Aus der Gaustadter Leserpost: Überlegungen zum Erntedank
Liebe Freundinnen und Freunde, Verwandte und Bekannte,
Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren!
„Fürchte Dich nicht, Ackerboden! Freue Dich und juble; denn der HERR hat Großes getan! Fürchtet Euch nicht, Ihr Tiere auf dem Feld! Denn das Gras in der Steppe wird wieder grün, der Baum trägt seine Frucht, Feigenbaum und Weinstock bringen ihren Ertrag. Jubelt, Ihr Kinder Zions, und freut Euch über den HERRN, Euren Gott! Denn er gibt Euch Nahrung, wie es recht ist. Er schickt Euch den Regen, Herbstregen und Frühjahrsregen wie in früherer Zeit. Die Tennen sind voll von Getreide, die Keltern fließen über von Wein und Öl.“
Im dritten Jahr in Folge, das uns hohe Temperaturen und zu geringe Niederschläge brachte, erscheint das vorstehend zitierte Versprechen wie die Verheißung auf Erfüllung hochaktueller Wünsche. Dies gilt umso mehr, da die landwirtschaftlichen Erträge in dieser Saison zusätzlich durch den pandemiebedingten Mangel an Arbeitskräften gemindert wurden.
Wir dürfen indes nicht übersehen: Bislang vermochten weder Dürre noch Korona, in Mitteleuropa auch nur ansatzweise die Gefahr mangelhafter Lebensmittelversorgung heraufzubeschwören. Hunger und Armut, soweit sie bei uns vorkommen, haben andere Gründe. Deren Auswirkungen allerdings werden durch die Seuche verstärkt, was von Entlassung und Kurzarbeit Betroffene ebenso verspüren wie Solo-Selbständige und die vielen, die nicht einreisen und als Erntehelfer arbeiten durften.
Der eingangs wiedergegebene Text entstammt, unschwer zu erraten, dem Alten Testament (Joel 2, 21-24). Die Menschen der damaligen Zeit waren überzeugt, Krieg, Naturkatastrophen, Mißernten und Unglücksfälle seien Folgen gottlosen bzw. gotteswidrigen Verhaltens, göttliche Bestrafung ob ihrer Sünden. Reue, Buße und Umkehr aber besänftigten den Schöpfer.
Obgleich dieses Gottesbild im Neuen Testament gründlich revidiert worden war, konnte sich die alte Vorstellung bis in die frühe Neuzeit behaupten, ist selbst heute noch nicht vollständig ausgestorben. Doch nicht nur der Apostel Paulus hat klargestellt: Gottgefälliges Verhalten, Nächstenliebe und sorgsamer Umgang mit den irdischen Gütern, ist nicht Voraussetzung für Gottes Gunst, sondern natürliche Folge und selbstverständlicher Ausdruck überzeugten Glaubens.
Sich epidemisch ausbreitende Krankheiten, (teils lang anhaltende) Dürreperioden, aber auch Starkregenereignisse und Überschwemmungen sind für viele Menschen häufig erlebte Risiken – Mitteleuropa erweist sich im Vergleich beinahe wie das Paradies. So manche Katastrophe erklärt sich – ungeachtet religiöser Überzeugungen – tatsächlich als Resultat menschlichen Tuns und Unterlassens:
Die sogenannte „Grüne Revolution“, das Überstülpen der in den gemäßigten Klimazonen entwickelten Methoden der industriellen Landwirtschaft ohne Berücksichtigung örtlicher Verhältnisse (Klima, Niederschlagsverteilung, Bodeneigenschaften, Infrastruktur u. a.), führte in tropischen und subtropischen Regionen zu regelmäßigen Mißernten.
Totalabhängigkeit der Landwirte von Monopolfirmen, die ihnen (nicht selbst vermehrbares) Saatgut, Dünger und Pestizide aus einer Hand liefern, endet nicht selten im wirtschaftlichen Aus. Die resultierende Selbstmordrate beispielsweise indischer Bauern ist legendär.
