Fortsetzungsroman: “Raststraße” von Joachim Kortner, Teil 74
Romanepisoden von Joachim Kortner
Nick Carter und die Air-Force-Jacke
Auf der regennassen Straße taucht der Gedanke wieder auf.
Dass sie ja heute den Vater bestrafen wollten. Wegen der ermordeten Tante, um die er sie betrogen hatte. Wenn sie jetzt nach Hause gingen, dann stünden sie vor ihm als Musterknaben da.
Und der würde denken, dass ihnen die ganze Sauerei mit der ermordeten Schwester von der Mama nichts ausgemacht hat.
Als sie am KALI vorbeikommen, ein kurzer Blick in den Schaukasten.
Nick Carter schlägt alle zusammen.
Mit Eddie Constantine in der Nachtvorstellung. Wenn der Eddie-Film um viertel elf anfängt, dann sind sie erst nach Mitternacht zurück. Sie werden ihn herausfordern.
Zwei Mal zweites Parkett. Verwegene Gestalten im winzigen Foyer. Lederjacken, Motorradstiefel. Bieriger Atemdunst hängt im Raum. Die Brüder, Gymnasiastengesichter, brave Cordanzü- ge, können bald in das erlösende Kinodunkel eintauchen. Eddie Constantine mit harter Faust. Sein schmalrandiges Pepita-Hütchen, das er auch in artistischen Schlägereien nie verliert. So lieben sie ihn, ihren blatternarbigen Agenten. Wie er in der Welt der Finsternis aufräumt, schlitzäugige Messerstecher in düsteren Hafengassen mit seiner knallharten Rechten Bekanntschaft machen. Und alles ohne Blutvergießen. Die Lederjacken johlen, lachen sich krumm.
Auf dem Weg nach Hause wird alles noch einmal nachgekaut.
Der lappige Boxkampf in der BEPO-Kaserne, der Eddie mit den stählernen Fäusten. Ein Blick auf die Rathausuhr. Weit nach Mitternacht.
Jakob beschleicht eine finstere Erinnerung an den tobenden Vater. Noch keine drei Monate ist das her. Nachts um halb zwölf war er von seiner Freundin heimgekommen. Im dunklen Flur hatte der Vater auf ihn gelauert. Mit dem Teppichklopfer aus Peddigrohr auf ihn eingeprügelt.
Du Lump, du Hurenbock.
Die alte Airforce-Jacke hatte, Lammfell gefüttert, die gröbsten Schläge abgefangen. Einer davon traf sein Ohr. Wie kochendes Wasser war ihm der Schmerz in den Kopf gedrungen. Blanker Hass hatte ihn erfasst. Und der Wunsch nach Vernichtung. Vater und Mutter darfst du nicht schlagen. Sonst fault dir die Hand ab. Irgendwo hatte er das mal als Kind gelesen, er bekam den Vater am Handgelenk zu fassen und zwang den erhobenen Arm nach unten.
Die Stimme der Mama aus dem Türspalt des Schlafzimmers.
Lass ihn doch. Der ist doch schon achtzehn.
Dann hatte er sich ins untere Stockbett gelegt, mit dem Waschlappen sein rasendes Ohr gekühlt.
*
Doch heute sind sie zu zweit. Und sie haben ihn überführt. Ihn, den Kirchgänger, den Gerechten, den treuen Katholiken. Ein Verbrechen hat er gedeckt. Und als es offenbar wurde, noch verharmlost. Von erlöst hat er gefaselt. „So eine“ hat er die Ermordete genannt. Wer nimmt denn schon so eine?
Heute wird er den Wohnungsschlüssel nicht sanft in das Schlüsselloch stecken, den Kugelgriff nicht anziehen und dann vorsichtig nach links drehen. Er wird die Tür mit hartem Klack aufgehen lassen, die Teppichklopferfaust mit dem Ellenbogen abfangen. Nicht einen einzigen Schlag will er ihm gönnen.
Der Gang ist leer. Beim Schlafzimmer klafft kein lauernder Türspalt.
Sie putzen sich die Zähne, ziehen die Kette der Klospülung, lachen ungeniert. Kein Schnarchen. Er ist noch wach. Aber besiegt.
Raststraße
Roman in Episoden Joachim Kortner
- Paperback
- 244 Seiten
- ISBN-13: 9783833489839
- Verlag: Books on Demand
- Erscheinungsdatum: 28.04.2008
- Sprache: Deutsch
- Farbe: Nein
Bestellung (Paperback & E-Book): https://www.bod.de/buchshop/raststrasse-joachim-kortner-9783833489839
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