Gedenk-Gottesdienst würdigt Pfarrer Wolfgang Niederstraßer aus Warmensteinach

Gedenk-Gottesdienst Pfarrer Wolfgang Niederstraßer Warmensteinach Dachau Juni 2022
Im Gedenkgottesdienst würdigt mit Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm erstmals ein Mitglied der bayerischen Kirchenleitung öffentlich den widerständigen Pfarrer Wolfgang Niederstraßer, der 1942 seinem zu mehr Vorsicht ermahnenden Regionalbischof Otto Bezzel entgegnet hatte: „Schließlich haben wir in der heutigen Zeit nicht nur ein priesterliches, sondern auch ein prophetisches Amt zu versehen“. Das Bild zeigt Inge und Wolfgang Niederstraßer. Foto: Privat

Wegen einer Predigt ins KZ Dachau

Gedenkgottesdienst für Wolfgang Niederstraßer mit Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Angehörigen von NS-Verfolgten am Sonntag, 26. Juni 2022, um 11 Uhr, in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Der Gottesdiesnt wird auch per Live-Stream übertragen.

Vor 80 Jahren protestiert Pfarrer Wolfgang Niederstraßer in der evangelischen Kirche von Warmensteinach (Dekanat Bayreuth) in einem Trauergottesdienst für Gefallene gegen das christentumsfeindliche NS-Regime. Bereits 1938 hat sich der junge Familienvater in Thundorf (Dekanat Schweinfurt) geweigert, zum 15. Jahrestag des Hitler-Putsches Kirche und Pfarrhaus zu beflaggen. Da blieb es bei einer Geldstrafe. Die Predigt vom 28. Juni 1942 wird vom Regime als schwerer Verstoß gegen den Kanzelparagraphen und das Heimtückegesetz eingestuft, geeignet, „erhebliche Unruhe bei der Bevölkerung hervorzurufen und das Vertrauen zur Staatsführung zu untergraben“. Das bringt ihn letztlich im April 1945 in Lebensgefahr im KZ Dachau und auf dem Todesmarsch – als einzigen Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB).

Im Gedenkgottesdienst würdigt mit Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm erstmals ein Mitglied der bayerischen Kirchenleitung öffentlich den widerständigen Pfarrer, der 1942 seinem zu mehr Vorsicht ermahnenden Regionalbischof Otto Bezzel entgegnet hatte: „Schließlich haben wir in der heutigen Zeit nicht nur ein priesterliches, sondern auch ein prophetisches Amt zu versehen“. Als die Kirchenleitung die bayerische Landeskirche nach dem Zweiten Weltkrieg mit Verweis auf politische Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Pfarrer als Widerstandsorganisation darstellen wollte, erinnerte Wolfgang Niederstraßer sie an das Versagen der Kirche in der Wahrnehmung des von Gott aufgetragenen prophetischen Wächteramtes im Dritten Reich aus „Angst vor seinen Machtmitteln“ und rief zur Buße auf, „die wir heute unserm Volk predigen müssen, uns selber – mir und uns allen“.

Eine positive Resonanz blieb aus, ebenso wie meist auf seine Bitten um Unterstützung bei seinen beruflichen Zukunftsplänen. Von Herbst 1946 bis 1958 arbeitete er als Seelsorger in Gefängnissen in Aichach und Nürnberg, bis zur Pensionierung 1972 als Gemeindepfarrer in München-Laim und Füssen. Wolfgang Niederstraßer starb am 21. September 1981 im Alter von 73 Jahren in Pfronten im Allgäu. Inzwischen sind auch seine Frau Inge, die in der NS-Zeit wie ihr Mann den Gruß „Heil Hitler!“ verweigert hatte, und seine drei Söhne verstorben. Mit Eric Niederstraßer wird ein Enkelsohn am Gedenkgottesdienst teilnehmen.

Im Gottesdienst wird auch gegen die Verfolgung von Menschen protestiert, die heute Widerstand leisten: Pastor Wang Yi (49), der als Leiter einer unabhängigen evangelischen „Hauskirche“ in Chengdu (China) immer wieder in Gottesdiensten für die Opfer des Tiananmen-Massakers der kommunistischen Regierung von 1989 gebetet hatte, wurde Ende 2019 zu neun Jahren Haft verurteilt, weil er dazu angestiftet habe, „die Staatsgewalt zu untergraben“. Volha Zalatar (38), die als Soziologin, engagierte Katholikin und Mutter von fünf Kindern in der Region Minsk in der belarussischen Demokratiebewegung aktiv war und nachbarschaftliche Zusammenkünfte organisierte, wurde Ende 2021 zu vier Jahren Haft verurteilt wegen „Gründung einer extremistischen Vereinigung“ und „Störung der öffentlichen Ordnung“. Der russisch-orthodoxe Priester Ioann Burdin (50), der in seiner Gemeinde im Dorf Karabanovo in der zentralrussischen Region Kostroma im Gottesdienst und auf der Website der Gemeinde den Angriff auf die Ukraine kritisiert hatte, wurde am 10. März dieses Jahres zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil er „den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation zum Schutz der Interessen Russlands und seiner Bürger diskreditiert“ habe. Sein Bischof ermahnte ihn zu schweigen. Inzwischen ist Ioann Burdin nicht mehr im Amt.

