Deutsche Corona-App nun auch ohne Google-Dienste verfügbar

Symbolbild Corona

Eine Handvoll Freie-Software-Entwickler hat geschafft, was offizielle Stellen monatelang versäumt haben: Sie haben die deutsche Corona-Warn-App zum Nachverfolgen von Covid-19-Risikokontakten in einer Version bereitgestellt, die komplett ohne Abhängigkeiten von Google auskommt und im freien App-Store F-Droid erhältlich ist.

Bereits im April dieses Jahres formulierte die FSFE zwei Grundvoraussetzungen für sogenannte Corona-Apps. Erstens darf es keine Nutzungspflicht geben, und zweitens müssen sie als Freie Software verfügbar sein. Auf den ersten Blick erfüllt die im Juni veröffentlichte deutsche /Corona-Warn-App/ (CWA), wie mittlerweile viele andere in Europa, diese Anforderungen. Jedoch wird der Austausch von Geräteschlüsseln mittels Bluetooth, auf deren Basis das Risiko berechnet wird, von einer unterliegenden Schnittstelle gehandhabt.

Das Problem dabei: Diese Schnittstellen-Software, /Exposure Notifications API/ genannt und maßgeblich entwickelt von Apple und Google, ist größtenteils proprietär. Sie kann also nicht frei benutzt, untersucht, verbreitet und verbessert werden. In Googles Android- Betriebssystem ist außerdem die Installation und Nutzung der Play Services notwendig. Diese Google-Dienste greifen tief in das System ein und untergraben die digitale Souveränität der Anwenderinnen und Anwender. Dies verhindert standardmäßig die Nutzung vieler Corona-Apps für Menschen, die auf Datenschutz und Softwarefreiheit auf ihren Android-Geräten Wert legen.

Ehrenamtliche lösen Problem Schritt für Schritt

Eine erste große Verbesserung stellte der Freie-Software-Entwickler und FSFE-Unterstützer Marvin Wißfeld im September bereit. Er baute die Exposure-Notification-Funktionalität in microG ein [3], eine Freie- Software-Implementierung der proprietären Google-Dienste. Damit können zumindest Menschen diverse Corona-Apps verwenden, die ein Google-freies Android-Telefon [4] besitzen und microG installiert haben.

Vor wenigen Tagen gingen Christian Grigis, Fynn Godau, Marcus Hoffmann und Marvin Wißfeld noch einen Schritt weiter. Sie integrierten die Exposure-Notification-Komponente von microG direkt in die deutsche Corona-Warn-App. Dieses sogenannte Drop-In-Replacement ermöglicht selbst Menschen, die weder die Google-Dienste noch deren Freie-Software- Alternative microG installiert haben, die Nutzung der CWA. Außerdem stellen sie seit heute die App auf F-Droid bereit, einem App Store mit ausschließlich Freier Software. Das ist somit auch vorteilhaft für jene Nutzerinnen und Nutzer, die zwar microG oder Google-Dienste installiert haben, aber ihre Software aus Sicherheits- und Komfortgründen lieber über F-Droid beziehen.

microG-Hauptentwickler und FSFE-Unterstützer Marvin Wißfeld ergänzt dazu:

„Die vorherige Lösung, microG zu installieren, kommt oftmals aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. Die neue App aus F-Droid ist aber zum Beispiel auch problemlos auf allen aktuellen Smartphones von Huawei lauffähig, die seit Mitte 2019 teilweise ohne Google- Dienste ausgeliefert werden. Die Regierung und das RKI haben so in den letzten Monaten womöglich tausende Nutzer der Corona-Warn-App verloren, da ausschließlich Google- und Apple-Nutzer als Zielgruppe anvisiert wurden.“

Es steht nun den verantwortlichen Stellen, der deutschen Bundesregierung, dem Robert-Koch-Institut (RKI) sowie deren Auftragnehmern SAP und T-Systems frei, die Änderungen in den Hauptentwicklungszweig zu übernehmen [7], und damit zusammen mit der Freie-Software-Gemeinschaft an einem Strang zu ziehen. Außerdem kann diese Methode prinzipiell auch für Corona-Apps anderer Länder angewandt werden.

Freie Software wieder einmal in Vorreiterrolle

„Wir sehen dabei ein bekanntes Muster: die Freie-Software-Gemeinschaft legt ein Problem sowie eine mögliche Lösung dar, wird aber so lange abgewiesen, bis Ehrenamtliche das Problem mit unbezahltem Einsatz und ohne offizielle Unterstützung selbst lösen. Dabei würde es nicht an den Ressourcen der beteiligten Verwaltungen und Firmen scheitern, diese signifikanten Verbesserungen selbst auszuführen oder zumindest zu unterstützen. Es ist löblich, dass die CWA konsequent von Anfang an als Freie Software entwickelt und veröffentlicht wurde, aber es mangelte an der notwendigen Konsequenz, um technisch mittlerweile unnötige Abhängigkeiten von proprietärer Software zu entfernen.“

Die FSFE appelliert an Regierungen und Verwaltungen, entwickelte Software als Freie Software zu veröffentlichen, Abhängigkeiten von Googles und Apples Appstores aufzubrechen und stattdessen ihre Apps über unabhängige Quellen wie F-Droid installierbar zu machen, und auf proprietäre Abhängigkeiten zu verzichten. Wie Wißfeld erläutert, ergeben sich bereits im Fall der Corona-Warn-App ganz konkret zusätzliche Vorteile bei der Bekämpfung der Pandemie:

„Die freie Implementierung birgt – ganz im Sinne von Freier Software – das Potenzial für Verbesserungen, die die proprietäre Schnittstelle von Google nicht ermöglicht. So wäre es zum Beispiel möglich, bei einer Begegnungs-Warnung auch die Uhrzeit der Begegnung anzuzeigen. Das kann – bei freiwilliger Datenweitergabe des Nutzers – den Gesundheitsämter beim Ermitteln von Hotspots oder Clustern helfen oder für statistische Zwecke genutzt werden, um die Effektivität von Schutzmaßnahmen zu erhöhen.“

„Wir danken allen beteiligten Personen, die die Nutzung der Corona-App in Deutschland ermöglicht haben, ohne dabei Einbußen bei der Softwarefreiheit in Kauf nehmen zu müssen“, so die FSFE.

Über die Free Software Foundation Europe

Die Free Software Foundation Europe ist ein gemeinnütziger Verein, der Menschen im selbstbestimmten Umgang mit Technik unterstützt. Software beeinflusst sämtliche Bereiche unseres Lebens. Es ist wichtig, dass diese Technik uns hilft, statt uns einzuschränken. Freie Software gibt allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu verwenden, zu verstehen, zu verbreiten und zu verbessern. Diese Freiheiten stärken andere Grundrechte wie die Redefreiheit, die Pressefreiheit und das Recht auf Privatsphäre.

Die FSFE hilft Menschen und Organisationen dabei, zu verstehen, wie Freie Software zu Freiheit, Transparenz und Selbstbestimmung beiträgt. Sie stärkt Nutzerrechte, indem sie Hürden für den Einsatz Freier Software beseitigt, ermutigt Menschen zum Einsatz und zur Entwicklung Freier Software, und stellt Ressourcen für alle bereit, die Freie Software in Europa voranbringen wollen.