Aus der Gaustadter Leserpost: „Interessant ist, was verschwiegen wird“
Bamberg-Gaustadt, 22. August 2020
Sehr geehrte Damen und Herren!
„Die Unfälle, an denen Radfahrer beteiligt sind … haben zugenommen“, ist im Bamberger Lokalteil des Fränkischen Tags vom 22. August (siehe auch www.infranken.de/lk/bamberg/22-radfahrer-schwer-verletzt-art-5056579!) zu lesen. Der Text untertitelt ein Lichtbild, welches nach einem Verkehrsunfall an der Kreuzung Regensburger Ring / Margaretendamm / Magazinstraße aufgenommen wurde. Ein außer Kontrolle geratenes Kraftfahrzeug hatte vier mit ihren Fahrrädern auf dem Gehweg wartende, an der Unfallentstehung völlig unbeteiligte Personen erfaßt (www.infranken.de/lk/bamberg/schwerer-unfall-in-bamberg-auto-kommt-von-strasse-ab-und-erfasst-mehrere-radfahrer-art-5009299). Für die Analyse typischer Unfallursachen ist dieses Ereignis völlig ungeeignet.
Leider bleibt sich das Blatt in der kritiklosen Weitergabe von Zahlen und Bewertungen treu, ohne selbst offensichtliche Lücken und Ungereimtheiten zu hinterfragen.
Unfallbeteiligung
Laut Zeitungsberichts waren im Jahr 2019 an 240 der insgesamt 2456 Verkehrsunfälle im Stadtgebiet Radfahrer beteiligt. Bei einem Verkehrsanteil von mehr als 30 % erreicht die Unfallbeteiligung nicht einmal 10 %, entspricht somit knapp einem Drittel des statistisch zu erwartenden Wertes. Diese Relation ist seit rund einem Jahrzehnt konstant. Das Unfallgeschehen der Radfahrer bewegt sich trotz ungünstiger Rahmenbedingungen lediglich parallel zum Verkehrsanteil.
Hauptverursacher
Angeblich haben die Radfahrer bei 141 Unfällen (knapp 60 % der Fahrradunfälle, 6 % aller Verkehrsunfälle) diese selbst verursacht. Nicht erwähnt wird, wie viele Alleinunfälle erfaßt wurden. Für diese nennt die Polizei grundsätzlich den Radler als Verursacher. Ob Mängel im Fahrweg oder das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer auch ohne Kollision in Frage kommt, wird gar nicht erst in Erwägung gezogen.
In früheren Jahren stellte sich regelmäßig heraus, daß nach polizeilicher Ersteinschätzung (kommt es zu Gerichtsverfahren, wird diese vielfach zu Gunsten der Radler korrigiert) die jeweiligen Unfallgegner – mit statistischen Schwankungen – etwa zwei Drittel der Fahrradunfälle mit weiteren Beteiligten verschuldet haben.
Die das Bild korrigierende Berechnung ist mangels Daten jetzt nicht möglich. Auch diese Entwicklung paßt in den Trend der letzten Jahre: Sobald Ungereimtheiten und falsche Bewertungen nachgewiesen wurden, tauchten die entsprechenden Zahlen in späteren Darstellungen nicht mehr auf.
Ursachenanalyse nicht gewünscht?
Frühere Unfallstatistiken zeigten, daß bei Radfahrern vielbeklagte Verhaltensweisen nahezu keinen Einfluß auf das Unfallgeschehen haben: Rotlichtverstöße und (bei entsprechenden Sichtverhältnissen) Fahren ohne Licht – jeweils unter 0,1 % der Unfälle; Fahren in der falschen Richtung oder auf falschem Fahrbahnteil – unter 1 % der Unfälle. Das rechtfertigt die Regelverstöße nicht, klärt aber die Verhältnismäßigkeit. Hingegen hatte die Polizei vor wenigen Jahren eingestehen müssen, daß viele Unfälle auf Mißachtung der Radlervorfahrt auf Radwegen beruhen, diese Sonderwege somit keinesfalls Sicherheit garantieren. Doch zu all diesen Daten wird seitdem nichts mehr veröffentlicht.
Rotlichtverstöße von Kraftfahrern führen übrigens immer wieder zu schweren Unfällen, werden aber so gut wie gar nicht thematisiert.
In Pressemeldungen taucht wiederkehrend auf, daß Radfahrer stürzen, weil sie der Regenrinne oder dem Bordstein am Fahrbahnrand zu nahe gekommen sind. Die Rechtsprechung gibt vor, daß Radler einen knappen Meter Abstand zum Fahrbahnrand einhalten dürfen und sollen. So vermeiden sie vorstehend beschriebene Unfälle und haben einen „Fluchtraum“, sollten sie hauteng überholt werden. Allerdings kommt das weit seltener vor als wenn sie sich scharf rechts am Fahrbahnrand bewegen. Denn Kraftfahrer weichen, müssen sie ohnehin die Spur wechseln, meist weit genug aus.
Die polizeiliche Verkehrserziehung aber trichtert ein, dicht am Fahrbahnrand zu fahren. Das gleiche Ziel verfolgen die (oft viel zu) schmalen Fahrradspuren, welche ohne ausreichende seitliche Sicherheitsräume zu Fahrbahnrand, parkenden Kraftfahrzeugen und fließendem Autoverkehr markiert werden.
„Freie Fahrt fürs Auto“ ist den Verkehrs- und Ordnungsbehörden nach wie vor wichtiger als die Sicherheit der unmotorisierten Verkehrsteilnehmer. Ein gegen die Radfahrer gerichtetes Stimmungsbild ist da natürlich hilfreich, Fakten störten nur.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bönig
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