Teils subventionierte Überschußproduktion aus Industrieländern, unter erheblichen Umweltauswirkungen erzeugt, wird zu derart niedrigen Dumpingpreisen exportiert, daß die heimischen Landwirte der Empfängerländer nicht konkurrieren können und die Basis ihrer wirtschaftlichen Existenz verlieren.
Damit Massentierhaltung aufrecht erhalten und fragwürdige Energieverschwendung, beispielsweise im ausufernden motorisierten Individualverkehr, ökologisch verbrämt werden kann, fällt in großem Umfang tropischer Regenwald der Kettensäge zum Opfer. Auf den Sojafeldern und Palmölplantagen, aber auch auf sich schier endlos erstreckenden Rinderweiden finden die (oft vom Aussterben bedrohten) Wildpflanzen und -tiere keinen geeigneten Lebensraum. Die Böden sind nach wenigen Jahren ausgelaugt und entwickeln sich zur lebensfeindlichen Steppe.
Zunehmende Wetterextrema gefährden die Lebensmittelproduktion. Während in den Industriestaaten derzeit allenfalls die Preise steigen, bedroht die Entwicklung in wirtschaftlich weniger starken Ländern Leben und Existenz der Menschen. Der zu Grunde liegende Klimawandel liegt in der Verantwortung derer, die (zumindest noch) nur wenig unter den Folgen leiden.
Medizinische Forschung wurde weltweit zunehmend in die Hände der Privatwirtschaft gelegt. Die öffentliche Hand zog sich weitgehend zurück. Wie abzusehen gewesen wäre, konzentrierte sich die Entwicklung auf lukrative Methoden und Medikamente für zahlungskräftige Zielgruppen.
Wie bereits erwähnt, treffen die Auswirkungen der Klimaerwärmung uns in den wohlhabenden Ländern der gemäßigten Zonen derzeit nur begrenzt. Das gilt auch für die Zahl der Flüchtlinge, deren viele ihre Heimat verlassen (müssen), weil ihnen die Folgen von Hitze und Trockenheit oder aber Starkregen, Sturm und Flut die Lebensgrundlage rauben. Die wenigsten streben oder gelangen gar nach Europa.
Sollte es nicht gelingen, den Klimawandel zu begrenzen, wird die Lage schnell auch hier dramatisch. Ob Gefährdung der Wasserversorgung, der Ernteerträge, der Gesundheit durch langandauernde Hitzeperioden und sich ausbreitende Krankheitserreger oder ob in Zahl und Heftigkeit zunehmende Niederschläge und Stürme – wann auch unsere Lebensumstände die Folgen in ganzer Härte verspüren werden, ist dann nur eine Frage der Zeit.
Einzusehen, daß das menschliche Wirken auf unserem Planeten Folgen hat, daß unachtsames Handeln zu negativen Rückkopplungen führt, bedarf nicht des Glaubens an einen strafenden Gott. Das Betrachten der Naturgesetze genügt. Und doch – schon in der Schöpfungsgeschichte findet sich die Aufforderung zu sorgfältigem Umgang mit dem globalen Heim, der Erde: „… macht sie euch untertan …“ (Genesis 1, 28), bedeutet eben nicht, sie willkürlich ausbeuten, rücksichtslos ruinieren zu dürfen. „Und Gott, der HERR, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaue und bewahre“ (Genesis 2, 15). Ob gläubig oder nicht – die Mahnung sollte sich jede und jeder zu Herzen nehmen.
Freuen wir uns also anläßlich des Erntedankfestes über die Früchte der Erde, tun wir unser Möglichstes für eine gerechte Verteilung, sorgen wir dafür, daß weiterhin genügend Lebensmittel für alle heranwachsen, lassen wir aber auch der Natur den nötigen Raum, so daß unsere natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben, und drängen wir die, welche die wichtigen Schalthebel in Unternehmen, Politik und öffentlicher Verwaltung bedienen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Wohl aller und zu Gunsten zukunftsfähiger Wirtschafts- und Handelsstrukturen in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen!
„Gebete ändern die Welt nicht. Aber Gebete ändern die Menschen.
Und die Menschen verändern die Welt.”
Albert Schweitzer
Mit freundlichen Grüßen
Rita Stadter-Bönig, Wolfgang Bönig
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