Nahe Tiefenstürmig entdeckt: Die Sommerform der Bocks-Riemenzunge
Neuentdeckung für Bayern
Seit jeher gilt unter den Nordbayerischen Landschaften die Fränkische Schweiz als bevorzugtes Siedlungsgebiet vieler Orchideen. Dieser Reichtum ist im Wesentlichen auf die starke geologische und geomorphologische Differenzierung der Landschaft zurückzuführen. Die unterschiedliche Kombination dieser einzelnen Faktoren bedingt ein vielgestaltiges Standortmosaik, das den verschiedensten pflanzengeographischen Elementen Lebensmöglichkeiten bietet. Nicht zuletzt trug der Einfluss des Menschen zur Verbreiterung der Standortpalette bei. Da überrascht es nicht, dass die Zahl der Orchideenarten im Bereich der Fränkischen Schweiz über dem Durchschnitt vergleichbarer Gebiete liegt; mit 43 aktuellen Spezies kann man sie mit gutem Recht als eine „Orchideenhochburg“ bezeichnen.
Aber es gibt immer noch Neues zu finden im fränkischen Land. Dass die floristische Erforschung noch keineswegs abgeschlossen ist, beweist der Fund der Sommerform der Bocks-Riemenzunge (Himantoglossum hircinium var. aestivalis), einer für Bayern neuen Varietät.
Im Frühjahr 2016 fielen Adolf Riechelmann auf einem Trockenrasen in der Nähe von Tiefenstürmig erstmalig Pflanzen auf, die sich am 21. Mai noch tief in Knospe zeigten, während die „normalen“ Bocks-Riemenzungen bereits in Hochblüte standen. Diese Tatsache wurde zwar registriert, blieb aber zunächst ohne weitere Würdigung. Ziemlich genau einen Monat später (20. Juni) begannen die Pflanzen aufzublühen. Der zierliche Wuchs, die Lockerblütigkeit (bei etwa gleicher Länge des Blütenstandes nur halb so viele Blüten wie die Nominatform) sowie vor allem der späte Blühtermin sprachen für die Sommerform der Bocks-Riemenzunge (Himantoglossum hircinium var. aestivalis), die 2013 aus dem Südosten des Saarlands neu beschrieben wurde. Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Pflanzen von Tiefenstürmig um den Ertstfund für Bayern handelt.
An der Spätblühenden Riemenzunge konnten keine Schäden durch Nachtfröste während der „Eisheiligen“ beobachtet werden, da sie sich in dieser Zeit noch im Rosettenstadium befinden. Auf dem Wacholderrasen bei Tiefenstürmig zogen im Frühjahr 2020 die Rosetten der Bocks-Riemenzunge wegen der starken Trockenheit bereits Anfang Juni wieder ein, während die Pflanzen der Sommerform sowohl erblühten als auch fruchteten.
Zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung waren von der Spätblühende Bocks-Riemenzunge sowohl Fundorte aus Rheinland-Pfalz (Kalkeifel), aus dem Saarland (Bliesgau) als auch aus Frankreich (Lothringen, Vercors) bekannt. Weitere Nachweise kamen für Luxemburg sowie für Sachsen-Anhalt (Nördliches Harzvorland), für Niedersachsen (Weser-Bergland) und für Nordhessen hinzu.
Seit dem Spätsommer 2017 wurde die Pflege auf der Wacholderrasen bei Tiefenstürmig vom Landschafts-Pflege-Verband Forchheim übernommen. Diese Maßnahmen haben sich sehr positiv auf den Orchideenbestand ausgewirkt, es wird dadurch die natürliche Sukzessionsfolge weitgehend verhindert. So darf man hoffen, dass mit dem Erhalt des Trockenrasens sich die Pflanzen der Spätblühenden Riemenzunge weiterhin auf diesem Areal behaupten können. Dieser Fund zeigt, dass es in Bezug auf die Orchideen-Flora der Fränkischen Schweiz immer noch Überraschungen geben kann, und man sollte sich daher hüten zu behaupten, eine bestimmte Art könne an einem bestimmten Ort nicht vorkommen.
Adolf Riechelmann
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