Blick über den Zaun: #zugehört – Der Nachwuchs hat was zu sagen Handwerkskammer Mittelfranken lädt zum „1. Garagengespräch“ ein
Junge Handwerker berichten
Jeder redet über sie, doch kaum einer redet mit ihnen – mit den jungen Menschen, die von den Maßnahmen der Coronakrise hart getroffen werden. In einer Zeit, in der sie sich finden, ins Erwachsenenleben hineinwachsen, neue Freunde oder die erste Liebe finden müssten. In Gesprächen mit Tobias Ladewig, dem Leiter des Internats der Handwerkskammer für Mittelfranken, sprachen sie über ihre Erfahrungen. Er griff die Sorgen und Nöte der Jugendlichen auf und entwickelte gemeinsam mit Kollegen die Kampagne #zugehört. Der Name ist dabei Programm: Die Handwerkskammer hat sich vorgenommen, den jungen Erwachsenen zuzuhören und ihnen eine Plattform zum Meinungsaustausch zu bieten: analog und digital.
Forderungen an die Verantwortlichen
Fünf junge Auszubildende – Benjamin Fink (Schreiner, 18), Björn Köhler (Schreiner, 18), Marlene Raab (Schreinerin, 25), Elyas Murad (Friseur, 19) und Janina Meister (Konditorin, 20) – trafen sich und tauschten ihre Erfahrungen aus. Denn die Maßnahmen betrafen sie alle in unterschiedlicher Weise. Sie formulierten ihre Forderungen und übergaben diese im Rahmen eines „Polit-Talks“ an Ulrike Horneber, Leiterin des Amtes für berufliche Schulen der Stadt Nürnberg, Christa Naaß, stellvertretende Bezirkstagspräsidentin (SPD), Daniel Arnold, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Umwelt, Bezirk Mittelfranken (Bündnis 90/Grüne), und Prof. Dr. Elmar Forster, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Mittelfranken. Zwei Schwerpunktthemen hatten sie sich gesetzt: Die Coronamaßnahmen der Politik und deren Kommunikation sowie – vor allem – Home-Schooling. Eineinhalb Stunden hatten sich Auszubildende und Gäste für den Austausch genommen.
Coole Location – Klare Kommunikation
Zum Meinungsaustausch hatte die Handwerkskammer alle Beteiligten in eine coole Location eingeladen: die Tiefgarage der HWK – mit Lichteffekten und Palettenmöbeln ausgestattet – war nicht wieder zu erkennen und schuf eine lockere Atmosphäre, die eine Diskussion spürbar erleichterte.
Vier Forderungen wurden während dieses Austausches an die Verantwortlichen übergeben. Elyas Murad wünschte sich beispielsweise mehr Klarheit in der Kommunikation. „Die vielen, sich ständig ändernden Regeln waren verwirrend. Man verlor schnell den Überblick, was gerade gilt und was nicht“, führte er aus. „Dürfen wir morgen den Friseursalon öffnen? Wenn ja, unter welchen Bedin-gungen?“ Vor dem letzten Lockdown hatten er und seine Kollegen im Akkord gearbeitet, um an drei Tagen über 500 Kunden die Haare zu schneiden. „Viel geschlafen haben wir da nicht“, erzählte er stolz. „Das ist eine Riesenleistung, die von vielen Menschen nicht wahrgenommen wurde. Das Handwerk hat sich stark eingebracht in dieser Zeit, besonders die Gesundheitsberufe hatten einiges zu tragen“, gaben Christa Naaß und Daniel Arnold zu. Auf seine Frage aber, wie es jetzt weiterginge und ob ein Plan in der Schublade läge, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt, konnten auch die beiden Bezirksräte nur seufzen. „Auch wir erhalten die Vorgaben aus den Ministerien oft nur sehr kurzfristig.“ Benjamin Fink: „Wir reden doch immer alle von Digitalisierung. Es sollte eine Website geben, auf der alle Regeln aktuell und in verständlicher Sprache gebündelt zu finden sind. Sonst interpretiert jede Zeitung, jeder Radio- oder TV-Sendung das unverständliche Bürokratendeutsch nach eigenem Gutdünken und keiner blickt mehr durch.“
Redet mit uns
