Geowissenschaftliche Forschung in Bayreuth enträtselt die Entstehung tiefer Erdbeben
Erdbeben im tiefen Erdinneren haben der Forschung bislang Rätsel aufgegeben. Dr. Takayuki Ishii vom Bayerischen Geoinstitut (BGI) der Universität Bayreuth und Prof. Dr. Eiji Ohtani von der Tohoku-Universität in Japan, der dem BGI als Humboldt-Preisträger verbunden ist, haben jetzt in „Nature Geoscience“ eine durch Hochdruck- und Hochtemperatur-Experimente gestützte Erklärung veröffentlicht: Wenn eine nasse Erdplatte in den Erdmantel absinkt, bleiben die darin enthaltenen Olivin-Kristalle bis zu einer Tiefe von rund 600 Kilometern trocken. Hier können Phasenübergänge der Olivin-Kristalle tiefe Erdbeben und Plattendeformationen auslösen.
Die Lithosphäre, die äußerste Schale der Erde, besteht aus großräumigen Platten, die sich in ständiger Bewegung befinden. Insbesondere dann, wenn eine ozeanische und eine kontinentale Platte aufeinander prallen, kann es zur Subduktion kommen: Die ozeanische Platte schiebt sich unter die kontinentale Platte und sinkt immer tiefer ins Erdinnere hinab. In einer Tiefe von 410 Kilometern erreicht sie die Übergangszone zwischen dem oberen und dem unteren Erdmantel, der ab einer Tiefe von 660 Kilometern beginnt. Schon lange ist bekannt, dass tiefe Erdbeben im Zusammenhang mit Subduktionsvorgängen stehen. Die genaue Ursache dieser Beben blieb aber bis heute rätselhaft. Denn eine zentrale Annahme, die eine plausible Erklärung ermöglichen würde, schien paradox: Die absinkende Erdplatte enthält reichlich Wasser, da sie im Kontakt mit dem Meer war, aber ausgerechnet das Mineral Olivin, der Hauptbestandteil der Erdplatte, müsste auf dem Weg ins Erdinnere trocken bleiben.
Genau diese Annahme konnten die beiden Forscher durch Hochdruck- und Hochtemperatur-Experimente im Bayerischen Geoinstitut (BGI), einem Forschungszentrum der Universität Bayreuth, jetzt verifizieren: Bis zu einer Tiefe von rund 600 Kilometern bleibt Olivin tatsächlich trocken, oder genauer gesagt: Der Wassergehalt der Olivin-Kristalle stellt bis zu dieser Tiefe nur einen millionstel Teil ihrer Masse dar und ist daher verschwindend gering. Die Experimente zeigen deutlich, dass der Wassergehalt des Olivins in absinkenden Erdplatten bisher überschätzt wurde. Der Grund dafür ist, dass diesbezügliche Experimente andernorts bei höheren Temperaturen durchgeführt wurden, als sie in den Erdplatten tatsächlich gegeben sind.
Entscheidend für die jetzt gefundene Erklärung von tiefen Erdbeben ist ein weiterer Befund der neuen Studie: Die wasserhaltigen Minerale der Erdplatte nehmen auf ihrem Weg in die Tiefe weiteres Wasser auf. Von den trockenen Olivin-Kristallen abgesehen, ist die Erdplatte aufgrund dieser Minerale feucht. Unterhalb von 410 Kilometern ist sie nun einer steigenden Temperatur ausgesetzt. Infolgedessen setzt eine Dehydrierung ein: Die wasserhaltigen Minerale der Erdplatte geben Wassermoleküle ab. Die trockenen Olivinkristalle beginnen jetzt, einige dieser Wassermoleküle aufzunehmen. Infolgedessen kommt es zu Phasenübergängen: Der Olivin wandelt sich in die Minerale Wadsleyit oder Ringwoodit. Diese Phasenübergänge können zu einer plötzlichen Verringerung des Volumens führen. Und genau dadurch werden starke Erdbeben ausgelöst, bis zu einer Tiefe von rund 600 Kilometern. Die Forscher haben noch einen weiteren Zusammenhang entdeckt: Weil Wasser in die Minerale eingedrungen ist, können die Phasenübergänge eine Aufweichung der Erdplatte bewirken, was die Verformung der Platte erleichtert. Solche auffälligen Deformationen sind bereits durch seismische Beobachtungen in vielen absinkenden Erdplatten festgestellt worden.
„Wir behaupten in unserer Studie nicht, dass Phasenübergänge von Olivin im tiefen Erdinneren die einzigen Auslöser für tiefe Erdbeben sind. Es scheint auch Erdbeben unterhalb von 660 Kilometern zu geben, die nicht mit Phasenübergängen des Olivins erklärbar sind. Bei der Suche nach ihren Ursachen könnte aber die temperaturbedingte Dehydrierung von wasserhaltigen Hochdruck-Mineralen, die sich in der Übergangszone zum unteren Erdmantel abspielt, wichtige Hinweise geben“, sagt Dr. Takayuki Ishii, korrespondierender Autor der Studie.
Dr. Takayuki Ishii wurde an der Gakushūin-Universität in Tokio, Japan, promoviert. 2015 kam er zur Universität Bayreuth, seine Forschungsarbeiten am BGI wurden von der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS), der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Zurzeit ist er am Center for High Pressure Science and Technology Advanced Research in Peking tätig. Prof. Dr. Eiji Ohtani von der Tohoku-Universität in Japan war 2018 als Forschungspreisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung am BGI zu Gast. Bereits 2016, anlässlich des 30jährigen Gründungsjubiläums des BGI, erhielt er hier die Ernennung zum Distinguished Affiliated Professor der Universität Bayreuth.
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