Gesellen auf der Walz zu Gast im Lichtenfelser Landratsamt
Mit schwarzem Hut, Stenz und gereimten Versen – Was es mit der alten Tradition auf sich hat
Nicht ganz alltäglichen Besuch hatte kürzlich das Landratsamt Lichtenfels: Zwei Herren in schwarzen Schlaghosen, mit eingeschlagenem Kragen, weißen Stauden (Hemden), schwarzem Hut auf dem Kopf und Ring im Ohr übermittelten nach alter Tradition in der Behörde ihre Grüße des reisenden Handwerks. Mit ihrem Stock – dem so genannten Stenz – klopften die zwei Handwerksgesellen der Freien Vogtländer Deutschlands (F.V.D.) auf der Walz nach alter Tradition auf den Boden und baten in gereimten Versen um das „Siegel des Amtes“ und gegebenenfalls eine zünftige Reiseunterstützung.
Empfangen wurden die Wandergesellen von Kristin Grosch, Leiterin der Abteilung Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Gesundheit und Veterinärwesen und weitere Stellvertreterin des Landrats im Amt, sowie Kreiskämmerer Michael Matthes. F.V.D. Arne. und F.V.D. Lars sprachen dabei ein wenig über die Tradition der Wanderschaft.
Nach dem Ende ihrer Lehre begeben sich Handwerksgesellen für mindestens drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft, um Berufserfahrung zu sammeln und die Welt kennenzulernen. Die Tradition verlangt, dass sie nur zu Fuß oder per Anhalter unterwegs sind und einen großen Bogen – Radius von 50 Kilometern – um ihren Heimatort machen müssen.
Bis ins 18. Jahrhundert war die Walz Voraussetzung dafür, dass Handwerker selbst einmal Meister werden durften. Nach der Gesellenprüfung sprach der Meister seine Lehrlinge „frei“. Diese erlernten wiederum auf der Walz die Bräuche und Rituale ihrer Zunft. Heute treten junge Handwerker, die auf Wanderschaft gehen wollen, einer Vereinigung – einem Schacht – bei, oder sind freireisend unterwegs, wie F.V.D. Arne informiert. So reisen er und sein Kamerad im Schacht der „Freien Vogtländer Deutschlands“.
F.V.D. Arne selbst kommt aus Neuss und ist als Dachdecker-Geselle inzwischen seit mehr als drei Jahren auf der Walz. Lübeck, Hamburg, Osnabrück – viele Stempel und Zeugnisse finden sich in seinem Wanderbuch. Seine Reise führte ihn – trotz Corona-Lockdown – quer durch Deutschland bis nach Dänemark, in die Schweiz und nach Portugal. Zwischen sechs Wochen und drei Monaten machte er bei verschiedenen Meister-Betrieben Station und habe dabei sehr viel Neues gelernt, sagt er und resümiert: „Ich hatte immer so ein Fernweh und habe jetzt noch immer kein Heimweh.“
Welchem Handwerk die Gesellen angehören, ist an der Kleidung zu erkennen. So tragen die Holz verarbeitenden Gewerke Schwarz. Im linken Ohr tragen die Gesellen übrigens einen Ohrring, der mit einem handgeschmiedeten Nagel und einem Hammer ins Ohr genagelt wird.
Ihre wenigen Habseligkeiten tragen die Handwerksgesellen in einem Tuch mit sich,- dem sogenanntem Charlottenburger -, ebenso wie einen Schlafsack. Noch nicht mal ein Handy haben sie im Gepäck, lassen die beiden Wandergesellen wissen. Fürs Reisen und die Übernachtung dürfen sie kein Geld ausgeben. Deswegen kann es einmal vorkommen, dass Gesellen um eine Bleibe für die Nacht oder eine Mahlzeit bitten.
Erwähnt sei noch, dass der Kreiskämmerer den beiden Wandergesellen selbstverständlich einen kleinen Obolus als Reiseunterstützung gewährte und dass es für die Gesellen zu guter Letzt noch den Landkreis-Stempel ins Wanderbüchlein gab, bevor sie sich auf ihre Weiterreise machten, wie zum Beispiel in die gegenüberliegende letzte Korbmacherschule hier im Ort.
Neueste Kommentare