Zettels Reflexionen: Existenz
Existenzphilosophie ist die Philosophie der Natur, der Welt. Tiere, Vögel, Insekten, Pflanzen alles Existierende hat ja unterschiedlichste Lebensformen, die – vorrangig – immer dem Überleben der Spezies dienen und sich mit den ökologischen Bedingungen auch ändern, also nie statisch sind.
Doch es geht dabei nicht nur um das Überleben der Spezies, sondern um das Leben an sich, die ganze Natur der Welt ist genau darauf ausgerichtet. Die ganze Natur ist ein riesiges Ökosystem, was etwa an dem Beispiel der Wölfe im Yellowstone Nationalpark zu erkennen ist, ein symbiotisches Miteinander.
Oder die Tatsache, dass das „Alpha-Männchen“ ein Mythos ist. Jedenfalls bei Wölfen. Aber vielleicht ist das bei Menschen genauso? Anders als oft angenommen gibt es bei Wölfen kaum Kämpfe um die Rangordnung. Wolfsrudel sind Familienverbände, die dominanten Tiere sind die Eltern.
Die falsche Vorstellung vom Alpha-Männchen stammt von Beobachtungen aus der Gefangenschaft. Da wir Menschen, zwar sehr intelligente, letztlich jedoch auch von unserer Struktur her Tiere sind, schließlich stammen wir ja vom Affen ab, gehe ich davon aus, dass das immer wieder zu beobachtende Alpha-Männchen-Verhalten bei Menschen vergleichbare Gründe hat.
Aber es geht nicht allein um die schiere Existenz, sondern auch um die Existenz des Schönen, Guten und der Ästhetik. In Japan, dessen Kultur stark von der Philosophie des Taoismus und des Ch’an geprägt ist, gibt es dafür sogar einen Ausdruck, der dem Verständnis von Ästhetik zugrunde liegt: Yūgen, die geheimnisvolle Tiefe der Existenz.
Wenn sich mir in der Schönheit einer Landschaft die Tiefe der Existenz offenbart, ist das Gefühl überwältigend. Wenn ich meinen Fokus verändere und meine egoistischen, starren Überzeugungen zurücklasse, kann ich die geheimnisvolle Tiefe der Existenz erkennen und ein einmaliges Gefühl erleben, das mir sagt, worum es geht.
Komisch, dass ich bei solchen Gedanken immer auch an mein Motorrad und die Ausflüge damit denken muss, oder die Urlaube an der See, in der Toscana wie in Südtirol und dabei das Grinsen nicht aus meinem Gesicht bekomme.
Schlage ich ein Buch über die Gestaltung einer Wohnung nach den Ch’an- oder Zen-Prinzipien auf, erlebe ich das selbe Gefühl. In der Natur ist es einfach, dieses Gefühl zu erleben, im gesellschaftlichen Leben brauche ich dazu Brücken wie etwa die Logotherapie Victor Frankls, um aus dem gesellschaftlichen Fliegenglas wieder herauszufinden. Oder Ch’an, genauso wie das Wissen und Beherzigen der Organisation des Natürlichen.
Das ist wahrscheinlich gemeint, jedenfalls verstehe ich das so, wenn Huang-Po von dem wahren Wesen spricht, das nie verloren geht, selbst nicht in den Augenblicken der Täuschung und das daher auch nicht im Augenblick der Erleuchtung gewonnen werden kann.
Mein „Wesen“, das Bewusstsein für die nicht beschreibbare Existenz der Mystik des Seins, das etwa in der Schönheit erfahrbar ist und das das Böse, zu dem wir Menschen fähig sind, nicht beseitigen kann, nur verdecken.
Peter Zettel
ist pensionierter Anwalt. Seit ein paar Jahren ist er begeisterter Motorradfahrer – sein persönlicher Weg der Selbsterkenntnis. Er interessiert sich für das, was die Welt bewegt und schreibt darüber in seinem Blog zettel.biz.
Alle bisher im Wiesentboten erschienen „Zettels Reflexionen„
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