Fortsetzungsroman: “Raststraße” von Joachim Kortner, Teil 14
Romanepisoden von Joachim Kortner
Der Gröning
Die Tante Helene will auch zum Gröning fahren. Sie sagt, seit der Flucht habe sie es mit der Lunge. Der Gröning soll ja so ziemlich alles heilen können. Sogar hoffnungslose Fälle. Krebs hat der schon geheilt und krumme Beine. Dafür soll es sogar Zeugen geben.
Wer glaubt, wird selig. Das mit dem Gröning – alles der reinste Betrug.
Jakobs Vater hasst ihn. Und außerdem sei die Kirche gegen den Gröning. Wenn er mal merken sollte, dass die Tante Helene an den Gröning glaubt, dann spricht er kein Wort mehr mit ihr. Hat er jedenfalls gesagt. Da hat sie geweint. Weil er doch ihr einziger Bruder ist.
In der Wochenschau hat Jakob ihn schon einmal gesehen. Der wohnt in Rosenheim. Da warten Tausende vor seinem Balkon.
Die bleiben über Nacht. Die wollen, dass er sie auch heilt. Und wenn einer weit weg von Rosenheim wohnt, dann kriegt der von ihm Stannniolkugeln geschickt. Da ist der Gesundheitsstrom vom Gröning drin. Die muss er anfassen und schon ist er geheilt. Bloß die Arme und die Beine darf er dabei nicht überkreuzen. Sonst kann der Gesundheitsstrom nicht in einen hinein kommen, sagt die Tante Helene.
Jakob steht vor einem Schaukasten der Passage Lichtspiele. Da kommt der Gröning auf ihn zu. Ganz langsam geht er. Er sieht genau so aus, wie in der Wochenschau. Das lange gewellte Haar glänzt vor Haaröl. Er trägt den gleichen dunklen Anzug mit Streifen. Darunter ein Hemd mit einem Reißverschluss am Kragen. Sein riesiger Kropf quillt aus dem Hemdkragen heraus.
Aufgebläht, mit einer dicken Ader unter der Kropfhaut. Der Gröning hält zwei Stanniolkugeln in den Händen. Die sind mit 4seinem Gesundheitsstrom geladen. Hinter ihm geht ein Geheilter. Der hat seine Krücke in zwei Teile zerbrochen. Es ist derselbe Mann aus der Wochenschau. Jetzt ist der Gröning hinter der Eingangstür zum Coburger Hofbräusaal verschwunden. Jakob will ihm nachgehen, will auch sehen, wie der Gröning die Menschen heilt. Aber er kommt da nicht durch. Die ganze Passage ist vollgestellt mit leeren Krankenstühlen. Er versucht, unter ihnen durchzukriechen, aber die Krankenstuhlräder stehen alle kreuz und quer. Sein Name wird gerufen. Die Stimme seines Vaters. Er kann ihn nicht sehen. Bestimmt will der, dass er auf die Tante Helene aufpasst. Ob die zum Gröning reingeht. Damit er dann kein Wort mehr mit ihr redet. Jakobs Name schallt noch lauter durch die Passage.
Er wacht auf. Er soll runter von der Klappcouch. Der Vater will sein Mittagsschläfchen halten.
Raststraße
Roman in Episoden Joachim Kortner
- Paperback
- 244 Seiten
- ISBN-13: 9783833489839
- Verlag: Books on Demand
- Erscheinungsdatum: 28.04.2008
- Sprache: Deutsch
- Farbe: Nein
Bestellung (Paperback & E-Book): https://www.bod.de/buchshop/raststrasse-joachim-kortner-9783833489839
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