Blick über den Zaun: „Nürnberger Volksfestgschichtn“
Der Bub vom Rummelplatz, der ein Weltstar wurde
André Eisermann besuchte alte Freunde auf dem Nürnberger Frühlingsfest
Ein Servus hier, ein Hallo da! Lauter alte Freunde, wie es so ist, unter Schaustellern. Der Rudi „Früchte“ Krug kennt ihn seit Kindertagen, der Peter „Gigerlas“ Lössel sowieso und der Allerbeste ist „der Lorenz Kalb, weil er dieses Leben lebt und liebt und alles für seine Leute gibt, weil er mit seinem Engagement alle übertrifft“, wie André Eisermann ohne Nachfrage verrät. André Eisermann? Der Junge von der Wurfbüchsenbude und dem „Hau den Lukas“ wollte immer nur eins, auf die Bühne, je größer diese, je schwieriger die Rolle, je mehr Lob und Widerspruch, desto besser. Er spielte den Kaspar Hauser (Regie: Peter Sehr), erhielt u.a. den Darstellerpreis auf dem Filmfest in Locarno. Er übernahm die Hauptrolle des Elias in „Schlafes Bruder“ (Regie: Joseph Vilsmaier, Buch von Robert Schneider) und wird für den Golden Globe nominiert. Er ist Mitte der 90er Jahre auf dem besten Weg, ein internationaler Star zu werden.
Eisermann wurde am 28. Oktober 1967 in Worms in eine Schaustellerfamilie geboren, die das reisende Gewerbe seit Generationen ausübte. Das waren noch Zeiten. Der Urgroßvater war „Max, der stärkste Mann der Welt“, ein untersetzter bärenstarker Typ, der es auf der Bühne mit zwei Bären aufnahm. Die Großmutter eine „Schlangenfrau“, schön, geheimnisvoll, biegsam. Andrés Eltern heirateten jung, 18 und 19 Jahre alt und wenn nachts am Volksfestplatz die Lichter ausgingen, gingen sie noch ein bissel um die Häuser und der kleine André lag lange wach und ängstlich im Wohnwagenbett. Kaum vier Jahre alt, streunte er dann einsam draußen herum, besuchte Variétes und Showgeschäfte, ging ins Bierzelt und wurde auf die Bühne geholt. Das alles wissen wir, weil er es selbst erzählt hat, in seiner Autobiografie „1. Reihe Mitte“, sehr schön geschrieben und lesenswert übrigens. Er berichtet freimütig, über die Folgen dieser Ängste aus Kindertagen, die ihn misstrauisch und bindungsscheu werden ließen, aber auch über den unglaublichen Zusammenhalt den er erfuhr, unter den Schaustellern, in seiner Familie.
Er berichtet auch freimütig vom zerstörerischen Hochmut nach den frühen Erfolgen, als er wähnte, er würde nur noch Titelrollen in großen Kinoproduktionen spielen. Seine nächste Traumrolle wäre Jean Baptiste Grenouille, der Held in Patrick Süskinds Bestseller „Das Parfüm“, doch Produzent Bernd Eichinger wollte den Film mit internationalen Stars besetzen. „Ich habe damals von Eichinger gelernt: wenn Du eine Rolle willst, ruf einfach an und frag. Den Rat hab‘ ich seither noch oft und auch erfolgreich befolgt.“ Diese Offenheit, ein Mangel an Scheu und die Neigung, nicht jemand sein zu wollen, der er nicht ist, zeichnen Eisermann aus, eine angenehme Authentizität. Zuletzt hat er viele kleinere Film-Rollen gespielt, immer wieder Theater, zur Zeit liest er Goethes Werther auf Tournee. André Eisermann lebt nach Jahren auf Mallorca wieder in Worms mit Partner und drei Katern und will im Sommer seinen langjährigen Lebensgefährten Manuel Bortt heiraten.
Eisermanns Erzählungen haben etwas Öffnendes an sich. Sein Leben war nicht leicht, er musste kämpfen, mangelnde formale Bildung nachholen, Depressionen suchten ihn immer wieder heim. Er hat das alles keineswegs weggeschoben, er hat sich gestellt und sein schmerzendes Ich immer wieder geklärt. Heute sitzt da ein lebhafter Geist, ein sprühender Mensch bei „Heidis Treff“ und geht mit den alten Schaustellerfreunden gleich rüber, zum Lössel, gut essen und einen Schluck trinken. Er sinniert kurz – sagt dann: „Gut, dass mein Leben so geworden ist. Nochmal Berlin, die Bars, Technotempel, das hätte mich umgebracht.“
Filmtipp:
Aktuell auf Netflix: Isi & Ossi, eine deutsche Liebeskomödie von Oliver Kienle, der vorher für die deutsch-luxemburgische Fernsehserie Bad Banks verantwortlich zeichnete, aus dem Jahr 2020 und ist die erste deutschsprachige Netflix-Eigenproduktion, produziert von X Filme. André Eisermann spielt den Boxtrainer Spasti.
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