Blick über den Zaun: Veranstaltung zur Situation der Flüchtlingsaufnahme in den Kommunen
Am Samstag, den 04.03. fand in Fürth eine Gemeinschaftsveranstaltung organisiert vom Gesamtbayerischen Asylgipfel und von unserVETO über die kommunale Aufnahme von Geflüchteten statt. Auf dem Podium nahmen teil:
- Alexander Thal (Bayerischer Flüchtlingsrat)
- Uschi Schmidt (Helferkreis Herzogenaurach)
- Stefan Löwl (Landrat Dachau, CSU)
- Réka Lörincz (Mitglied des Stadtrates der Stadt Nürnberg, Grüne)
- Horst Arnold (MdL, SPD)
- Sorush Mawlahi (Nürnberger Integrationsrat, We Integrate e.V.)
Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung haben nachfolgenden Text erarbeitet und verabschiedet.
Die Lage
- Im letzten Jahr wurden rund 1,3 Millionen Geflüchtete aufgenommen, davon etwa 85% Geflüchtete aus der Ukraine. Aufgrund der militärischen Situation in der Ukraine ist nicht mit einer raschen Rückkehr eines Großteils der Geflüchteten in die Ukraine zu rechnen.
- Die Aufnahme hat die ohnehin bestehenden Probleme auf kommunaler Ebene verschärft: u.a. zu wenig bezahlbarer Wohnraum, zu wenig Kita-Plätze, fehlende Lehrkräfte, zu wenig Ärzte.
- Eine angemessene Betreuung der Aufgenommenen ist angesichts der zu geringen Zahl hauptamtlicher Helferinnen und Helfer und des Rückgangs der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer nicht möglich.
- Erheblich verschärft werden die Probleme noch dadurch, dass den Kommunen Flüchtlingskontingente öfter in einem intransparenten Verfahren mit sehr kurzen Vorlaufzeiten zugewiesen werden. Die Belastung der Kommunen kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen.
- In dem Zusammenhang ist für viele Kommunen auch problematisch, dass Unklarheiten über finanzielle Entlastungen durch Landes- oder Bundesregierung vorbereitende Planungen sehr erschweren.
Die wichtigsten Vorschläge des Gesamtbayerischen Asylgipfels zur Entlastung der Kommunen
- Kurzfristig sollte den Kommunen von Bund und Ländern zugesagt werden, welches Budget nach welchen Kriterien ihnen für Betreuung und Versorgung von Geflüchteten 2023 zur Verfügung stehen wird, damit ihnen eine seriöse Planung und Durchführung von Aufnahme- und Integrationsmaßnahmen möglich ist. Dies sollte die bisherige Praxis der jeweils nur kurzfristigen Projektförderung ersetzen.
- Die Kommunen müssen eng in den Abstimmungsprozess zur Verteilung von Geflüchteten eingebunden werden.
Innerhalb Bayern sollte die Verteilung unter Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien für die Aufnahmefähigkeit von Kommunen, wie z.B. Wohnraumkapazität, Situation im Bildungssystem, Infrastrukturausstattung sowie bürgerschaftliches Engagement (Aufnahmebereitschaft) vorgenommen werden. - Für die Optimierung von Integrationskonzepten sollte ein Austausch zu Best Practice in den Bundesländern stattfinden.
- Für die Kommunen sind mehr Migrationsbeauftragte und Mitarbeiter*innen der Asylsozialberatung einzustellen, die für Migrantinnen und Migranten als Anlaufstellen fungieren (je 150 Geflüchtete eine Vollzeitstelle). Die Beratungstätigkeit der Flüchtlings- und Integrationsberatung sollte schwerpunktmäßig in die Asylunterkünfte verlegt werden.
- Weiterhin ist ohne mehr ehrenamtlich Tätige eine ausreichende Betreuung angesichts der großen Zahl der Geflüchteten nicht denkbar. Jeder Kommune ist ein zusätzlicher Etat zur Verfügung zu stellen, sodass je 50 registrierten Geflüchteten insgesamt ein Minijob (520 €/Monat) vergeben werden kann.
Für die Re-Motivation und Einbindung sollten kommunale Behörden aktiv auf bisherige und neue Ehrenamtlichen zugehen. Hierbei sind besonders auch bereits integrierte Geflüchtete anzusprechen.
In vielen Fällen tragen Ehrenamtliche Kosten (für Fahrten, Unterrichtsmaterial). Diese Kosten sollen übernommen werden, wo dies noch nicht geschieht. - Viele derjenigen, die 2015/16 als Geflüchtete gekommen sind, sind immer noch in den Flüchtlingsunterkünften untergebracht („Fehlbeleger*innen“). Hier sollten die Kommunen stärker bei der Zurverfügungstellung von Wohnungen tätig werden. Hierdurch würden viele Plätze in den Asylunterkünften wieder frei.
Zu diesem Zwecke sind regional geeignete Maßnahmen umzusetzen (z.B. verstärkter Einsatz von kommunalen Wohnungslotsen). Die Unterstützung sollte nicht bei der Wohnungssuche und dem Abschluss eines Mietvertrages enden, sondern den Mieter*innen bei Wohnungsproblemen auch danach offenstehen. - Bei Besitzer*innen leerstehender Wohnungen ist intensiv zu werben, diese wenigstens vorübergehend zur Verfügung zu stellen, um die gegenwärtigen Notunterkünfte, wie Turnhallen, Containerlager, möglichst schnell wieder zu räumen. Eine befristete Nutzung kann mit Gemeinde oder Landratsamt vereinbart werden mit der Verpflichtung, die Wohnung nach Fristablauf geräumt (und ggf. instandgesetzt) zurückzugeben.
- Es sollte im Rahmen von Sonderregelungen die Instandsetzung von leerstehenden Wohnungen sowie der Bau von Flüchtlingsunterkünften mit Abweichungen von Baugesetzgebung und Baunutzungsverordnung erlaubt werden, wenn sonst keine Möglichkeit besteht, dringend benötigten Wohnraum recht-zeitig herzustellen. (Beispiel Karlsfeld in Holzständerbauweise und einer 4-monatigen Bauphase).
- Die Wohnsitzauflage muss ausgesetzt werden.
- Die Attraktivität der Arbeit in Ausländerämtern muss verbessert werden (längere Gültigkeitsdauer von Bescheiden, Entbürokratisierung, Digitalisierung, Vereinfachung von Anträgen). Zentral ist ein respektvoller und diskriminierungssensibler Umgang mit Geflüchteten und deren Helfer*innen, Beschäftigte sollten in regelmäßigen Fortbildungen entsprechend professionalisiert werden. Bescheide, Briefe und Formulare müssen erheblich verständlicher werden (z.B. durch die Verwendung einfacher Sprache sowie von mehrsprachigen Texten).
- Geflüchtete, die Arbeit finden, müssen arbeiten dürfen. Dies schont die Sozialkassen, erhöht die Chancen auf eine eigene Wohnung und fördert die Integration.
Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse muss für die Arbeitsaufnahme vereinfacht werden. - Integration bedeutet „aufeinander zugehen“ und gegenseitigen Respekt zeigen. Die Aufnahme und Betreuung der Geflüchteten ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance und Bereicherung für die gesamte Bevölkerung. Um hier Spaltungen in der Gesellschaft zu vermeiden, muss auf allen Ebenen von den Verantwortlichen konsequent das offene Gespräch zum „Warum und Wie“ der Flüchtlingsaufnahme gesucht und Orte der Begegnung geschaffen werden.
Monika Hopp (Gesamtbayerische Asylgipfel)
Joachim Jacob (unserVETO, Verband der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer*innen Bayern)
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