelehrt hat: „Einer …, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: ‚Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?‘ Er antwortete ihm: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz …'“ (Matthäus-Evangelium).
Das Gesetz, heißt es an anderer Stelle, lasse die Sünde erkennen und offenbar werden. Buchstabengetreue Befolgung der Vorschriften ohne die innere Einstellung sei jedoch nur Heuchelei. „‚… Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht. Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, selber aber wollen sie keinen Finger rühren, um die Lasten zu bewegen. Alles, was sie tun, tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden …'“ (ebd.). Selbst heute, ungeachtet aller Reformbemühungen und des guten Willens vieler kirchlicher Würdenträger, gibt es leider noch immer auch die, welche Jesus‘ Auftrag an Simon Petrus, „Weide meine Lämmer!“ (Johannes-Evangelium), mißverstehen (wollen): „Behandelt sie wie dumme Schafe!“ Statt den Kern des christlichen Glaubens, den Jesus selbst definiert hat, in den Mittelpunkt ihrer Amtsausübung zu stellen, halten sie an überkommenen Detailvorschriften und aus der Zeit gefallenen Machtstrukturen fest.
Außer Dienst gestellt: St. Nikolaus in Duisburg-Buchholz und St. Michael in Duisburg-Wanheimerort 1968 bis 2006 bzw. 1903 bis 2021
Es wird seine Zeit benötigen: Doch die Kraft der Erneuerung, der Aufbruch wird auch vor kirchlicher Wirklichkeit nicht Halt machen können. Mit der Zeit zu gehen, bedeutet ja mitnichten, den Glauben aufzugeben. Nicht mit der Zeit zu gehen, führt hingegen dazu, daß die Gläubigen aufgeben – das Vertrauen in die Institution in jedem Fall, möglicherweise aber auch den Glauben selbst, weil in ihren Augen die Glaubwürdigkeit verspielt ist.
Das an keine bestimmte Weltanschauung gebundene Gebot der Gottesliebe wird manche, welche zweifeln oder jegliche Religion ablehnen, kalt lassen. Wer sich einem anderen als dem christlichen Bekenntnis zugehörig fühlt, darf sich aber sehr wohl angesprochen fühlen. Denn wer, wir eingeschlossen, kann ernsthaft behaupten, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, zweifelsfrei zu wissen, daß nur die eigene Form der Religionsausübung die einzig richtige wäre? „Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist!“ heißt es in den zehn Geboten, welche die Israeliten, stellvertretend für uns alle, von Gott erhalten haben (5. Buch Mose). Der Mensch kann Gott nicht fassen. Jedes Abbild, ob figürlich oder ideell, wäre entweder völlig falsch oder über die Maßen unvollständig. Wir müssen uns daher bewußt werden, daß jegliche Vorstellung, die wir uns über den Schöpfer machen, nur eine aus unserem begrenzten Blickwinkel erdachte Projektion sein kann. Fundamentalisten jedweder Ausrichtung nehmen für sich einen Erkenntnisgrad in Anspruch, der niemandem zusteht.
Starker Glaube: ökumenischer Friedensgottesdienst
Die Aufforderung, Nächstenliebe zu üben, spricht alle Menschen an. Nur, wenn der Egoismus überwunden wird, das Wohl aller Triebfeder des eigenen Handelns ist, kann ein gedeihliches Miteinander gelingen. Für uns Christen ist die Gleichsetzung der Liebe zu Gott mit der Liebe zu den Mitmenschen, wie Jesus sie vornimmt, keine wirkliche Überraschung: Denn „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn und schuf ihn als Mann und Frau“ (1. Buch Mose). Aber auch denen, die dieses Menschenbild nicht teilen, sollte einleuchten: Rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Interessen vermag – vielleicht – Geltungssucht, Machthunger und / oder Geldgier zu stillen. Glück verschafft sie nicht. „Mit den Reichtümern ist es wie mit dem Mist: Sie stinken, wenn sie auf einem Haufen liegen, während sie auseinandergestreut den Boden düngen“ (Leo Tolstoi) – und damit blühende Landschaften hervorbringen.
Natürlich muß und darf das Eintreten für andere, das soziale Engagement niemanden in seinen bzw. ihren Möglichkeiten überfordern: „Versag keine Wohltat dem, der sie braucht, wenn es in deiner Hand liegt, Gutes zu tun!“ (Sprüche 3,27). Auf das politische Wirken erweitert, folgt hieraus in der Logik des sich auf die christliche Leitkultur berufenden Sozialstaats: Die Gesetzgebung hat den Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen die Lasten der Leistungsfähigkeit und die Hilfen dem Bedarf entsprechend verteilt werden. International betrachtet, leistete so verstandene und konsequent praktizierte Solidarität einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Sicherung des Friedens.
Wenngleich es gravierendere Umweltprobleme gibt: Ökologisches Bewußtsein sieht anders aus
Menschenwürdiges Dasein benötigt – neben der sozialen Gemeinschaft – nicht allein ökonomisch-materielle Sicherheit. Ein lebenswertes Umfeld sowie intakte natürliche Lebensgrundlagen stellen existentielle Grundbedürfnisse dar. Abschmelzende Gletscher, erodierende Böden, überfischte Meere, Flüsse und Seen, Schadstoffbelastung von Luft, Boden, Oberflächengewässern und Grundwasser, geschädigte und vernichtete Wälder und Moore, Ausbreitung von Wüsten und Trockensteppen, zunehmende Extremwetterlagen und anderes gefährden nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser. Hinzu kommen, durch den Klimawandel verursacht, immer häufigere und schwerer verlaufende Naturkatastrophen wie Dürre, Überschwemmung, Sturm, Felsstürze und Schlammlawinen.