Überhaupt: Kommunikation: Benjamin Fink griff einen weiteren Aspekt auf: „Sie wissen nicht, wie es ist, in Coronazeiten eine Ausbildung zu machen. Daher sollten Sie mit uns reden, damit wir Ihnen einen Einblick geben können“, forderte er von Christa Naaß und Daniel Arnold. „Richten Sie einen Kanal ein, z. B. ein Online-Forum, in dem meine Altersgruppe Statements hinterlassen und auf Probleme hinweisen kann. Wir würden uns die Mühe machen, um etwas Gutes zu erreichen“, sagte er. Diese Idee stieß bei den beiden Politikern auf großes Interesse, auch, wenn Christa Naaß sich vorstellen könnte, die SMV, die Schülermitverwaltung, stärker in den Dialog zwischen Schülern und Politik einzubinden. Marlene Raab erweiterte den Fokus und forderte: „Denken Sie auch an die psychischen Probleme, unter denen viele junge Menschen in dieser Zeit leiden, z. B. Depressionen. Diese Monate werden sich noch lange auf unser späteres Leben auswirken.“ Christa Naaß versprach: „In der Pandemie sind viele Schwachstellen offenbart worden. Wir müssen auf Landes- und kommunaler Ebene jetzt zügig reagieren, um niederschwellige, schnelle Hilfsangebote zu etablieren.“
Flexible Prüfungsstrategien
Die Auszubildenden fürchten eine weitere Auswirkung der vergangenen: „Wir möchten kein Corona-Jahrgang sein!“ sagten alle entschieden. Daher sind sie auch geschlossen gegen leichtere oder ausfallende Prüfungen. „Prüft uns“, sagte Janina Meister. „Aber gebt uns die Chance, vorher den ausgefallenen Stoff nachzuholen.“ Sie forderte „mehr Flexibilität in dieser Situation für uns und mehr Austausch zwischen Betrieben, Berufsschulen und der Handwerkskammer.“ Das heißt: „Wechselunterricht in der ÜLU, um schneller in den Präsenzunterricht zurückzukommen. Prüfungen sollten verschoben werden, um im Blockunterricht vorher noch alles nachholen zu können – und bitte, bitte: Verbessert die ÜLU-Planung. Wir brauchen mehr Vorlauf.“ Das konnte Benjamin Fink nur unterstreichen: „Ich habe beispielsweise am Freitagabend erfahren, dass ich am Montag ÜLU habe und damit am Sonntag im Internat anreisen muss. Wie viel Flexibilität kann man von uns erwarten?“ Wenn der Schulunterricht von Präsenz in Home umgewandelt wird, sagt keiner dem Betrieb Bescheid. Auch das verursacht regelmäßig Chaos. Prof. Dr. Forster griff die Forderung auf, machte aber auch Grenzen deutlich: „Ich habe nur eine begrenzte Anzahl an Werkstätten und Ausbildungsmeister. Selbst, wenn sie sieben Tage die Woche 24 Stunden arbeiten würden – was nicht zulässig ist –, könnten wir die Welle an ausgefallenem Unterricht nicht schnell genug nachholen. Praktischen Unterreicht kann man leider nicht digital durchführen. Aber wir bemühen uns, die wichtigsten ÜLU Maßnahmen nachzuholen. Einen Großteil werden wir auch schaffen. “
Einheitliche Strukturen in den Berufsschulen
An den Berufsschulen wiederum hapert es oft an der Struktur – und Infrastruktur. „Investieren Sie in Technik und Fortbildungen für die Lehrer“, forderte Marlene Raab. „Jeder Lehrer hat sein eigenes System und manche wurden auch durch die bürokratischen Hürden demotiviert. Aber nur einheitlicher Unterricht garantiert auch eine einheitliche Qualität der Ausbildung.“ Es gäbe so viel Stoff nachzuholen. Ulrike Horneber: „Wir haben bereits Programme laufen, in denen wir Förderunterricht anbieten. Aber da müssten auch die Betriebe mitziehen und Sie freistellen.“ Sie gab zu, dass es vor allem an den beruflichen Schulen schwer sei, diese zusätzlichen Lerneinheiten umzusetzen. Doch sie appellierte an die Auszubildenden: „Tragen Sie Ihre Forderungen auch an den Schulen vor und reden Sie mit Ihren Betrieben. Dann können wir bestimmt etwas bewegen.“
#nachgefasst
Ob sich etwas bewegt, wird übrigens nachgeprüft: Bis zum 31. Juli haken die Mitarbeiter der Handwerkskammer bei den vier Gästen aus Politik, Verwaltung und Handwerk nach, was welche Probleme die angesprochenen Diskussionsteilnehmer inzwischen lösen konnten und was sie dafür getan haben. Der ganze Tag #zugehört wurde von der Handwerkskammer auch gefilmt. Einzelne Eindrücke sind auf facebook und Instagram (passend_gemacht) bzw. unter hwk-mittelfranken.de zu finden. Auch ein Film #zugehört wurde produziert und wird ab 1. Juli, 19 Uhr, auf Youtube, facebook, Instagram und auf der Homepage zu sehen sein. Dann heißt es wieder: #zugehört. Und wer weiß? Vielleicht können ja auch schon erste Ergebnisse präsentiert werden.
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