Bayreuther Forscher*innen entdecken neuartige Sensoren

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Künstliche Opale messen Temperatur und Zeit

Wegen ihrer schillernden Farben gelten Opale seit der Antike als besonders kostbare Edelsteine. Ursache dieses Farbenspiels sind ihre Nanostrukturen. Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Markus Retsch an der Universität Bayreuth hat nach dem Vorbild dieser Strukturen künstliche Kolloidkristalle hergestellt, die sich für den Bau neuartiger Sensoren eignen. Diese Sensoren dokumentieren, kontinuierlich und für das menschliche Auge sichtbar, die Temperatur in ihrer Umgebung während eines definierten Zeitraums. Sie sind daher maßgeschneidert für die dauerhafte Überwachung temperatursensitiver Prozesse. In der Zeitschrift „Advanced Materials“ stellen die Wissenschaftler*innen ihre Entdeckung vor.

Bereits heute zeichnen sich für die neuen Sensoren attraktive Anwendungsmöglichkeiten ab. „Für den sicheren Betrieb moderner Hochleistungsbatterien ist es wichtig, dass sie über viele Betriebsstunden hinweg ausschließlich moderaten Temperaturen ausgesetzt sind. Kurzzeitige, stark erhöhte Temperaturen können die Sicherheit und die Lebensdauer der Batterien gefährden. Mit Hilfe der neuen Sensoren lässt sich die Einhaltung gleichmäßiger Umgebungstemperaturen zuverlässig überwachen. Der Sensor ist aufgrund seiner Materialzusammensetzung bereits fertig programmiert: Er arbeitet autonom und kann nicht nachträglich manipuliert werden“, sagt Doktorand Marius Schöttle M.Sc., Erstsautor der neuen Veröffentlichung.

Prof. Dr. Markus Retsch, Inhaber des Lehrstuhls Physikalische Chemie I und Koordinator der neuen Studie, fügt hinzu: „Wir haben hier einen Sensor entwickelt, der gleichzeitig auf Zeit und Temperatur sensitiv reagiert – und zwar ohne dass es dafür einer aufwändigen Elektronik oder spezieller Messgeräte bedarf. Darüber hinaus stellen die von uns synthetisierten künstlichen Kristalle eine neue Materialklasse dar, die für die Grundlagenforschung sehr interessant ist. Möglicherweise helfen uns diese kolloidalen Gradienten dabei, grundlegend neuen physikalischen Phänomenen auf die Spur zu kommen.“

Graduelle Kolloidkristalle nach dem Vorbild der Opale

Marius Schöttle M.Sc., Erstautor der Studie, mit einem künstlichen Kolloidkristall. Foto: UBT/Lehrstuhl Physikalische Chemie I.

Marius Schöttle M.Sc., Erstautor der Studie, mit einem künstlichen Kolloidkristall. Foto: UBT/Lehrstuhl Physikalische Chemie I.

Opale bestehen aus kugelförmigen Partikeln, die übergeordnete Nanostrukturen bilden. Wechselwirkungen dieser hochsymmetrischen Strukturen mit sichtbarem Licht lassen die Oberflächen in den verschiedensten Farben schillern. Genauso verhält es sich auch mit den Flügeln von Schmetterlingen oder von manchen Käfern. In den letzten Jahren sind natürliche und künstliche Vertreter dieser Materialklasse immer besser erforscht worden. An der Universität Bayreuth ist das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Retsch jetzt der Frage nachgegangen, ob sich nach ähnlichen Bauprinzipien, aber mit kontrollierten Mischungen unterschiedlicher Partikel nanostrukturierte Materialien herstellen lassen, die technologisch attraktive Eigenschaften aufweisen. Die Vision waren nanostrukturierte Filme, deren physikalische Eigenschaften sich entlang einer Richtung graduell verändern – und zwar aufgrund eines Gradienten, der das Mischungsverhältnis zweier Partikelsorten definiert. Dafür haben die Forscher*innen einen experimentellen Aufbau entwickelt, der die Herstellung derartiger gradueller Kolloidkristalle ermöglicht.

Parallel dazu wurden im Labor zwei Sorten von Partikeln hergestellt, die sich nur in einem Punkt unterscheiden: Die daraus entstehenden Nanostrukturen lösen sich bei verschieden hohen Temperaturen auf, so dass die Oberflächen der Materialien ihre schillernden Farben unwiederbringlich verlieren. Chemisch gesprochen, entsteht durch diese irreversible Strukturauflösung eine farblose Filmschicht. Aus Partikeln beider Sorten und auf der Basis des neuen experimentellen Aufbaus haben die Forscher*innen Kolloidkristalle erzeugt. Der Aufbau der Kristalle ist jedes Mal gleich: Innerhalb jedes Kristalls nimmt der Anteil der Partikel, die ihre Strukturen bei höheren Temperaturen verlieren und insofern stabiler sind, nach einer Seite hin kontinuierlich zu. Durch vergleichende Untersuchungen stellte sich heraus: Je größer der Anteil der stabileren Partikel ist, desto langsamer verlaufen die Strukturauflösungen innerhalb des Kristalls und desto langsamer schreitet der dadurch bedingte Farbverlust voran.

Mit Feintuning zum kristallinen Sensor

Momentaufnahmen zweier Kolloidkristall-Gradienten unter dem Einfluss unterschiedlicher Temperaturen zeigen den zeitlichen Verlauf des Farbverlusts. Bild: Marius Schöttle.

Momentaufnahmen zweier Kolloidkristall-Gradienten unter dem Einfluss unterschiedlicher Temperaturen zeigen den zeitlichen Verlauf des Farbverlusts. Bild: Marius Schöttle.

Diese Entdeckung hat das Bayreuther Team nun für ein Feintuning verschiedener Kolloidkristalle genutzt: Ein Kolloidkristall, in dem sich der Anteil an stabilen Partikeln graduell ändert, übernimmt jetzt die Funktion eines Sensors: Je höher die Temperatur während eines definierten Zeitraums ist, desto weiter breiten sich die Farbverluste auf dieser Oberfläche nach einer Richtung hin aus. Und je kürzer die Zeiträume während einer gleichbleibenden Temperatur sind, desto früher bricht dieser Prozess ab. Weil die Farbverluste in jedem Fall irreversibel sind, dokumentiert der Sensor die Höhe einer Umgebungstemperatur in Abhängigkeit von der Zeit.

Veröffentlichung:

Marius Schöttle, Thomas Tran, Tanja Feller, Markus Retsch: Time–Temperature Integrating Optical Sensors Based on Gradient Colloidal Crystals. Advanced Materials (2021), DOI: https://doi.org/10.1002/adma.202101948