Aus der Gaustadter Leserpost: „Radverkehr ist in aller Munde, aber auf den Straßen tut sich noch zu wenig“
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Glüsenkamp!
„Der Radverkehr ist in aller Munde, aber auf den Straßen tut sich noch zu wenig”, bewertet der „Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club” (ADFC) das Ergebnis des jüngsten Fahrradklimatests in seiner deutschlandweiten Pressemeldung (16. März).
„Die Zufriedenheit der Radfahrenden hat sich nicht verbessert. … Das Fahrradklima wird also wie schon in den letzten Befragungen gerade mal als ausreichend bewertet”, schließt sich der bayerische Landesverband dem Urteil an (17. März). „Es ist also noch viel Luft nach oben”, bestätigt der örtliche Kreisverband (19. März, Der neue Wiesentbote).
„… da besteht beim Verkehrsmittel Fahrrad nach wie vor großer Nachholbedarf”, resümiert der grüne Fraktionssprecher im Bamberger Stadtrat (16. März, Bamberger Onlinezeitung) – dem kann schwerlich widersprochen werden.
„Bamberg schneidet … im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich gut ab. In der bayernweiten Ortsgrößenklasse sichert sich Bamberg den Rangplatz 1”, schreibt der Wiesentbote am 9. April – und gibt, dem Kontext nach zu urteilen, Ihre Einschätzung, die des Bamberger Bürgermeisters, wieder. Ihre Wertung ähnelt – beinahe zum Verwechseln – der, welche „Bamberg.Gemeinsam.Mobil” publiziert (14. April, Wiesentbote): „Bamberg schneidet gut ab … auf Platz 1 bei vergleichbar großen Städten in Bayern”. Die „Initiative” wurde gegründet und wird wesentlich getragen von Menschen, die in ihrer politischen Tätigkeit die bisherige Autovorrangpolitik verantwortet haben und hinter wohlklingenden Worten verschleiern, daß sie die überfällige Verkehrswende ablehnen.
In Schulnoten: Bamberg „verbessert” sich von 3,88 auf 3,79 – eher statistische Schwankung als Ausdruck veränderter Wahrnehmung. Dieses Resultat, nach wie vor nur ein „ausreichend”, als „im bundesweiten Vergleich (3,93) überdurchschnittlich gut” zu empfinden, befremdet doch arg. Die auf zwei Nachkommastellen genaue Angabe täuscht eine Exaktheit vor, die von der Sache her gar nicht gegeben sein kann. So sieht auch der ADFC bei Veränderungen von weniger als 0,15 Notenpunkten „relative Konstanz”.
Überdies beschönigt ein Umstand das Abschneiden Bambergs: Der Notenschnitt wird allein durch die Bewertungen für „Erreichbarkeit des Stadtzentrums” (2,2), „zügiges Radfahren” (2,5) sowie „Alt und Jung fahren Rad” (2,6) um etwa 0,2 Notenpunkte verbessert. Die beiden erstgenannten Sachverhalte beschreiben eher die Kompaktheit der Stadt mit ihrer geringen Ausdehnung und daraus resultierenden kurzen Distanzen als eine von ihr verantwortete fahrradfreundliche Verkehrspolitik. Der dritte beruht auf den gleichfalls unattraktiven Rahmenbedingungen für die anderen Verkehrsmittel – und damit auf weiteren Versäumnissen der Stadtpolitik: Busangebot und Fußwegenetz wirken alles andere als einladend, doch für mehr Autos ist die Stadt längst zu voll.
Leider ist ein zielführendes Umsteuern in der kommunalen Politik nicht abzusehen. Obgleich seit vielen Jahrzehnten bekannt (und im Jahre 1997 in die Straßenverkehrs-Ordnung eingeflossen), wird die Tatsache, daß fahrbahnbegleitende separate Führung des Radverkehrs das Unfallrisiko merklich erhöht, nach wie vor ignoriert. Ausreichend bemessene seitliche Sicherheitsräume sind ebenso wenig Thema wie das hohe Unfallrisiko an Knotenpunkten – zu weit über 90 % von den Radlervorrang mißachtenden Pkw-Fahrer/inne/n verursacht. Die allein auf Lastkraftwagen abzielenden Rechtsänderungen werden hier nur marginale Verbesserungen bewirken können. Zudem verschließt die öffentlichkeitswirksame Werbung für „Radwege” im allgemeinen und „geschützte Radfahrstreifen” im besonderen – der Schutz ist an jeder der zahlreichen Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten unterbrochen – die Augen davor, daß in der Stadt meist überhaupt kein Platz vorhanden ist, diese ausreichend zu dimensionieren, seitliche Sicherheitsräume inbegriffen. Ein flächendeckend durchgängiges Netz ist und bleibt Utopie auch dann, wenn es „nur” die Hauptverkehrsstraßen abdecken soll.
Wer also der Illusion erliegt oder sich gar an ihrer Verbreitung beteiligt, Verkehrssicherheit ließe sich durch einfache Verdrängung des Radverkehrs in den Seitenraum erzielen, wagt ein gefährliches Spiel resp. setzt die Fehler der vergangenen Jahrzehnte fort. Ohne beherzte Eingriffe, welche die vom Kraftfahrzeugverkehr ausgehenden Gefahren ursächlich angehen und sein Aufkommen spürbar verringern, werden weder Sicherheit noch Aufenthaltsqualität erhöht werden können. Dirigistische Maßnahmen dürfen hierbei nur letztes Mittel sein, da sie häufig die besonders hart treffen, die nicht auf Alternativen ausweichen können. Die kontinuierliche (!) Änderung der Rahmenbedingungen aber, die Beendigung der Ausrichtung zuvorderst auf die vom Autoverkehr erhobenen, alle anderen bevormundenden Ansprüche ist, wie positive Entwicklungen andernorts belegen, sehr wohl geeignet, freiwillige (!) Verhaltensänderungen zu bewirken. Dabei dürfen nicht allein einzelne Verkehrsmittel im Fokus stehen. Der Umweltverbund, die intelligente Vernetzung von Gehen, Radfahren, Bahn und Bus, ist als Ganzes zu betrachten – auch das ein Ergebnis des Fahrradklimatests: Konflikte mit Fußgängern (3,8), Abstellanlagen (3,8) und Fahrradmitnahme im Öffentlichen Verkehr (4,6) sind als Problempunkte erkannt. Die Qualität des Fuß- und Busverkehrs war naturgemäß nicht Inhalt der Erhebung. Doch spricht die Entwicklung ihrer Verkehrsanteile in Bamberg Bände. Zwischen 1997 und 2015 nahmen sie um rund 17 % (Gehen) bzw. 23 % (Bus, bei ohnehin beschämend geringem Niveau) ab, von einer Trendwende ist bislang nichts bekannt.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Glüsenkamp!
Weder „koalitionsbedingte” Rücksichtnahme noch beabsichtigte Selbstbeweihräucherung kann und darf eine Rechtfertigung darstellen, die Situation schönzureden. Probleme lassen sich nur lösen, wenn sie offen benannt und angegangen werden. Hierzu allerdings sind weder Schlagworte und Kampfparolen („autofreies Welterbe”) noch überholte Stammtischweisheiten (undifferenzierter Radwegebau) geeignet. Sie schaffen unnötige Fronten bzw. führen auf den Holzweg.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
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