Podiumsdiskussion mit Dr. Silke Launert zum Thema „Sterbehilfe“
„Sterbehilfe ist ein wichtiges Thema unserer Gesellschaft“
Sein 18-jähriger Sohn war verschwunden. Cherno B. aus Mittelfranken und die Freunde seines Sohnes machten sich auf die Suche und fanden den jungen Mann erhängt in einer Scheune. „Laut Statistischem Bundesamt war 2020 die am häufigsten gewählte SuizidMethode bei Männern und Frauen die Selbsttötung durch Erhängen, Strangulieren oder Ersticken“, erklärt die Betreuungsrichterin und Bundestagsabgeordnete Silke Launert und fasst weiter zusammen, dass 2020 in Deutschland insgesamt 9 206 Personen, also 25 Menschen pro Tag, sich selbst das Leben nahmen. Im Februar 2020 hatte das Verfassungsgericht in Karlsruhe das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt und dies damit begründet, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben beinhalte. Es schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. „Doch wie soll das geregelt sein? Eine Reform der Sterbehilfe ist wichtig, deshalb habe ich zu einer Podiumsdiskussion eingeladen“, erklärt Silke Launert.
In ihrer früheren Tätigkeit als Juristin war sie mit Suizidfällen konfrontiert worden. „Deshalb liegt mir das Thema auch sehr am Herzen“, fügt die Bundestagsabgeordnete hinzu. Sie erinnert sich an Fälle aus ihrer Zeit als Betreuungsrichterin. Dort hatte ein junger Mann aus Liebeskummer versucht das Leben zu nehmen. „Das war mehr ein Hilfeschrei, denn eigentlich wollte er leben. Anders als bei einem schwerkranken, alten Mann in einem Altenheim, der mich anflehte nicht fixiert zu werden nachdem er versucht hatte sich durch Erhängen am Bettgitter das Leben zu nehmen“, erzählt Launert. Sie habe aber auch den Fall gehabt, dass der Wille einer Oma nicht klar war und ihre Angehörigen viel geerbt hätten.
„Sterbehilfe ist ein schwieriges Thema“, fasst sie zusammen. Deshalb hatte die Bundestagsabgeordnete den Leitenden Ärztlichen Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, Professor Thomas Kallert, den Arzt und Vorsitzenden des Hospizvereins Bayreuth, Stefan Sammet, und den evangelischen Pfarrer in Weidenberg, Günter Daum, zu einer Diskussion in die Tierzuchtklause Bayreuth eingeladen. 60 Besucher waren ebenfalls gekommen, um den Gesprächen zu folgen.
„Es gibt mehr Suizide im Jahr als Verkehrstote“, informierte Thomas Kallert und trug vor: für Mediziner sei die Suizidprävention ausschlaggebend, denn für sie stehe der Erhalt des Lebens im Vordergrund. Er könne sich eine Regelung mit Beratung durchaus vorstellen, frage sich aber, wer diese Beratung leisten soll. Außerdem müsse geklärt sein, wie lange nach einer Beratung eine Suizidassistenz erfolgen soll: „Eine schwere psychische Erkrankung ist nicht nach drei Tagen behandelt.“ Eine Zuhörerin merkte an, dass sie persönlich erfahren habe, dass auch in manchen Kliniken Geschäfte mit alten kranken Menschen gemacht werden und sie fragte, wo all die Psychiater herkommen, die Gutachten erstellen sollen. Kallert erklärte, dass der Umgang mit psychisch Erkrankten klar geregelt sei. Wichtig sei bei Gutachten, dass der, der die Entscheidungsfreiheit überprüft, nicht der ist, der dann die Beihilfe leistet.
Pfarrer Günter Daum ist als Notfallseelsorger im Raum Bad Berneck unterwegs: „Sterben ist also ein Thema, das mich fast täglich begleitet.“ Für ihn ist die Grundvoraussetzung, dass Gott Leben gibt und es auch nimmt. Ihm fehle in der Debatte oft die Demut. Oft wollen nach seiner Ansicht die Menschen gar nicht sterben, sondern unter den gegebenen Umständen nicht mehr leben. Deshalb seien die Mitmenschen gefordert und sollten sich fragen, wie sie das Leben dieser Person lebenswerter machen können. „Es wäre lebensfremd zu verschweigen, dass es Fälle gibt wo es nicht mehr geht. Aber das ist eine Ausnahmesituation.“ Der im Publikum anwesende Bürgermeister aus Ahorntal Florian Questel erzählte, dass er als früherer Fachkrankenpfleger einen Mann kannte, der sich 30 Jahre lang mit seiner Krankheit auseinandersetzen musste und dann einfach nicht mehr konnte. „Auch zum Schutz des Personals muss man eine Regelung finden.“ Daum bestätigte das und erklärte, dass man mit dem Patienten längere Zeit Gespräche geführt und Hilfestellung geleistet hatte. Dann könne man dessen letzte Entscheidung auch akzeptieren.
„Die Hospizvereine haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese letzte Lebensphase zu begleiten“, erklärte Stefan Sammet. Ziel sei es, die Lebensqualität so zu verbessern, dass sie keinen Grund haben sich zu töten. Ein Besucher meldete sich zu Wort, dessen Frau Sterbehilfe durch ihre Ärztin in Anspruch genommen hatte. „Sie war eine der 350 Fälle, die das seit dem Urteil in Anspruch genommen hat. Sie ist zwei Jahre lang gestorben.“ Er erzählte, dass seine Frau bewusst sterben wollte. Die Ärztin hatte eine Infusion gelegt, die sie selbst aufdrehen konnte. Und auch die Polizei war verständigt worden. „Es ist noch einiges zu klären. Aber es ist wichtig zu wissen, dass man die freie Entscheidung hat. Auch ist es in der Breite noch nicht angekommen, dass es dieses Urteil gibt. Es gibt noch viel zu tun“, fasst Silke Launert zusammen.
Hintergrundinformationen
- Mit seiner Entscheidung vom 26. Februar 2020 (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats, – 2 BvR 2347/15 -, Rn. 1-343) hat das Bundesverfassungsgericht das in § 217 StGB normierte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt und § 217 StGB für nichtig erklärt.
- Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe war 2015 vom Deutschen Bundestag beschlossen worden.
- Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.
- Der Gesetzgeber darf die Sterbehilfe aber regulieren.
- Es gibt keine Beschränkung auf Schwerstkranke oder überhaupt kranke Personen. Jeder hat einen Anspruch auf Sterbehilfe. Voraussetzung allein ist, dass diese Menschen in der Lage sind, einen freien Willen bilden zu können und auf dieser Grundlage eine freie Entscheidung treffen zu können.
- Die Entscheidung bedarf keiner Rechtfertigung. Der Staat ist nur befugt, den Willen zu überprüfen, nicht die Motivation.
- Zu den Regulationsmöglichkeiten des Gesetzgebers hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt: „Zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben steht dem Gesetzgeber in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen. Sie reichen von prozeduralen Sicherungsmechanismen, etwa gesetzlich festgeschriebener Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe. Diese können auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden. Das Recht auf Selbsttötung verbietet es aber, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung materiellen Kriterien zu unterwerfen, sie etwa vom Vorliegen einer unheilbaren Krankheit abhängig zu machen. Dennoch können je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens gestellt werden.“
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