Die Gefährdungen unseres Lebensraums, des Planeten Erde, sind seit Jahrzehnten bekannt: „Grenzen des Wachstums“, Club of Rome, 1972; UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, Rio de Janeiro, 1992. Erforderliche Maßnahmen, sie abzuwenden, unterbleiben ebenso lange, werden verzögert, erfolgen halbherzig oder werden gar durch das Beschreiten absehbarer Irrwege verhindert. Schon lange warnen Fachkundige aus Wissenschaft und Umweltverbänden, aber auch aus der Wirtschaft: Je später der unausweichliche Kurswechsel eingeleitet wird, desto abrupter wird er erfolgen müssen, desto härter werden soziale Einschnitte ausfallen. Doch ihre Prognosen wurden dank erfolgreicher Lobbyarbeit interessierter Kreise von der Politik leichtfertig abgetan.
„Die Schöpfung bewahren“, hatte einst eine große Volkspartei eine ihrer Kampagnen benannt. Vertreter aus ihren Reihen, die sich diesem Anspruch verpflichtet fühlten, wurden indes hinausgedrängt (Herbert Gruhl, einst umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, nach Erscheinen seines Buches, „Ein Planet wird geplündert“, 1976, Amt für Amt seiner Funktionen enthoben) oder vielfach ausgebremst (Prof.
Dr. Klaus Töpfer, als Bundesumweltminister vergeblich Vorsorge statt Umweltreparatur propagierend, später – „ein Prophet wird in seiner eigenen Heimat nicht geehrt“, Johannes-Evangelium – oberster Umweltschützer der Vereinten Nationen). Christlich? Gleich zu Beginn ist im Alten Testament der Bibel nachzulesen: „Gott, der Herr, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten Eden, damit er ihn bearbeite und hüte“ (1. Buch Mose).
Die Auswirkungen der russischen Aggression gegen die Ukraine haben zuvorderst unvorstellbares Leid zu den Menschen gebracht. Zudem ist der materielle Schaden ebenso gewaltig wie der kulturelle, von den Auswirkungen auf die Landwirtschaft und damit die Ernährung ganz zu schweigen. Sie haben aber auch den Blick auf die ökologischen Probleme geschärft, die nur begrenzte Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe deutlich vor Augen geführt. Die Zeitenwende, welche der Bundeskanzler in Bezug auf den Krieg und die internationale Sicherheitslage beschworen hat, ist für Umwelt und Natur, für verantwortbaren Umgang mit den Ressourcen sowie weltweite soziale Gerechtigkeit lange überfällig.
Ein Teil der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien ist durchaus geneigt, im Eiltempo die Versäumnisse früherer Regierungen aufzuarbeiten, und droht augenscheinlich manches Mal den Blick für das sozial zumutbare Maß zu verlieren. Andere wiederum schämen sich noch immer nicht, im vermeintlichen Interesse ihrer Klientel jeden Schritt in die richtige Richtung zu be- und zu verhindern, gar gemeinsam mit großen Teilen der Opposition Fehler der Vergangenheit wieder aufgreifen und fortführen zu wollen. Und nicht wenige wirken merkwürdig unentschlossen, kaum interessiert beziehungsweise bedenklich wankelmütig.
Nur wenig Grundlage zum Leben – doch die Blumen blühen. Nur wenig Hoffnung – kann dennoch Zukunft wachsen?
Die Rio-Konferenz hatte, zugegebenermaßen mit Schwächen in einzelnen Punkten, die Richtung für den Aufbruch in die Zukunft aufgezeigt: Wirtschaften mit der Natur statt gegen sie, Beachtung ökologischer Grenzen statt mühsamer Reparatur und Kaschierung eingetretener Schäden, national wie international sozial gerechte Verteilung der erwirtschafteten Werte an Stelle konzentrierter Abschöpfung der Erträge zu Gunsten weniger Akteure. Doch obgleich mehr als 170 Staaten dem zugestimmt hatten, verlief die tatsächliche Entwicklung in immer höherem Tempo in die entgegengesetzte Richtung – auch in Deutschland, gleich, unter welchen politischen Mehrheitsverhältnissen.
Zunehmende Politikverdrossenheit und das Wachsen der politisch extremen Ränder können vor diesem Hintergrund nur völlig Unbedarfte überrascht haben. Zwar ist unbestritten, daß beides einer Problemlösung wenig dienlich sein kann. Aber eigensinniger Profilierungsstreit, Klientelpolitik und der Versuch, Konflikte auszusitzen, wirken ebenfalls wenig überzeugend.
Unter dem Kreuz schien alle Hoffnung dahin. Der Verzweiflung zum Trotz aber hat die Botschaft des Erlösers bis heute, rund zwei Jahrtausende später, nichts von ihrer aufrüttelnden Kraft verloren, obgleich sie vielfach und über lange Zeit mißbraucht worden war, manches Mal auch heute noch wird. Doch „ICH HABE KEINE HÄNDE ALS EURE“ ist am Kruzifix in der Münsteraner Kirche St. Ludgeri angeschlagen. Wenn wir den Aufbruch wollen, den Aufbruch in eine gerechte Zukunft auf einem lebenswerten Planeten, müssen wir tätig werden – im eigenen Verhalten, aber auch und nicht zuletzt in demokratisch legitimem Einwirken auf die, die wir zur Wahrnehmung unserer Interessen in die kommunalen und staatlichen Vertretungsorgane gewählt haben.
In diesem Sinne wünschen wir Euch und Ihnen eine gesegnete österliche Zeit 2023.
Rita Stadter-Bönig und Wolfgang Bönig
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