In den Fürbitten wird für diese drei politisch verfolgten Christenmenschen gebetet sowie für die KZ-Dachau-Überlebenden Iwan Kutschmin (96), Pavlo Scharun (94) und Vasyl Volodko (97), die in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg in großer Gefahr sind. Die Kollekte wird für die Nothilfe des Maximilian-Kolbe-Werks für KZ- und Ghetto-Überlebende in der Ukraine erbeten.

Kirchenrat Dr. Björn Mensing, Pfarrer und Historiker an der Versöhnungskirche, der 2005 erstmals den Widerstand von Wolfgang Niederstraßer dokumentierte, gestaltet den Gottesdienst gemeinsam mit Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, der die Predigt hält, mit Diakon Frank Schleicher, Organist Franz Werner und der russischen Freiwilligen Ioanna Taigacheva (Aktion Sühnezeichen Friedensdienste) aus dem Team der Versöhnungskirche – ihre Großmutter väterlicherseits stammte aus einer jüdischen Familie in der Ukraine. Als Zeichen der ökumenischen Verbundenheit wirkt Pastoralreferentin Judith Einsiedel von der Katholischen Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte Dachau mit.

Unmittelbar nach dem Gottesdienst spricht Claudia Roth ein Grußwort. In der neuen Bundesregierung ist sie als Beauftragte für Kultur und Medien unter anderem für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und die Gedenkstätten zuständig. Als Kulturstaatsministerin ist es ihr Antrittsbesuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Im Anschluss gibt es gegen 12.30 Uhr die Möglichkeit zu Begegnung und Gesprächen in den Räumen der Versöhnungskirche.

Neben Eric Niederstraßer haben bereits weitere Gäste ihr Kommen zugesagt, unter ihnen eine Tochter der jüdischen KZ-Dachau-Überlebenden Edith Grünberger-Taus (1923-2021) und Walter Taus (1922-2014), Karl Freller (CSU, Erster Vizepräsident des Bayerischen Landtags und Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten), Dr. Gabriele Hammermann (Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau), die Dachauer Vizelandrätin Marese Hoffmann (Bündnis 90/Die Grünen), Tanja Keller (Vorsitzende Richterin, Mitglied des Landessynodalausschusses der ELKB), Erzpriester Apostolos Malamoussis (Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland), Priorin Sr. Irmengard Schuster (Karmel Heilig Blut Dachau), Sıddık Serin (Vorstand der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Dachau) und Gabriele Triebel (Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Bildungsausschuss des Bayerischen Landtags und Fraktionssprecherin für Bildung, Religion/Weltanschauung und Erinnerungskultur). Aus Wolfgang Niederstraßers früherer Gemeinde Warmensteinach reist eine Delegation mit Mitgliedern des Kirchenvorstands an – die Pfarrstelle ist derzeit vakant.

Da die Corona-Infektionszahlen leider wieder steigen und in der Versöhnungskirche keine größeren Abstände eingehalten werden können, gilt in diesem Gottesdienst FFP2-Maskenpflicht. Die Gäste sind gebeten, die nicht mehr verpflichtende 3G-Regel einzuhalten (geimpft, genesen oder getestet).

Der Zugang zur Versöhnungskirche ist über den Haupteingang der Gedenkstätte möglich, aber auch mit kostenloser Parkmöglichkeit auf dem Kloster-Parkplatz und kürzerem Fußweg über den Innenhof des Klosters Karmel Heilig Blut, Alte Römerstraße 91.

Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die Unterstützung beim Zugang benötigen, melden sich bitte im Vorfeld im Büro der Versöhnungskirche unter der Telefonnummer 081 31 / 136 44.

Maximilian Lütgens aus der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Dachau sorgt dafür, dass Interessierte, die nicht nach Dachau anreisen können, den Gottesdienst via Livestream mitfeiern können: https://www.facebook.com/events/298725579051704